Hamburg. Stefanie Hehn ist nicht nur Chef-Sommelière im Hotel The Fontenay, sondern darf sich seit November auch Master Sommelier nennen.
Manchmal, in ihrer Kindheit, war schon das Frühstück so eine Art Blindverkostung. Und bereits beim ersten Bissen erkannte die kleine Stefanie, ob ihre Mama das Brot mit dem sahnig-cremigen Lieblingsfrischkäse bestrichen hatte oder ob man ihr „mal wieder“ den Aufstrich eines anderen Herstellers unterjubeln wollte. „Also, so eine sensorische Grundbegabung scheint schon vorhanden zu sein“, sagt Stefanie Hehn bescheiden und lacht.
Seit 2020 darf sich Stefanie Hehn Master Sommelier nennen
Doch ebendieses Talent braucht es neben Fleiß und großem Wissensdurst wohl auch, um eine der besten Weinkennerinnen der Welt zu werden. Bei ihrer letzten großen Blindverkostung, der Prüfung zum Master Sommelier im November 2020 in London, lag die 35-Jährige jedenfalls wieder exakt richtig, schmeckte bei drei Weißen und drei Roten binnen 25 Minuten Rebsorte, Region und Jahrgang heraus.
Nur knapp 270 Kenner haben in den vergangenen 60 Jahren diesen wohl härtesten Test der Weinwelt bestanden, darunter sechs Deutsche und mit Hendrik Thoma und jetzt eben auch Stefanie Hehn, der Weinchefin aus dem Luxushotel The Fontenay, gleich zwei Hamburger. „Es macht mich schon stolz, diese Herausforderung bestanden zu haben und mich jetzt Master Sommelier nennen zu dürfen“, sagt Stefanie Hehn und rollt dabei das „r“ so charmant, wie es nur Franken vermögen.
Als Mädchen in Franken hat sie die Weinkönigin bewundert
Aufgewachsen mit zwei Brüdern in der fränkischen Kurstadt Bad Kissingen, gehörte Wein – im Sinne der zugehörigen Kultur – von Anfang an dazu. „Jedes kleine Mädchen hat die Weinkönigin bewundert“, erinnert sich Stefanie Hehn. Aus einer Winzerfamilie komme sie zwar nicht (der Vater arbeitet in einem Sportgeschäft, die Mutter in einem Fachgeschäft für Gardinen), aber „selbstverständlich“ hätten ihre Brüder und sie immer einem engen Freund der Eltern, der neben einer Edelbrennerei auch ein paar Hektar in den Weinbergen besaß, bei der Lese geholfen.
„Das haben wir nie als Arbeit empfunden, sondern immer als Riesenspaß.“ Es sei ihren Eltern wichtig gewesen, den Kindern Respekt für die Umwelt zu vermitteln und zu zeigen, dass Lebensmittel eben nicht nur aus dem Supermarkt kommen. „Wir hatten zum Beispiel einen kleinen Nutzgarten, in dem wir unser eigenes Gemüse gezogen haben. Es schmeckt halt auch besser, wenn man weiß, wo die Produkte herkommen.“ Und gemeinsame Mahlzeiten, zusammen genießen, das sei in der Familie wichtig gewesen.
Leidenschaft für Weine entsteht in der Kindheit
Ihr „Erweckungserlebnis“ in Sachen Wein habe sie wohl als Siebenjährige gehabt, glaubt sie mit einem Augenzwinkern rückblickend. „Auf der Silberhochzeit meiner Eltern gab es zum Dessert nämlich eine Weincreme. Die hat mir jedenfalls richtig gut geschmeckt. Ich habe ordentlich zugelangt, und danach soll ich die ganze Gesellschaft unterhalten haben.“
Nach der Schule lässt sie sich in ihrem Heimatstädtchen im renommierten Laudensacks Parkhotel, dessen Restaurant schon damals mit einem Michelin-Stern dekoriert war, zur Hotelfachfrau ausbilden. „Es war ein großes Glück, von Menschen lernen zu dürfen, die mit Passion bei der Sache sind. Das ist ansteckend und hat mich geprägt“, erzählt Stefanie Hehn, während sie im Restaurant Lakeside, ihrem derzeitigen Arbeitsplatz, sitzt und über die glitzernde Alster schaut.
Sommelière-Ausbildung auf eigene Kosten
Vom ersten Tag ihrer Lehre an habe sie dem Restaurantleiter assistieren und in der Küche alles probieren dürfen. Sie habe schnell gelernt, welcher Wein besonders gut zu welchem Gang passt.
Anschließend arbeitet Stefanie Hehn in der Speisemeisterei in Stuttgart im Service, mit Spitzenkoch Ronny Siewert in Warnemünde und in der legendären Villa Rothschild. Doch der Titel fehlt. Auf eigene Kosten lässt sie sich nach einem Praktikum auf dem Spitzenweingut Oekonomierat Rebholz („bis heute meine Weinfamilie“) in einem Kursus der Industrie- und Handelskammer Koblenz 2009 zur Sommelière ausbilden.
