Egal, ob Labskaus, Pannfisch, Stubenküken oder Birnen, Bohnen und Speck: Die Spezialitäten der Hansestadt drohen in Vergessenheit zu geraten. Einige Restaurants bieten sie jetzt wieder an.
Auf der Straße liegt altes Kopfsteinpflaster. Eng sind die Häuserschluchten. Dunkle Klinkerfassaden lassen die Kontorhäuser mächtig wirken. In der Hamburger Altstadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, auch im Restaurant Laufauf an der Straße Kattrepel, einer alten Gaststätte mit großem Tresen, entstanden in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die dunklen Hölzer sind original erhalten.
Hier kocht seit 1994 Nils Olsson – ein fröhlicher Hamburger aus Eidelstedt – regionale Küche und seit zwei Jahres auch etwas ganz Seltenes in dieser Stadt: alte Hamburger Gerichte. „Ich habe den Traum“, sagt er, „einmal ein Lokal aufmachen, wo nur diese hamburgische Küche serviert wird.“
Doch bis zur Verwirklichung des Traums muss er wohl noch warten, denn zurzeit machen Alt-Hamburger Gerichte weniger als zehn Prozent des Umsatzes im Laufauf aus. Der Name Laufauf steht für die Spezialität von Nils Olsson: Aufläufe.
Schweinebraten auf Rundstück mit Bratensoße
Heute steht auf der Tafel mit Kreide geschrieben: „Rundstück warm“ für 9,90 Euro – das ist ein (üppiges) Stück Schweinebraten auf einem Rundstück mit Bratensoße. Erfunden wurde es vor mehr als 100 Jahren auf St. Pauli als Resteessen und schneller Imbiss. Heute konkurriert dieses Bratenstück mit den Produkten der Fast-Food-Ketten, die ebenfalls (gehacktes) Fleisch und Brötchen kombinieren, dies aber dann „Hamburger“ nennen.
Um seinen Traum zu verwirklichen, hat Nils Olsson rote Flyer drucken lassen mit der Aufforderung „Traust du dich Labskaus?“ Der Gast Dirk Rehder, ein Grafiker, hat den Spruch erfunden. Gäste finden mit den in Hotels ausliegenden Flyern dann den Kattrepel im Kontorhausviertel, wo es in unmittelbarer Nähe (wieder) einen Wochenmarkt und ein richtiges Eisenwaren-Fachgeschäft gibt. Die Alt-Hamburger Küche scheint hamburgweit in Vergessenheit zu geraten. Labskaus, Pannfisch, Hamburger National, Plockfinken, Finkenwerder Scholle, Stubenküken und anderes findet sich kaum noch auf den Speisekarten.
Labskaus ist ein Seemannsessen aus gepökeltem Rindfleisch, Kartoffeln und Roter Bete. Fischstücke in der Pfanne werden mit Bratkartoffeln und Senfsoße zu „Pannfisch“. Hamburger National ist ein Eintopf aus Schweinebauch, Kartoffeln und Steckrüben. Plockfinken sind gekochte Möhren mit klein geschnittenem Rauchfleisch.
Leicht und trotzdem deftig muss es sein
„Wir müssen dagegensteuern und die Gerichte in moderner Form anbieten“, sagt Nils Olsson. „Kaum einer will mehr fetten Braten. Leicht muss es sein.“ Allerdings auch etwas deftig, denn Bratkartoffeln zu heimischen Gerichten sind im Laufauf der Renner. Zum Beispiel beim „Hamburger Pannfisch“, dem beliebtesten Rezept. Und eigentlich auch ein Resteessen. Bei Nils Olsson werden die Zutaten zum Hamburger Pannfisch nicht zusammengerührt, sondern einzeln angerichtet. „Auch die Senfsoße wird nicht drübergekippt, sondern hübsch neben den Fisch gegeben“, sagt er. Zum Schluss gebe ich immer noch gehackte Gemüsezwiebeln dazu, die geben den Bratkartoffeln etwas Knackiges.“
Die Rezepte unser hanseatischen Vorfahren sind geprägt vom Hafen mit den früher dort angelandeten Fischen und Gewürzen und den Produkten aus dem „Gemüsegarten Hamburgs“ – den Vierlanden. Sie sind deftig, bieten ungewöhnliche Kombinationen, wie „Birnen, Bohnen und Speck“. Neben den Gerichten, die der sparsamen Hamburger Hausfrau zur Resteverwertung dienten, werden gern fremdländische Zutaten verwendet, wie zum „Ochsensteert“ (Ochsenschwanz) ein reichlicher Schuss Madeira aus Portugal.
