Statt im Müll landen überschüssige Waren hier im Glas. Ein sinnvolle Initiative, von der auch Privatleute lernen können.

Früchte, die in Privatgärten nicht abgeerntet werden, Obst und Gemüse, das nicht makellos genug ist, um im Ladenregal zu landen – das sind die Zutaten der preisgekrönten Kieler Initiative ResteRitter. Ein dreiköpfiges Team plus Helfer sammelt tonnenweise überschüssige Frischware und kocht sie dann zu Fruchtaufstrichen, Chutneys und Säften ein. „Wir müssen jedes Mal kreativ werden, wenn wir sehen, was wir bekommen“, sagt Mitgründer Moritz Dietzsch im Abendblatt-Podcast „Schmeckt’s?“ (zu hören auf abendblatt.de/podcast).

Im Herbst 2017 hatten die drei Studenten die Idee, Obst aus Gärten retten. „Wir haben die Früchte abgeerntet und eingekocht“, sagt Dietzsch, der Geografie studiert und kurz vor dem Abschluss steht. Als der Kieler Großhändler Brötzmann sich meldete und seitdem zweimal pro Woche unverkäufliches Obst und Gemüse abgibt, nahm das Projekt Fahrt auf. „Wir holen ab, was unverkäuflich ist. Oft aus kleinen Ursachen, etwa wegen Druckstellen oder durch die Verpackung. Jeder kennt Limettennetze. Wenn da eine gammlige Frucht drinsteckt, kauft es keiner mehr.“

Die Lebensmittelretter dürfen eine Schulküche nutzen

Im Herbst kommen die Privatgärten und Freiflächen hinzu. Im Jahr 2020 haben die ResteRitter unter anderem Streuobstwiesen von zwei Golfplätzen abgeerntet. „Insgesamt hatten wir etwa drei Tonnen Äpfel. Den Großteil haben wir mit einem Partner, der eine mobile Presse hat, zu Saft und Apfelsecco verarbeitet. Einen Teil haben wir eingekocht. Mit Zimt und Rosinen entstand in der Vorweihnachtszeit die Bratapfelmarmelade. Dazu haben wir das relativ unspektakuläre Apfelmus ein bisschen im Ofen karamellisieren lassen.“

Beim Großhändler gebe es feste Abholtage. „Wir wissen aber nie, was wir bekommen“, so Dietzsch. Das mache die Organisation schwierig.

Die Lebensmittelretter dürfen eine Schulküche nutzen. Ob sie dann allerdings drei Kisten Ananas, 30 Kilo Äpfel oder reichlich Tomaten vor sich liegen haben, wissen sie zuvor nicht. „Mal steht man vier Stunden in der Küche, mal zehn oder zwölf, bis tief in die Nacht.“ Mittwochabends und am Wochenende wird geschnippelt und eingekocht. Dafür ernteten die drei den Nachhaltigkeitspreis des Landes Schleswig-Holstein.

In der Rettungsküche spielen Rezepte eine wichtige Rolle

Eigentlich steht ein Team von acht bis zehn Leuten bereit, das beim Ernten und Verarbeiten im Rahmen von Schulprojekten oder auf Schnippelpartys hilft. Gerade das Schulkochen ist Dietzsch wichtig: „In einer siebten, achten Klasse hat über die Hälfte der Kinder noch nie eine Marmelade gekocht oder überhaupt mal entschieden, aus welchen der vorhandenen acht Sorten Obst eine Marmelade entsteht, die man sich gern aufs Brot schmieren oder ins Joghurt hineingeben möchte.“ In Corona-Zeiten bleiben die ResteRitter zu dritt.

In der Rettungsküche spielen Rezepte eine wichtige Rolle. Neue Varianten werden im kleinen Topf getestet, bevor sie im großen Topf in Produktion gehen. Inzwischen hat das Trio ein Gespür dafür, welche Sorten zusammenpassen. Wann was kommt, bestimmen auch die Saisonzeiten. „Erdbeeren gibt es vor allem am Anfang und Ende der Saison. Dann sind die Qualitäten nicht mehr so schön, und es wird eher etwas aussortiert“, sagt Dietzsch. „Apfel-Fliederbeere gab es im Herbst, als wir Fliederbeeren ernten konnten.“

Mirabellen-Chutney mit Kurkuma und Senfsaat

Über die Jahre seien mehr als 100 Produkte entstanden und größtenteils nach dem Ausverkauf wieder verschwunden. „Unser Mirabellen-Chutney mit Kurkuma und Senfsaat war ungewöhnlich, aber auch ungewöhnlich lecker“, sagt der 1995 in Frankfurt geborene Kieler. „Apfel-Quitten-Gelee mit Ingwer haben wir gerade neu im Angebot. Für Ingwer-Liebhaber.“ Einige Erzeugnisse wurden zu Klassikern. Wie das Tomaten-Paprika-Apfel-Chutney.

