Modebloggerinnen ziehen durch die Stadt auf der Suche nach Kleidung und Make-up und zeigen dann online in einem Video, was sie erbeutet haben.
Hamburg. "Hallo Mädels, ich war heute beim Winterschlussverkauf", sagt Jojo aus Winterhude und winkt in die Kamera. Anschließend philosophiert sie ein bisschen über den Ausdruck "Schlussverkauf" und kommt dann auf den Punkt: "... ich wollte euch zeigen, was ich gekauft habe." Und dann geht es los. Jojo zerrt ein Kleidungsstück nach dem anderen ins Bild, beschreibt Schnitt, Farbe sowie Kombinationsmöglichkeiten und - ganz wichtig - nennt den Preis. Vier T-Shirts, zwei Kleider, eine Hose, ein Halstuch und ein Paar Stiefel später ist das 13 Minuten lange Video zu Ende. Mehr als 6000-mal wurde der Film schon auf der Internetplattform YouTube aufgerufen.
Das klingt nach vielen Zuschauern für das öffentliche Ausschütten von Einkaufstüten, ist aber wenig im Vergleich zu "juicystar07" aus den USA, die im echten Leben Blair Fowler heißt. Ihre sogenannten Haul-Videos werden bis zu einer Million Mal aufgerufen. Mehr als 600 000 Zuschauer haben ihren Kanal, eine Art Nutzerprofil mit mehreren Videos zum Ansehen, auf YouTube abonniert und sehen regelmäßig ihre Filme. Der in Amerika weit verbreitete Trend findet auch in Hamburg immer mehr Anhänger.
"Haul" kann mit Raubzug übersetzt werden, was das Konzept der Videos gut trifft. Mädchen, meist Modebloggerinnen, ziehen durch die Stadt auf der Suche nach Kleidung und Make-up und zeigen dann online in einem Video, was sie erbeutet haben. Besonders beliebt sind Schnäppchen und Sonderangebote, auf die die Mädchen geradezu serviceorientiert hinweisen. "Da habe ich einfach eine viel größere Plattform und bekomme viel mehr Feedback als auf meinem Blog", sagt Jojo. Ihren vollen Namen will sie nicht nennen, schließlich gebe es doch noch einen Unterschied zwischen ihr als Privatperson und der Frau auf dem Bildschirm. Ein paar Informationen gibt sie trotzdem preis: Sie ist 30 Jahre alt und arbeitet als Fotoredakteurin in Hamburg. Seit zwei Jahren betreibt sie den YouTube-Kanal "MySimpleLifeTV".
"Beim ersten Video war ich total verkrampft", sagt Jojo. "Es ist ja schon irgendwie komisch, in eine Kamera zu sprechen, so als ob da jemand vor einem sitzt." Mittlerweile könne sie ihre Zuschauer anhand der Kommentare, die sie abgeben, aber gut einschätzen. Auch ohne Internet sind Schminken und Mode ein großes Hobby von Jojo. "Über das Internet habe ich viele Mädels kennengelernt, denen es genauso geht." Mit ihren "realen" Freunden unterhält sie sich eher über andere Themen, sagt sie.
Für Forscher ist das aber nicht der einzige Beweggrund, warum die Mädchen aller Welt erzählen wollen, was sie wie, wo und warum gekauft haben. "In erster Linie geht es um Selbstdarstellung, und YouTube ist die Bühne", sagt Daniel Wagenführer, 28, der am Institut für Marketing und Medien der Universität Hamburg zum Thema "Social Web" forscht. Gleichzeitig glaubten die Videobloggerinnen, durch Sicherheitseinstellungen Kontrolle darüber zu haben, wie sie wahrgenommen werden. "Aber das funktioniert so nicht", sagt Wagenführer. "Die Zuschauer wiederum lieben die Videos, weil sie den Eindruck haben, dass ein normales Mädchen wie sie ihnen eine authentische Meinung vermittelt." Ein Irrglaube, sagt der Wissenschaftler.
"Die große Masse erkennt gar nicht, wie das Prinzip funktioniert." Denn viele Unternehmen haben die Videos bereits als Werbemöglichkeit entdeckt. Sie bezahlen Bloggerinnen, schicken ihnen Proben zu, in der Hoffnung, dass diese besprochen werden, oder haben eigene Blogs, die erst auf den zweiten Blick als gewerblich erkennbar sind. "Im Grunde ist das eine moderne Form des Lobbyismus", sagt Wagenknecht. Ziel: Menschen an Marken zu binden.
Auch Jojo kennt das. Mindestens einmal pro Woche bekommt sie ein Päckchen mit Proben. "Aber ich lass mich da zu nichts verpflichten", sagt sie. Wenn sie das Produkt "mies" finde, erwähne sie es eben nicht.
Bei der Häufigkeit, mit der manche junge Frauen ihre "Ausbeute-Videos" veröffentlichen, fragen sich viele Zuschauer, wann die Bloggerinnen das alles eigentlich mal anziehen oder verwenden wollen. "Das ist natürlich viel zu viel", sagt Jojo. Mittlerweile sei bei ihr eine gewisse Sättigung eingetreten. Viele ihre Schminkutensilien verschenkt sie. "Am Ende kauft man ja eh immer wieder seine Lieblingsprodukte." Zeitintensiv ist ihr Hobby auch. Bis zu fünf Stunden investiert sie jeden Tag in ihren Videokanal. Ihre Einnahmen durch YouTube-Anzeigen seien kaum der Rede wert. "Aber noch macht es mir Spaß, und so lange mache ich weiter."