Hagen. .
Ferienzeit ist Reisezeit. Auf den Autobahnen regen sich viele über langsame Laster und endlose Elefantenrennen auf. Aber was sagt ein echter Lkw-Fahrer zu den drängelnden Rasern? Wir sind mit einem Brummi quer durchs Sauerland gefahren.
Das Gaspedal ist bis zum Anschlag durchgedrückt. Der 440 PS starke Dieselmotor pfeift und brummt irgendwo unter dem gefedertem Sitz von Prdjanin Tusan. Die Tachonadel zittert sich langsam auf die 60-km/h-Marke hoch, doch dann ist Schluss: Mehr schafft der tonnenschwere Lkw nicht auf der steilen Auffahrt zur Autobahn A 45 am Kreuz Hagen. Im Schneckentempo geht's den Berg hinauf.
Auf der linken Spur zieht noch ein Kollege mit seinem Tieflader vorbei, der mehr Schwung nehmen konnte. Keine drei Meter dahinter drängelt ein nadelgestreifter Geschäftsmann in seinem Sport-Kombi und setzt zum Überholen an, während der Lkw noch nicht ganz die Spur gewechselt hat. Willkommen in der Welt der Brummi-Fahrer.
23 Tonnen Stahl schieben nach vorne
Prdjanin Tusan (63) kennt das. Er bleibt gelassen. Seit 46 Jahren sitzt er am Steuer eines Lkw – anfangs in seiner jugoslawischen Heimat bei der Armee, später bei der Spedition Ottensmann in Hagen. „Warum soll ich mich aufregen?“, fragt der 63-Jährige und zuckt dabei mit den Schultern. „Das bringt doch nichts.“ Tusan weiß, dass es die Urlauber genauso eilig haben wie die Berufspendler. Dass sich viele aufregen, wenn er die Berge hinaufkriecht, wenn er mal zum Überholen ansetzt. „Ich kann eben nicht schneller“, sagt der Berufskraftfahrer und bremst vor einer Baustelle ab. Von hinten schieben 23 Tonnen Stahl nach vorne. Welche Kräfte jetzt auf die Bremsen wirken, kann sogar der Beifahrer merken. „Selbst durch kleine Kurven muss ich langsam fahren, wenn mein Auto so hoch beladen ist“, erklärt Tusan.
Wenn er von „Auto“ spricht, meint er seinen 16 Meter langen Mercedes-Lastkraftwagen. Überhaupt ist er begeistert von seinem „Auto“. Automatik-Getriebe, Airbags, integrierte Waage, automatische Fahrspur-Kontrolle und Abstandssensoren sind an Bord. „Das ist alles viel besser als früher“, erinnert sich Tusan. Über ihm baumelt ein Teddybär-Schutzengel mit Lenkrad und weißen Flügeln - der einzige private Gegenstand in der Fahrerkabine. Keine barbusige Frau auf einem Poster an der Kabinenrückwand, kein Nummernschild mit seinem Namen an der Windschutzscheibe, keine Lichterkette. Neben ihm quetscht sich ein Lieferwagen nach dem anderen an dem breiten Brummi durch die Baustelle. „Das ist gefährlich, ein Knick in der Straße und die fahren mir rein“, sagt Tusan und klingt zum ersten Mal so, als ob er sich darüber wirklich ärgern würde.
Ein bisschen Fernfahrer-Romantik
Hinter der Baustelle in Meinerzhagen geht’s erstmal bergab, doch die nächste Steigung ist schon in Sicht. „Schwung nehmen darf ich nicht“, sagt er und fährt mit konstant 80 km/h weiter. Am Berg brummt der Motor immer tiefer, auf der linken Spur jagen die Pkw gen Süden, die Fichten ziehen immer langsamer am Fenster vorbei. Eine Art der Fortbewegung, die Zeit lässt, um nachzudenken und auch mal die Landschaft zu genießen. „Am liebsten fahre ich die A 81 durch den Schwarzwald und das Allgäu zum Bodensee. Aber die Sauerlandlinie ist auch sehr schön und sie fahre ich oft.“
Zwischendurch telefoniert er mit seiner Frau, die er manchmal nur am Wochenende sieht, weil er auf irgendeinem Rastplatz auf seiner Pritsche hinterm Fahrersitz schläft. Schön ist das nicht, wenn die Rastplätze überfüllt sind und nur noch laute Parkplätze dicht an der Autobahn frei sind. Viereinhalb Stunden darf Tusan fahren, dann muss er 30 Minuten Pause machen. Nach noch einmal viereinhalb Stunden darf er neun Stunden lang nicht fahren. Dann geht’s weiter, der Abliefertermin rückt immer näher.
Unterwegs telefoniert er auch mit Ottensmann-Kollegen, die irgendwo in Deutschland auf der Piste sind und ihm manchmal auch auf der Autobahn entgegenkommen. Dann blinkt die Lichthupe und die Fahrer winken sich zu – quer über vier Spuren hinweg. „Guck mal, noch ein Otti“, freut sich Tusan winkend. Ein bisschen Fernfahrer-Romantik gibt es eben doch noch.