Für Chutneys nutzen die Kieler zwei bis drei Grundrezepte. „Sie haben immer einen Essig- und einen süßen Anteil. Am besten auch etwas Scharfes, über Chili oder Ingwer. Wenn wir beim Händler ankommen, haben wir vielleicht Tomate, Apfel, Paprika und wollen ein Chutney machen. Aber es fehlt der Ingwer. Den kaufen wir dann zu.“ Dagegen wächst die Zutat Minze im eigenen Hochbeet. „Angefangen hat das, weil wir mal fünf Töpfe Minze bekommen hatten. Wir haben gemerkt, dass sie den Marmeladen einen frischen Kick gibt.“

 Das Apfelpektin kaufen die ResteRitter zu

Produkte, die mehr Frucht als Zucker enthalten, sind nach der europäischen Konfitüren-Verordnung Fruchtaufstriche. Dort ist die Zugabe von Gewürzen oder zum Beispiel von Amaretto erlaubt. Marmelade besteht, aus dem Englischen abgeleitet, nach der Verordnung nur aus Zitrusfrüchten. „Das, was Oma zu Hause kocht, ist also Fruchtaufstrich“, sagt Dietzsch. „Die wenigsten setzen heutzutage Zucker im Verhältnis 1:1 ein, vielmehr Gelierzuckermischungen 2:1 oder 3:1. Die nehmen wir nicht.“ Die Mischungen enthalten Konservierungsstoffe, meist Sorbinsäure. „Hinzu kommt oft eine Rieselhilfe wie Sonnenblumen- oder Palmöl, damit die Stoffe nicht verklumpen“, sagt der Früchtekoch.

„Wir verwenden reinen Zucker und reines Apfelpektin. Das Pektin ist etwas schwieriger in der Anwendung; ich muss es genauer dosieren und eine Gelierprobe machen. Dann komme ich aber zu demselben Ergebnis. Das heißt: Ich kann weniger Zucker nehmen und über das Apfelpektin die Gelierung steuern“, erklärt Dietzsch. Das Apfelpektin kaufen die ResteRitter zu. Es wird in hochtechnischen Prozessen aus Apfelschalen und Zitronenschalen hergestellt.

Wer angeschlagene Früchte, etwa Erdbeeren, selbst einkochen möchte, sollte genau hinschauen, rät Dietzsch: „Wenn die Erdbeere nicht mehr schön aussieht, mal ein Stück abschneiden und probieren. Handelt es sich nur um optische Mängel, kann ich sie gut verwenden. Wenn sie schon nach Schnaps schmecken, jedoch nicht mehr.“ Der Produktionsprozess ist überschaubar: gut rühren, einmal aufkochen lassen. Zucker und Geliermittel hinzufügen. Zwischendurch etwas heiße Flüssigkeit auf einen kleinen Teller geben, pusten und leicht abkühlen lassen, um die Festigkeit zu prüfen. Dietzsch: „Jede Frucht bringt einen eigenen Pektingehalt mit. Äpfel und Quitten haben viel Pektin, Erdbeeren wenig. Da muss man sehen, dass die Marmelade fest wird.“

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Beim Marmeladekochen könne man wenig falsch machen, sagt der Hobbykoch. Es sei denn, man rührt nicht genug. „Und der Topf sollte groß genug sein, weil das Ganze plötzlich sehr stark schaumig aufkochen kann.“ Ansonsten seien der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Erdbeermarmelade mit Apfel, mit Minze, mit Pfirsich, mit Amaretto oder Rum. Kleiner Tipp: „Ein Spritzer Zitrone schützt vor zu dominanter Süße.“ Zum Abfüllen die Gläser sterilisieren, zum Beispiel zehn Minuten lang bei 120 Grad in den Backofen stellen. Die Deckel in heißes Wasser tauchen. Dann die Marmelade direkt in die heißen Gläser geben und zuschrauben. Man kann gut alte Marmeladengläser nutzen. Allerdings dürfen die Deckel beim Öffnen nicht verbogen worden sein, weil sie dann nicht mehr luftdicht schließen.

Die ResteRitter wollen aus verderblichen Resten lang haltbare Produkte machen. Allerdings lässt sich nicht alles retten. „Wenn etwas verschimmelt ist, geht nichts mehr“, so Dietzsch. „Und Salat lässt sich weder einkochen noch einfrieren. Wir haben es auch nicht geschafft, Wassermelone so einzukochen, dass sie schmeckt. Vielleicht gibt es da noch Tricks, aber uns ist das nicht gelungen.“

Verkauf online und in Unverpackt-Läden

Um noch mehr retten zu können, will das Team zukünftig weitere Methoden, etwa das Dörren, ausprobieren. Oder Salzgemüse als Gemüsesuppen-Ersatz herstellen.

Ein Großteil der eingekochten Ware geht an den Großhändler, der die Frischware bereitstellt. Die Produkte sind in Kiel in zwölf Läden erhältlich, sagt Dietzsch: „Die verstehen unsere Philosophie und dass es bei uns eben nicht möglich ist, einzelne Sorten nachzubestellen, sondern dass das Angebot ständig wechselt. In Ahrensburg hat Unverpackt gerade wieder ein großes Paket bekommen. Unverpackt-Läden passen sehr gut zu uns.“

Der Onlineshop ist während der Pandemie gewachsen, ein großer Vertriebsweg dagegen verwehrt: „Wir waren auf Veranstaltungen, auf Herbstmärkten, Weihnachtsmärkten, hier in Hamburg in der Rindermarkthalle, haben unsere Geschichte erzählt und unsere Produkte zum Probieren angeboten. Wir haben den Leuten gesagt, dass wir mit jedem Glas an die Stiftung Mittagskinder spenden, für Mittagessen für Schulkinder. Unser Ziel ist, die Menschen zu überzeugen, selbst weniger wegzuwerfen. Mehr als 50 Prozent der Lebensmittelverschwendung passiert in den privaten Haushalten. Wenn wir alle als Verbraucher umdenken, die Lebensmittel mehr wertschätzen und weniger wegwerfen, dann können wir dieses große Problem wirkungsvoll angehen.“

In Hamburg gibt es übrigens eine ähnliche Initiative. Sie heißt „Das Geld hängt an den Bäumen“. Das Team produziert Säfte und Schorlen und beliefert sowohl Privatleute als auch Gastronomen.

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