Hehn bildet im The Fontenay den Nachwuchs aus
Im Jahr 2010 kommt sie beruflich zum ersten Mal nach Hamburg, ins Louis C. Jacob. „Tolle zwei Jahre, aber ich kam nicht weiter, der Posten der Chef-Sommelière war vergeben.“ Und Stillstand, etwas, das sich nicht weiterentwickelt – das geht für Stefanie Hehn weder im Glas noch im eigenen Leben. Also nimmt die ambitionierte junge Frau das Angebot vom Tegernsee an, wo sie die Gäste im Restaurant Überfahrt von Drei-Sterne-Star Christian Jürgens bei der Weinauswahl berät.
2017 zieht es sie dann zurück an die Elbe. „Die Chance, von Anfang an im The Fontenay dabei zu sein, war einfach sensationell“, sagt Stefanie Hehn, die in Klaus-Michael Kühnes Hotel an der Alster, das zu den besten der Republik zählt, mittlerweile ein Team aus vier Sommeliers führt und auch den Nachwuchs ausbildet. „Gerade durch den Titel des Master Sommeliers wächst man noch ein bisschen mehr in die Rolle des Mentors hinein“, sagt sie.
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Viele Gäste verlassen sich auf die Chef-Sommelière
Sie liebe ihren Beruf und auch das Restaurant Lakeside, für dessen Küche Sternekoch Julian Stowasser und der ebenfalls mehrfach ausgezeichnete Chef-Patissier Marco D’Andrea mit ihrem Team verantwortlich zeichnen. „Die Zusammenarbeit läuft perfekt, und auch die Gäste sind wirklich super.“
Acht von zehn Tischen, so schätzt sie, würden sich für die von ihr zusammengestellte Weinbegleitung zum Menü entscheiden. „Viele fragen, lassen sich beraten, probieren auch mal was aus – denn nichts ist ja für einen Sommelier frustrierender, als wenn der Gast immer den gleichen Riesling von der Mosel bestellt.“
„Stefanie, bestell doch nicht immer Riesling“
Wobei sie zugeben müsse, dass sie selbst auch für diese Rebsorte schwärme. „Meine Freunde haben mich in der Vorbereitung auf die Prüfung in London auch immer ermahnt: Stefanie, du kannst nicht schon wieder Riesling bestellen. Darüber weißt du doch eh schon alles!“ Knapp drei Jahre lang habe sie für den Test, der aus vier Schwierigkeitsstufen besteht, gelernt. Manchmal schon mit einem kleinen Verkostungsschluck am Morgen.
„Grüner Veltliner und Albariño sind die Hölle, die haben mich fast in den Wahnsinn getrieben, weil sie so gut wie nicht auseinanderzuhalten sind.“ Geschafft hat Stefanie Hehn es im entscheidenden Moment dann doch. „Blindverkostung ist für mich wie Mathematik. Mit dem ersten Schluck bildet sich ein Schema im Kopf, in das ich den Geschmack einordne.“ Für jeden Wein, den sie je probiert habe, habe sie sich ein Profil notiert. Beschaffenheit des Bodens, Klima, wie sich der Wein mit der Zeit entwickelt. „Am Ende ist es wie Kung Fu. Man denkt nicht nach, man macht es einfach.“
Gute Weine gibt es in jeder Preisklasse
Beim Lernen seien übrigens auch Supermarktweine eine Hilfe gewesen. „Tatsächlich schmeckt man bei denen die Traube oft gut raus, weil sie halt weniger komplex ausgebaut sind.“ Guten Wein gebe es in jeder Preisklasse. Aber: „Bis 30 Euro schmeckt man jeden Euro, den man mehr investiert.“ Neben Riesling möge sie Pinot Noir sehr. „Grundsätzlich gilt für mich: Je mehr Profil der Wein hat, desto besser.“ Und man müsse offen sein für Neues.
Gerade erst habe sie sich über eine Neuentdeckung gefreut, als sie für eine Zeitschrift den passenden Begleiter zu einem Artischockensalat empfehlen sollte. „Zack, da kam ich auf den Sauvignon Blanc Numen von Johannes Zillinger. Mit knapp 30 Euro nicht so teuer und richtig gut.“ An ihrem letzten Geburtstag habe sie sich eine Flasche Halenberg 2010 vom Weingut Emrich-Schönleber (139 Euro) gegönnt. „Am Gaumen wie Heilwasser“, sagt Stefanie Hehn und lacht. Nur noch wenige Flaschen davon habe sie im Lakeside-Sortiment. Vielleicht wird es heute Abend, wenn die letzten Gäste gegangen sind, noch eine weniger sein …
Viele Weinbaugebiete gibt es noch zu entdecken
Wenn Reisen wieder einfacher ist, will Stefanie Hehn gern in die Weinbaugebiete Australiens und Südamerikas. „Die kenne ich noch nicht so gut.“ In Frankreich sei es immer traumhaft schön, auch das Piemont sei wunderbar. „Und das Napa Valley in Kalifornien ist natürlich eine Reise wert, wobei das Sonoma Valley fast noch toller ist, weil weniger touristisch.“
Zu entdecken gibt es für Stefanie Hehn also noch viel – auf der Welt und im Glas.