Hamburg. Finanzsenator will junge Firmen in die Stadt holen – mit neuem Programm. CDU kritisiert fehlende Ausschreibung und “roten Filz“
Der Senat will den Aufbau eines Förderprogramms für junge, digitale Finanzunternehmen in Hamburg mit 9 Millionen Euro unterstützen. Dabei sollen Start-ups aus ganz Europa nach Hamburg geholt werden und hier neue Geschäftsmodelle und digitale Angebote für die Branche entwickeln. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) hat dem Abendblatt die Pläne erläutert.
Hintergrund: Als Finanzplatz hat Hamburg zuletzt keine sonderlich gute Figur gemacht. Erst war da das Debakel bei der HSH Nordbank und danach der Skandal um Warburg-Bank und illegale Cum-Ex-Geschäfte, der bis heute nicht ausgestanden ist. Verändert hat sich die Finanzwelt vor allem durch die Digitalisierung und junge Firmen mit neuen Geschäftsmodellen.
Hamburg hatte zuletzt besonders unter den Veränderungen gelitten: Hier ist die Zahl der Beschäftigten der Finanzbranche seit 2000 schneller gesunken als an anderen Standorten. Um den Finanzplatz zu stärken, hat die Stadt im Oktober mit Handelskammer und dem Branchenverein Finanzplatz Hamburg einen „Masterplan für die Finanzwirtschaft 2021–2025“ unterzeichnet.
Wirtschaft Hamburg: FinTech-Start-ups sollen gefördert werden
Eine dort verankerte Maßnahme ist die gezielte Förderung von FinTech-Start-ups – also jungen Digitalfirmen, die mit innovativen Ideen aus dem Bereich der Finanztechnologie auf den Markt drängen. Das können mobile Bezahllösungen, Versicherungsprodukte, Banking-Angebote und vieles mehr sein. Insgesamt 9 Millionen Euro aus den Corona-Wiederaufbaumitteln gibt Hamburg nun in ein sogenanntes Accelerator-Programm für Finanz-Start-ups, das demnächst starten soll.
Als Accelerator (Beschleuniger) bezeichnet man befristete Programme, die junge Firmen mit digitalen Geschäftsideen unterstützen. Dafür wird ein Fonds aufgelegt, an dem sich Unternehmen der Branche beteiligen – dieser investiert dann in die Start-ups.
Diese bekommen für eine befristete Zeit Ausstattung und Räumlichkeiten sowie Geld für den Lebensunterhalt gestellt und werden mit gutem Netzwerk unterstützt – im Gegenzug erhält der Accelerator bzw. die Fondsteilhaber Anteile des Start-ups. Wird die Firma irgendwann erfolgreich, zahlt sich das für die Geldgeber aus – ebenso wie die direkte Zusammenarbeit mit den innovativen neuen Firmen.
Hamburg will Start-ups in die Stadt holen
Mittlerweile ist auch klar, wer den Hamburger FinTech-Accelerator organisieren soll. Es sind zwei in der Digitalszene nicht ganz unbekannte Herren: Christoph Hüning und Nico Lumma. Lumma hat 2015 zusammen mit der Deutschen Presseagentur den „Next Media Accelerator“ (NMA) in der Speicherstadt aufgebaut, der unter Beteiligung großer Verlage Medien-Start-ups fördert. 2017 stieg Hüning ein. Kürzlich haben beide den NMA übernommen und formen ihn zu einer Wagniskapitalplattform um.
Der Bereich Fintech soll als Teil des nun branchenübergreifenden Accelerators von Anne Geiger geleitet werden. Bald könnten erste Bewerbungsrunden für Start-ups laufen. Zunächst aber müssen viele Finanzunternehmen überzeugt werden, sich am Fonds zu beteiligen.
Von den 9 Millionen Euro der Stadt gehen laut Hüning 5 Millionen in den Fonds, der durch weitere Mittel aus der Branche 15–20 Millionen Euro stark werden soll. 2,5 Millionen der Steuermillionen sollen als Ansiedlungsprämien für außereuropäische Start-ups genutzt werden, der Rest fließt in den Aufbau des Accelerators.
Finanzsenator Andreas Dressel: Für den Neustart nach Corona
„Ob Klimaneutralität, Digitalisierung, Mobilitätswende oder Stadtentwicklung – vor uns liegen große Herausforderungen. Dafür brauchen wir eine leistungs- und zukunftsfähige Finanzwirtschaft“, sagte Finanzsenator Dressel.
Von dem Accelerator verspreche sich der Senat „einen zusätzlichen Schub, denn mit jungen Talenten und innovativen Firmen kann sich Hamburg im internationalen Wettbewerb deutlich stärker positionieren“. Diese Potenziale sollten „gerade jetzt für den Neustart nach Corona“ gehoben werden, „da gut aufgestellte FinTechs positive Rückwirkungen“ auf die ganze Wirtschaft hätten.
Der NMA habe „seit mehr als sechs Jahren dafür gesorgt, dass Start-ups über die Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen schneller wachsen können“, sagte Nico Lumma. „Dadurch werden Unternehmen innovativer, und neue Arbeitsplätze entstehen. Nach erfolgreichem Start in der Medienbranche bauen wir den NMA jetzt um für weitere Branchen – FinTech ist der erste Schritt.“
Senator Dressel hatte auf europaweite Ausschreibung verzichtet
Die Opposition sieht kritischer auf die Entscheidung des Finanzsenators. Der nämlich verzichtete auf eine europaweite Ausschreibung. Stattdessen wurden laut Finanzbehörde Gespräche mit Vertretern von Börse, Banken und Versicherungen geführt.
Nach einer „Marktanalyse“ und daraus resultierenden Einladungen habe man sich Präsentationen des NMA und eines anderen Bewerbers angesehen, wobei der NMA deutlich besser abgeschnitten habe. In einer „Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung“ teilte die Stadt dann im Juli mit, dass man trotz „intensiver Markterkundung“ keinen anderen Anbieter gefunden habe. In der Widerspruchsfrist von zehn Tagen habe es keine Einsprüche gegeben.
"Roter Filz": Scharfe Kritik von der CDU
„Die SPD zelebriert wieder einmal ,roten Filz‘ zulasten der Steuerzahler“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Es ist unbegreiflich, dass für ein Auftragsvolumen von 9 Millionen Euro auf eine Ausschreibung verzichtet wurde.“ Die Begründung, „kein anderer Betreiberkandidat erfülle die Kriterien der Stadt“ sei „aberwitzig“, so Thering. „Ein Glück für die Finanzbehörde, dass sich zufällig ein Sozialdemokrat und Duzfreund führender Sozialdemokraten ohne Ausschreibung für den Auftrag gefunden hat. Für diesen Vorgang gibt es nur eine Bezeichnung: roter Filz.“
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Finanzsenator Dressel wies die Kritik zurück. Da das Geld aus Corona-Mitteln stamme, müsse es bis Ende 2022 ausgegeben sein. Daher sei „Eile geboten“, so Dressel. Andernfalls wären die Mittel „verfallen und das Förderziel verfehlt“ worden. „Wer einen kräftigen Neustart nach Corona will, sollte nicht nur beim Impfen boostern, sondern auch bei Innovationen“, so der Senator. „Für diesen Ansatz habe ich im November im Wirtschaftsausschuss fraktionsübergreifend viel Zustimmung bekommen.“