Anonym und unbestechlich: Abendblatt-Autoren testen die Läden der Luxus-Labels in Hamburg. Dieses Mal: Chanel in der Neuen ABC-Straße.

Nobel und gleichzeitig fabelhaft aussehen, so wie Chanel es versoricht, - wer will das nicht? Ich möchte – wäre aber fast daran vorbeigelaufen. An der Boutique in der Neuen ABC-Straße prangt kein großes Schild, kein Logo. Auf der gläsernen Eingangstür entdecke ich schließlich den Namen, der mich dezent darauf hinweist, dass ich hier richtig bin – bei Chanel.

Es ist Dienstag, später Nachmittag, und in dem übersichtlichen Geschäft herrscht Ruhe. Abgesehen von einer leisen Hintergrundmusik. Ich betrete den weichen, grauen Teppich. Die Einrichtung ist weitestgehend in Weiß und Schwarz gehalten, pure CC-CI. Mein Blick bleibt direkt an einer Vitrine haften, in der ich einen echten Klassiker entdecke: die schwarze Handtasche aus gesteppten Leder, verziert mit dem goldenen Markenemblem, dem verschlungenen C – jede Insiderin kennt sie als die „2.55“.

Shopping Kanal; Chanel Stiefel; lok, Vera Altrock
Shopping Kanal; Chanel Stiefel; lok, Vera Altrock © Hamburger Abendblatt / Andreas Laible/Andreas Laible | Hamburger Abendblatt / Andreas Laible

Ich gebe mich meinen Träumen hin („Könnte ich nicht…? Bald ist doch Weihnachten…), als mich eine Verkäuferin freundlich bestimmt mit der Frage „Kann ich Ihnen helfen?“ auf den Boden der Realität zurückholt. Ihr Strickkostümchen, kombiniert mit Pumps und obligatorischer Perlenkette, macht mir auf schmerzhafte Weise bewusst, dass das teuerste Kleidungsstück an mir nur geliehen ist – und dazu (bewusst) in einer großen „Douglas“-Tüte steckt. Es sind cremefarbene Overknee-Stiefel aus glattem Leder. Mit einem goldenen Blockabsatz, auf dem recht deutlich der Chanel-Schriftzug prangt. Meine Kollegin hat diese vor vier Jahren geschenkt bekommen, sie allerdings nur zwei Mal getragen. Das liege nicht an dem güldenen Hingucker, wie sie verrät, sondern an ihrem schmalen Bein. Der Schaft ist einfach zu weit. Da wir eine ähnliche Statur besitzen, werde ich mich ihres Problems annehmen – und nach einer Änderung fragen.

Die Verkäuferin nickt mir aufmunternd zu, als ich, etwas zögerlich, die Stiefel aus der besagten Papiertasche ziehe und ihr den Fall schildere. Sogleich ruft sie eine Kollegin zu Hilfe. „Ich kenne mich damit nicht aus“, entschuldigt sie sich. Die andere Dame ist dagegen bestens informiert. „So etwas machen wir hier nicht“, sagt sie entschieden. Dafür könnte sie mir jedoch einen Schuster in der Rothenbaumchaussee empfehlen, mit dem Chanel zusammenarbeite. Ich bin verdutzt. „Die Stiefel kann ich aber nicht hier abgeben?“ Nein, das gehe nur bei Produkten, die direkt in der Boutique gekauft werden. Oder auch dann, wenn eine Kundin überlegt, sich etwas Chanel zuzulegen, nur die passende Größe nicht vorhanden ist. Mein Nachteil also: Die Stiefel sind offensichtlich ein älteres Modell, zudem nicht hier gekauft. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, in diesen Laden zu passen wie Karl Lagerfeld zu C&A. Mag wohl an der Tüte liegen.

Die Verkäuferin schreibt mir den Namen, die Adresse und Telefonnummer des Schusters ihres Vertrauens auf. „Nehmen Sie am besten die Stiefel mit, dann kann er direkt die Schaftweite anpassen“, empfiehlt sie, drückt mir den Zettel in die Hand. Der Ton ist freundlich, der Tipp sicherlich hilfreich. Doch stört es mich, dass sie dabei zielstrebig in Richtung Tür zusteuert. Ich denke an Julia Roberts in „Pretty Woman“. Wie sie verzweifelt versucht, in einer Nobelboutique am Rodeo Drive ein Kleid zu kaufen. Ich fühle ähnlich. Keine Nachfrage, ob ich noch einen Wunsch habe. Oder ob ich denn einmal schauen möchte. Die Tür wird geöffnet. „Auf Wiedersehen“, flöten beide Damen unisono. Ich glaube nicht.

Versöhnlich stimmt mich allerdings die Reaktion von Stéphane Blanchard, Geschäftsführer Chanel Deutschland. Auf den Vorfall angesprochen, sagt er: „Wir bedauern sehr, dass der Besuch in unserer Boutique in Hamburg den beschriebenen Verlauf genommen hat. Ein solches Verhalten entspricht definitiv nicht unserer Unternehmensphilosophie in Bezug auf Service, Beratung und Freundlichkeit.“ Man werde diesem Vorfall intern nachgehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ich träume indessen weiter. Von Chanel-Stiefeln. Meinen eigenen.

