Hamburg. Unter dem U-Bahn-Viadukt in Harvestehude gibt es Leckeres vom Markt – und tolle Restaurants. Teil fünf der großen Serie.

Stilvoll und schick ist es hier in Harvestehude. Die Isestraße kommt daher wie eine Dame mit sehr gutem Geschmack. Gediegen im nördlichen Teil, französisch im Süden, wo die U-Bahn auf einem Viadukt fährt. Auch Italien ist hier zu Hause, in Form von gleich drei Lokalen. Das beschwingte, umtriebige Marktplatz-Lebensgefühl, es passt so gut hierher – und zweimal die Woche bevölkert es sogar die Straße.

1. Die Brücke Hier steht die Zeit still. Wer hier essen geht, nimmt auch eine kurze Auszeit vom Stress der Modernisierung, vom „höher, schneller, weiter“. Seit 31 Jahren hat sich in dem bekannten Lokal mit den 30 Sitzplätzen kaum etwas verändert, letztens wurde ein neues Bild aufgehängt, das schon einer Revolution glich. Es gibt keine Internetseite, jeden Tag eine per Hand geschriebene Karte, gezahlt wird am liebsten in bar, keine Kreditkarten. Die Tische sind an den Ecken schon etwas angeschlagen, sieht man aber abends nicht, da liegen weiße Tischdecken drüber. Besitzer Branco Goricki, der im selben Haus wohnt, glaubt, die Zeitlosigkeit sei das Erfolgsgeheimnis seines Restaurants.

Mittags voll, abends voll – könnte auch am guten Geschmack des Essens liegen, aber wer weiß. Wolfgang Joop, Ben Becker, Anne Will, viele Prominente waren und sind hier zu Gast. Sonntags kommen die Familien zum Schnitzelessen; heute scheint großer Freundinnen-Lunch-Tag zu sein, selten so viele Frauen auf einem Haufen begeistert essen gesehen. Selleriecremesuppe (7,50 Euro), gefüllte Sauerkrautwickel (12 Euro) oder Lachsfilet mit Blattspinat (15 Euro) – alle Teller gehen komplett leer zurück. Der Koch scheint nicht von gestern zu sein.
Isestraße Ecke Innocentiastraße, Mo–Sa 12–15 Uhr, Sa ab 18 Uhr, 040/4225525,

2. La Fattoria Ist das ein Antiquitätenladen? Oder eine Weinhandlung? Oder ein Restaurant? La Fattoria ist alles auf einmal. Während man Spaghetti al Tartufo fres­co (18,90 Euro) oder Wintersalat mit gebratenem Hühnchen (14,90 Euro) isst, kann man sich überlegen, ob man den italienischen Kronleuchter aus dem 18. Jahrhundert über sich erwerben möchte. Der Spiegel schräg gegenüber hat auch was, wirkt wie aus einem Prinzessinnen-Film. Was würde der denn kosten? Oh, 5000 Euro? Wirklich? Dann nehme ich doch lieber die Flasche Gavi für 12 Euro. Besitzer Pino Cannavale aus Sorrent kennt sich aus mit Wertvollem, das fängt bei ihm schon mit den Gewürzen an – und dann das Öl. „Wenn ich in einem anderen Laden schon dieses billige Indus­triezeugs schmecke, dann muss ich gleich wieder gehen“, sagt Cannavale, ohne dabei in irgendeiner Form arrogant zu wirken. Er mag eben nur Erstklassiges, wie das Olivenöl aus der Toskana.

Eine Kundin kommt rein. „Ciao bella!“ „Mein Lieber, heute Abend kommt Besuch, stellst du mir was für 20 Leute zusammen?“ Natürlich, das Catering der Fattoria erfüllt jeden Wunsch. Seit 1984 gibt es diesen Shop im Shop, deren drei Betreiber Mitglieder der Slow-Food-Bewegung sind und die auch um die Historie der Kulinarik wissen. Cannavale kann interessante Geschichten erzählen darüber, wie beispielsweise die Römer kochten und wie Lemongras aus Asien in ihren Amphoren landete. Interessiert Sie jetzt auch, oder? Einfach mal hingehen.
Isestraße 20, Di–Sa 10–16 Uhr, 040/4200255, www.lafattoria-hamburg.de