Zu den feineren hamburgischen Rezepten gehören Stubenküken und Gänse aus den Vierlanden. Stubenküken werden kaum noch angeboten. Eine Delikatesse aus den jungen, rund ein Viertelpfund schweren Kücken, deren Fleisch besonders zart ist.
Die „Vierländer Gans“ gehört zu den Spezialitäten im Landhaus Scherrer. Für Inhaber Heinz Wehmann war zum jetzigen Weihnachtsfest die „Hamburger Gänsekeule“ ein „Hammer“ wie er sagt: „So viele Gänsekeulen dieser süß-sauren Art habe ich noch nie verkauft. Man muss nur die Rezepturen modernisieren und nicht zu klassisch machen.“ Und man müsse den Hamburgern wieder ihre eigenen Rezepte nahebringen. „Sie wissen es einfach nicht mehr“, sagt Wehmann.
Tipps von der Großmutter
Nils Olsson hat bei seiner Mutter und Großmutter in Eidelstedt die Hamburger Spezialitäten kennengelernt. „Eine Hamburger Krabbensuppe zum Beispiel habe ich gern gegessen. Granat sagte Großmutter immer zu den Garnelen“, sagt Olsson. Schwierig sei die Alt-Hamburger Küche nicht.
In den Ruf, etwas gewöhnungsbedürftig zu sein, geriet die hanseatische Küchentradition mit billigen Tricks und schlechter Zubereitung. Noch immer kann man am Hafen „Finkenwerder Scholle“ kaufen, die aus der Fritteuse und nicht wie im Original-Rezept aus der Pfanne mit Speck stammt. Auch in Matjesbrötchen am Hafen ist nicht immer echter Matjes, sondern ein mit Chemie hergestelltes Heringsprodukt, das billiger ist und auch so schmeckt und wegen seiner Lagerung in Öl bei Fachleuten nur „Ölis“ heißt. Zu den Sünden in Lokalen, die angeblich heimatliche Küche anbieten, zählen auch „Frische Maischollen“, die nicht frisch vom Kutter, sondern aus der Tiefkühltruhe kommen und im Zweifel ein Jahr alt sind. Zu den Fischspezialitäten zählen in Hamburg nicht nur die Heringe, die vor Hunderten von Jahren so zahlreich gewesen sein sollen, dass man sie aus der Elbe schaufeln konnte, sondern auch die Stinte, die um Ostern herum in die Elbe zum Laichen ziehen und gebraten wieder zu einem Renner in Restaurants wurden, die sie verarbeiten.
Das Stintfieber ist ausgebrochen
Stint ist seit den Ende der DDR und der nachfolgenden Säuberung der Elbe wieder so beliebt, dass manche von einem „Stintfieber“ sprechen, wenn der Run auf die Restaurants einsetzt. Besonders um Fischrezepte ranken sich seit Jahrhunderten viele Geschichten, die nicht bei allen Gästen Begeisterung auslösen. So wurde der früher in der Elbe so zahlreiche Lachs früher angeblich von den Dienstherren so häufig serviert, dass die Dienstboten den Senat um eine Beschränkung auf zwei Gerichte pro Woche baten. Und ob in der Hamburger Aalsuppe wirklich „allns bün“ (Plattdeutsch für „alles drin“ ist, lässt sich kaum klären. Einige behaupten, dass in den ursprünglichen Rezepturen gar kein Aal enthalten war.
„Mit schlechter Zubereitung hat die Hamburger Küche gelitten“, sagt Koch Thomas Sampl, der im Restaurant Vlet auf norddeutsche Küche und auch auf Hamburger Rezepte setzt. „Es gibt manchmal in Hamburg wirklich nicht so tolles Labskaus. Ein Labskaus aus der Dose oder aus Corned Beef geht gar nicht“, sagt er. Im Vlet serviert Koch Sampl auch Mehlbeutel-Gerichte, wie den „Großen Hans“ klassisch mit Fruchtkompott oder einen „Hamburger Rauchfleischkloß“. Rezepte, die „fast ausgestorben sind und die man nur richtig vermitteln muss“, sagt er.