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Kundenfreundlichkeit: Die Verkäuferinnen sind höflich und aufmerksam. Allerdings wurde kein weiteres Gespräch gesucht, keine Produkte gezeigt. Offenbar sind es vor allem Stammkunden, die in dieser Boutique willkommen sind.

Service: Bei Kleidungsstücken, die in dem Geschäft direkt gekauft werden, werden Änderungs-, oder Reparaturwünsche berücksichtigt. Ein Umtausch ist innerhalb von 14 Tagen in den Chanel-Geschäften weltweit möglich, der Kassenbon muss vorgezeigt werden. Zudem wird kein Geld ausgezahlt, sondern es kann zwischen neuer Ware und Gutschein gewählt werden.

Kompetenz: Bei dem spezifischen Problem wurde direkt und schnell geholfen. Eine weitere Möglichkeit, sich über neue Kollektionen oder Einzelstücke zu informieren, ergab sich aus dem kurzen Gespräch nicht.

Adresse: Chanel Boutique, Neue ABC-Strasse 2, 20354 Hamburg, www.chanel.com

Informationen zur Marke:

Eine Frau, sagte sie einmal, brauche nur zwei Attribute: nobel möge sie sein. Und fabelhaft. Sie selbst verkörperte diesen Anspruch wie kaum eine andere. Die Rede ist von Gabrielle Bonheur Chanel, bekannt als Coco Chanel. Allein der Name weckt Begehrlichkeiten. Nach einer Eleganz, die zeitlos, aber nie spießig ist. Nach glamouröser Weiblichkeit, die ohne großen Pomp und Glitzer auskommt. Coco Chanel, das Mädchen aus dem Waisenhaus, begann 1910 in ihrem Pariser Hutgeschäft mit dem Aufbau einer Weltmarke. Das verschlungene, meist goldene CC hat bis heute nichts an Strahlkraft verloren.

Die französische Designerin setzte die Trends – ganz gegen den Zeitgeist. Ihre Kreationen waren der modische Beitrag zur Gleichberechtigung. Statt Korsett und Reifrock entwarf sie schlichte, fast strenge Kleider in dezenten Tönen. Sie kürzte Röcke auf eine damals skandalöse Länge unterhalb des Knies. Das oft kopierte „kleine Schwarze“ von 1926 wurde zu einem der zahlreichen Klassiker, sowie ihr Parfum „Chanel No. 5“, dem meistverkauften Duft der Welt. 1954 erreichte ihr Ruhm einen neuen Höhepunkt – mit der Schöpfung jenes Tweedkostüms, das heute mehr denn je Statement für Pariser Chic und Sexyness ist.

Die Marke Chanel lebte von der Persönlichkeit dieser Frau. Und sie starb mit ihrem Tod im Jahre 1971. Zumindest ein bisschen. Es fehlte der kreative Kopf, das Aushängeschild, eine Projektionsfläche. Man fand sie erst 1983. In Karl Lagerfeld. Seitdem zählt das von Alain und Gerard Wertheimer privat geführte Unternehmen zu den größten in der Mode- und Kosmetikbranche. Der ärgste Konkurrent: Der Luxusgüterproduzent und Branchenprimus LVMH (rund 60 Luxus-Marken, u.a. Hermès, Louis Vuitton, Moët & Chandon, Dior), der sich angeblich mehrfach an Chanel interessiert gezeigt haben soll. Bisher vergeblich, boomt doch der Verkauf. Über genaue Beträge schweigt man sich vornehm aus. So schätzen Experten den jährlichen Umsatz auf 2,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Mitarbeiter in rund 200 Filialen soll bei 16.000 liegen.

Ein Erfolg, der vor allem dem eigenwilligen Modeschöpfer aus Hamburg zugeschrieben wird. Ihm gelingt es, das Label mit seinen eindrucksvoll inszenierten Haute Couture-, und Prêt-à-porter-Linien stets weiter zu entwickeln. Und sie auch für die junge Kundin interessant zu machen. So schmückte etwa Chanels „Creative Director Make-Up“ Peter Philips für die Frühjahr/Sommer-Fashionshow 2010 die Haut der Models mit coolen wie filigranen Tattoo-Designs. Mit der Kollektion „Les Trompe - L'OEil de Chanel“ spielte das Label mit einem Körperschmuck, das zuvor eher mit einem Rockstar-Accessoire denn mit High Fashion verbunden wurde. Ähnlich der Hype um den Chanel Nagellack in der Farbe „Particulière“.

Es verwundert angesichts dieser Leistungen, die zwar nicht ausschließlich Karl „le Grand“ zuzuschreiben sind, aber doch stets seine Ausstrahlung, seine Handschrift tragen, wohl kaum, dass regelmäßig herumgeisternde Gerüchte um ein Designerwechsel bei Chanel ein regelrechtes Erdbeben in der Branche auslösen. Im Frühjahr raunte man sich, mal wieder, den Namen eines Nachfolgers zu. Kein Unbekannter. Alber Elbaz, kreativer Kopf bei Lanvin, stünde bereit. Das Dementi von Chanel kam direkt – und war unmissverständlich: Wir wollen Karl Lagerfeld nicht ersetzen, hieß es. Dafür gibt es schließlich keinen Grund. Er hat Chanel einen neuen Glanz gegeben, ohne das zu verraten, was die Modefirma einst groß machte: Frauen nobel und gleichzeitig fabelhaft aussehen zu lassen.