3. Isemarkt Was soll man noch schreiben? Der Isemarkt ist ein Klassiker. Selbst wer satt hingeht, bekommt bei all den Verlockungen plötzlich Hunger. Unbedingt mal das Brot vom Dinkelmeister probieren oder eine Suppe am Stand mit den vegetarischen Spezialitäten (alle 4 Euro). Wie man den findet? Da, wo ab 11.30 Uhr die längste Schlange ist.
U-Bahn-Station Hoheluft bis Eppendorfer Baum, Di und Fr 8.30–14 Uhr

4. Die Glocke Noch einmal tief Luft holen und dann rein. Die Glocke ist eine Raucherkneipe, wie es sie so wahrscheinlich kein zweites Mal in ganz Hamburg gibt. Schon mittags um 12 Uhr riecht man hier wie auf dem Kiez um 5 Uhr morgens – vor dem Rauchergesetz. „Das sieht ja aus wie ganz früher bei uns in Berlin“, sagt ein Tourist, der mit großen Augen in der Tür steht. „Keine Ahnung, wie es früher bei euch in Berlin aussah, aber hier sieht’s gut aus“, sagt Mikko Gelhaar. Der 72-Jährige hat recht. Antike Gussglasfenster, das „Lied von der Glocke“ steht in Auszügen an der Wandvertäfelung, zwei Freunde spielen Schach, an der Theke wird frisches König Pilsener gezapft. Rustikalität kam einem selten schöner vor. Gelhaar führt diese Institution seit 40 Jahren, ungefähr genauso lange rauchte er Roth-Händle ohne Filter, vor einiger Zeit ist er umgestiegen auf etwas Leichteres. „Die Roth-Händle bekam ich an meinen Bronchien nicht mehr vorbei“, sagt er.

Gelhaar sitzt an seinem Lieblingsplatz Tisch 3, und man hofft, dass er dort noch sehr, sehr lange sitzt, denn Gastronomen wie er sind Raritäten. Egal wer reinkommt, er kennt die Gäste eigentlich alle, hier hat man einen Eindruck davon, wie Harvestehude vor ein paar Jahrzehnten funktioniert haben muss, und man ärgert sich ein bisschen, dass man damals nicht dabei war. An den Markttagen wurden hier legendäre Partys gefeiert, da bauten die Männer die Stände auf und gingen um spätestens 9 Uhr in die Glocke.

Das Verkaufen überließen sie ihren Frauen. „Die Generation der Markthändler hat sich natürlich geändert“, sagt Gelhaar. Aber ihre Söhne sitzen dienstags und freitags immer noch hier, manchmal nur für ein Bier, manchmal zum Aufwärmen und für einen Schnaps auf dem Weg zum Klo, manchmal verkaufen sie sogar etwas beim Sitzen. „Hans, hast du noch einen schönen Fisch für mich? Wollte nachher was kochen.“ „Jau, warte, ich ruf mal eben meinen Kollegen am Stand an.“ Zack, fünf Minuten später kommt der Kollege mit dem Fisch vorbei, Geld raus, Dankeschön. Der Isemarkt spielt sich zu großen Teilen auch in der Glocke ab, das ahnen die wenigsten.
Isestraße Ecke Klosterallee, täglich 12–2 Uhr, an Markttagen (Di und Fr) 9–23 Uhr, 040/4203282

Prost. Ein Hauch von früher zieht durch Mikko Gelhaars legendäre Kneipe Die Glocke
Prost. Ein Hauch von früher zieht durch Mikko Gelhaars legendäre Kneipe Die Glocke © HA | Andreas Laible

5. Lebeleicht Das komplette Gegenteil der Glocke erwartet einen hier. Alles neu, alles gesund. Ausgeschlossen, dass sich Fans der Glocke jemals hier hineinverirren – und umgekehrt. Ingwershots, Mandelmilch, Granola und jede Menge Säfte, zum Beispiel der „Wake me up“ aus Apfel, Gurke, Limette, Ingwer und Minze (4,50 Euro).

