Hagen. Puccinis „La Bohème“ gehört neben Mozarts „Zauberflöte“ zu den meistgespielten Opern der Welt. Beim 100-Jahr-Jubiläum des Theaters Hagen darf der Publikumsmagnet also nicht fehlen. Diese „La Bohème“ zeigt eindrucksvoll die große Stärke der kleinen Hagener Bühne: Sie besticht durch junge, großartige Stimmen.

Puccinis „La Bohème“ gehört neben Mozarts „Zauberflöte“ zu den meistgespielten Opern der Welt. Beim 100-Jahr-Jubiläum des Theaters Hagen darf der Publikumsmagnet also nicht fehlen. Diese „La Bohème“ zeigt eindrucksvoll die große Stärke der kleinen Hagener Bühne: Sie besticht durch junge, großartige Stimmen. Das Publikum feierte die Premiere mit langem Beifall im Stehen. Für die Regie gab es neben Bravos auch Buh-Rufe.

Rodolfo zählt zu den geschätzt-gefürchteten Tenorpartien. Alle großen Vertreter des italienischen Fachs haben versucht, hier Zeichen zu setzen. Doch der Ereignishorizont der Rolle besteht nicht in den hohen „C“, sondern in der Fähigkeit des Interpreten, Strahlkraft, Wärme und Charakterisierungskunst gleichermaßen zu integrieren.

Rafael Vázquez kann das. Der spanische Tenor hat als Herzog in Verdis „Maskenball“ in Hagen ein viel beachtetes Deutschland-Debüt gegeben. Sein Rodolfo zeigt erneut seine außerordentliche Begabung, denn ihm gelingt ein einfühlsames Psychogramm mit betörend schön geführter, sehr flexibler und hochtonsicherer Stimme.

Die „La Bohème“-Besetzung ist beispielhaft für die Sprungbrett-Funktion des Hagener Theaters. Die Amerikanerin Jaclyn Bermudez zum Beispiel ist neu im Ensemble, es ist ihr erstes festes Engagement. Und die Mimi ist ihr Rollendebüt. Anfangs noch etwas scheu, überzeugt sie schnell durch die schöne Färbung ihres Soprans, der sich von mädchenhafter Zartheit zu sinnlich blühender Wärme entfalten kann.

Auch Raymond Ayers gehört zu den Talenten, denen Hagen eine Plattform zur Entwicklung gibt. Mit edlem lyrischen Bariton schafft er es als Maler Marcello, den Widerspruch zwischen Rebellen-Existenz und kleinbürgerlicher Eifersucht zu vermitteln. Frank Dolphin Wong hat seine Karriere in Hagen begonnen. Inzwischen ist der Bariton international erfolgreich im Geschäft und kommt immer wieder gerne zurück. Als Musiker Schaunard kann er das dunkle Timbre seiner Stimme wunderbar zum Einsatz bringen. Sarah Längle ist eine Musetta mit glockenklaren Spitzentönen. Der großartige Bass Rainer Zaun hat als Philosoph Colline den Überblick über die Katastrophen der jungen Leute und gestaltet seine Mantel-Arie mit herzberührender Innigkeit.

Dass diese Sänger zudem hervorragend spielen - und im Fall von Rafael Vázquez, der im Nebenberuf Judolehrer ist, akrobatische Kunststücke auf die Bühne bringen, versteht sich nicht von selbst.

Regisseur Bruno Berger-Gorski, gebürtiger Hagener, und Bühnenbildner Peer Palmowski inszenieren die tragische Geschichte um den armen Poeten Rodolfo und die todkranke Näherin Mimi recht konventionell. Die erfolglosen Künstler hausen in einem Container, den vermutlich Marcello mit Stadtansichten von Paris bemalt hat – Symbole gescheiterter Träume. Denn bis nach Paris kommen die Aussteiger nicht. Sie bleiben Gefangene einer trostlosen Vorstadt-Betonhölle.

So sprachgewaltig diese Raumlösung ist, so sehr stört der Versuch der Regie, mit viel zu vielen nebensächlichen Aktionen die Handlung zuzudecken. So sollen etwa auf dem Weihnachtsmarkt mit Massenszenen schrille „Les Miserables“-Assoziationen beschworen werden, aber Accessoires wie Musettas Oldtimer-Vespa, Product Placement und ein kleines Hündchen stehlen den Protagonisten die Show und überdecken sogar das pittoreske Lokalkolorit der Musik. Erst als im dritten Bild selbst die hyperaktiven Puff-Türsteher endlich zur Ruhe kommen, kann sich die berückend intensive „La Bohème“-Magie entwickeln.

Generalmusikdirektor Florian Ludwig kämpft mit den Hagener Philharmonikern anfangs ebenfalls gegen die Hektik auf der Bühne und muss sich sehr darauf konzentrieren, alles zusammenzuhalten. Ab dem dritten Bild kann Ludwig dann aber die Klangfarben zum Blühen bringen und Puccinis impressionistische Detailkunst zu ergreifenden Seelengemälden gestalten.

Wieder am: 28.,9., 2. 10., 21. 10. Karten: 02331 / 2073218 oder www.theater.hagen.de