Hagen/Siegen/Hilchenbach. . Die Koalition hat die Reform der Krankenkassenfinanzierung auf den Weg gebracht. Für zahlreiche Versicherte wird es 2015 zunächst billiger. Danach aber werden sie tiefer in die Tasche greifen müssen. Die Kassen selbst begrüßen, dass sie wieder selbst über ihre Beiträge bestimmen dürfen.

Die Mehrzahl der gesetzlich Krankenversicherten wird sich nur kurz über sinkende Gesundheitskosten freuen können. Schon bald dürften die Beitragssätze wieder über dem Stand von heute liegen. Das erwarten Experten wie der Essener Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem. Die von der großen Koalition vor wenigen Tagen auf den Weg gebrachte Kassen-Finanzreform stößt bei den Krankenversicherungen dabei durchweg auf Zustimmung.

Kern der Reform: Anstelle pauschaler wird es künftig vom Einkommen abhängige Zusatzbeiträge geben, diese werden wie der normale Beitrag direkt vom Lohn des Versicherten abgezogen. Der Arbeitgeberbeitrag bleibt bei 7,3 Prozent gedeckelt, für die Arbeitnehmer gilt zunächst ebenfalls ein Satz von 7,3 Prozent; macht 14,6 Prozent. Der Sonderbeitrag von 0,9 Prozent entfällt, was über alle Kassen einem Einnahmeminus von 11 Milliarden Euro entspricht.

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Brauchen die Kassen mehr Geld, müssen sie den Beitragssatz für die Arbeitnehmer erhöhen – sie erhalten damit ihre frühere Finanzautonomie zurück. „Und das ist zu begrüßen“, sagen sowohl die großen Kassen — wie die AOK Nordwest mit 2,7 Millionen Versicherten in Westfalen und Schleswig-Holstein – als auch die kleinen wie etwa die BKK Achenbach Buschhütten (Kreuztal) und die Siemag BKK (Hilchenbach).

Neuer Zusatzbeitrag im Schnitt 0,7 bis 0,8 Prozent

Unklar ist noch, was konkret die Versicherten 2015 werden zahlen müssen. „Rechnerisch könnten ein paar Kassen durch Plünderung ihrer Rücklagen komplett auf Zusatzbeiträge verzichten“, sagt der Gesundheitsökonom Wasem dieser Zeitung – und nennt etwa die Techniker Krankenkasse oder die ostdeutsche AOK Plus. Er erwartet aber, dass letztlich alle Kassen Zusatzbeiträge erheben werden, die einen mehr, die anderen weniger, „im Schnitt 0,7 bis 0,8 Prozent“.

Jochen Kühn, Vorstand der Siemag BKK, erklärt: „Wenn wir unbedingt wollten, könnten auf Zusatzbeiträge verzichten.“ Heißt: Rücklagen sind vorhanden. Auch Eva-Maria Müller, Vorstandschefin der BKK Achenbach Buschhütten, verweist auf eine „gute finanzielle Ausgangsposition“. Sie hoffe, den Beitragssatz senken zu können; soll heißen: der Zusatzbeitrag wird unter 0,9 Prozent liegen.

Freude bei Arbeitgebern, Ärger beim DGB

Die Arbeitgeberseite begrüßt die Festschreibung des Arbeitgeberanteils an der Krankenversicherung, nicht zuletzt, weil Renten- und Pflegebeiträge steigen.

Der DGB hingegen nennt es „nachhaltig ungerecht“, dass alle Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung künftig allein von den Versicherten getragen werden müssten.

Im Herbst gibt es belastbare Zahlen

Wie die anderen muss die AOK Nordwest erst „mit spitzen Bleistift rechnen“, wie Pressesprecher Jens Kuschel erläutert. Im Herbst werde es belastbare Zahlen geben. Kuschel betont, die AOK bleibe in der Fläche präsent, und bereitet die Versicherten auf langfristig steigende Beiträge vor: „Die Tendenz geht nach oben.“ Das sieht auch Wasem so: Die Kassen hätten „drei richtig gute Jahre erlebt“, in denen die Einnahmen über den Ausgaben lagen, „der Regelfall ist, dass die Ausgaben stärker wachsen als die Einnahmebasis – und dahin werden wir zurückkehren“. Bis 2017 dürfte deshalb der Zusatzbeitrag im Schnitt bei 1,2 bis 1,3 Prozent liegen, prognostiziert der Gesundheitsökonom.

Wasem begrüßt wie die Kassen den Wegfall der pauschalen Zusatzbeiträge. „Wer einen Zusatzbeitrag gebraucht hat, war sofort auf Seite 1 der Bild“; die DAK habe „wegen läppischer 8 Euro “ eine halbe Million Mitglieder verloren. Folge: Alles Handeln wurde der Vermeidung eines Zusatzbeitrags untergeordnet. „Jetzt“ hofft Wasem, „wirtschaften die Kassen wieder vernünftig“.