Die Mitarbeiter starten morgens um 5.30 Uhr damit, aus Obst und Gemüse mittels einer hydraulischen Presse die verschiedenen Nährstoffe zu extrahieren und mit wenig Kontakt zu Sauerstoff sofort abzufüllen. „Wir versuchen, durch das aufwendige Verfahren die größtmögliche Nährstoffdichte zu erhalten“, sagt Besitzerin und Ernährungsberaterin Tine Weigand. Gut für die Leber, gut für’s Immunsystem, gut für die Darmflora usw. Eine Gastronomie, die schon fast an Apotheke grenzt.
Isestraße 74, Mo–Fr 9–18 Uhr, Sa 10–18 Uhr, 040/64837869, www.lebeleicht-hamburg.de

6. Harry's Eine Tür weiter ist man dann in Italien. Im Harry’s ordert man Panini mit Tomate und Mozzarella (5 Euro) zum Cappuccino (3 Euro) und erhält dazu kostenfrei ein sommerliches Lebensgefühl. Das Café im Eingang des wunderbaren Kaufhauses Kaufrausch ist wie eine Piazza in Florenz, die den ganzen Tag belebt ist. Morgens um 10 Uhr knutscht hier schon ein Paar am Tresen, mittags kommen die Eppendorfer, um Suppe zu löffeln oder Chili con Carne zu essen, gegen Feierabend trifft sich die Nachbarschaft auf einen Aperol Spritz – manche kommen sogar mehrmals am Tag. „Darum geht es doch im Leben, um Begegnungen“, findet Besitzer Harald Zachert. Der 56-Jährige weiß, wie er sich von den großen Kaffeeketten abheben kann. Kommunikation, Nachbarschaft und Freundlichkeit lassen sich eben nicht auf einen Pappbecher kritzeln.
Isestraße 74, Mo–Fr 10–19 Uhr, Sa 10–18 Uhr, 040/4802728, www.kaufrausch-hamburg.de

Harald Zachert, genannt
Harry, mit einem Kollegen in seiner gleichnamigen Bar
Harald Zachert, genannt Harry, mit einem Kollegen in seiner gleichnamigen Bar © HA | Andreas Laible

7. Tiefenthal Wer sich für Kunst interessiert, hat hier immer was zu gucken. Alle zwei Monate ändert sich die Ausstellung, zurzeit hängen Werke des Graffiti-Künstlers HOOD1 an den Wänden. „Unsere Kunst soll nicht nur dekorativ sein, die darf ruhig ein bisschen provozieren und zu Gesprächen anregen“, sagt der Chef des Hauses, Thomas Naerger. So kann man bei Wiener Schnitzel (14,50 Euro) oder einer Glasnudel-Bowl mit Thaispargel (14,50 Euro) herrlich darüber nachdenken, ob man Abstraktes nun versteht oder nicht.

2001 eröffneten Naerger und sein Partner Jörg Osterloh das Tiefenthal, den Namen hatten sie auf alten Bauzeichnungen entdeckt. Erst später erfuhren sie, dass er einer Familie gehörte, die hier in den 60er-Jahren ein Lokal betrieben hatte. Der Sohn hatte erfreut gesehen, dass plötzlich wieder sein Familienname am Schild stand. Insofern handelt es sich auch beim Tiefenthal um eine ganz alteingesessene Eppendorfer Lokalität.
Isestraße 77, Mo–Mi 11.30–0 Uhr, Do & Fr 11.30–1 Uhr, Sa 10–1 Uhr, So 10–0 Uhr, 040/46961672, www.tiefenthal-hh.de

8. Positano Und wieder sind wir in Italien, die Isestraße hat ein Händchen für das Mediterrane. „Ciao bella!“ So geht ein Abendessen ja schon mal gut los. Enzo (offiziell soll er Vincenzo Galani heißen) vom Positano ist einer von diese Wirten, die allein durch ihre Anwesenheit die Speisen veredeln. So herzlich, so lustig, so sonnig – der hat seine Heimat (klar: Positano) im Herzen.

Sein Publikum trägt eher Chanel als H&M und hat kein Problem damit, noch die dritte Flasche des besten Weines zu bestellen. „Die Leute hier sind nicht arm, aber ich will alle bedienen, ich würde nie Unterschiede machen“, sagt Enzo. Einerlei, ob man Calamari, Fischsuppe, Risotto con Scampi (24,50 Euro) oder Saltimbocca alla Romana (18,50 Euro) bestellt, es wird einen glücklich machen.
Isestraße 147, Di–Fr 12–15 Uhr und 18–23 Uhr, Sa 18–23 Uhr, So 12–0 Uhr, 040/51326699

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