Düsseldorf/Berlin. Sieben Monate vor der wichtigen NRW-Wahl kann Ministerpräsident Jürgen Rüttgers aufatmen. Im Berliner Koalitionsvertrag hat der Christdemokrat eine schnelle Gesundheitsreform und Mehrbelastungen für Kleinverdiener verhindert.
Ein sozialer Kahlschlag hätte Rüttgers am 9. Mai die Ernte kräftig verhagelt - deshalb spielen Rüttgers & Co. auf Zeit. „Es bleibt erst einmal so, wie es ist”, freut sich Rüttgers. Keine höheren Beiträge für Arbeitnehmer, keine höheren Arbeitskosten für Arbeitgeber - der Staat zahlt die fehlenden Milliarden in die Sozialkassen. 2010 soll die große Gesundheitsreform ausgiebig in Arbeitsgruppen diskutiert werden, 2011 könnte sie dann kommen - sicher ist das nicht.
NRW-Handschrift
In NRW formiert sich heftiger Widerstand gegen eine Neuauflage der „Kopfprämie”. Auch dass Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ins wichtige Arbeitsressort wechselt, bringt die NRW-Sozialausschüsse in Rage. CDA-Chef Karl-Josef Laumann hatte aber vorab aus persönlichen Gründen einen Umzug nach Berlin abgelehnt. Alles in Allem ist Rüttgers mehr als zufrieden mit der NRW-Handschrift im Vertrag. NRW hat „soziale Duftmarken” gesetzt:
- Anhebung Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger von 250 auf 750 Euro pro Jahr.
- Höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-Empfänger.
- NRW-Stipendien-Programm wird bundesweit eingeführt.
- Keine Einschränkung Mitbestimmung.
- Kein Einschnitt beim Kündigungsschutz.
„Es wird keine soziale Kälte geben”, weist Rüttgers die lauten Warnungen der Opposition vor einer Eiszeit zurück.
Nach der Landtagswahl
SPD-Generalsekretär Michael Groschek fürchtet hingegen, dass die Finanzierung der Steuersenkungen und der „Kopfpauschale” dem Bürger erst nach der NRW-Landtagswahl präsentiert wird. Zufrieden ist Unterhändler Rüttgers auch mit dem personellen NRW-Einfluss am Kabinettstisch.
Mit Ronald Pofalla (Kanzleramt) und Norbert Röttgen (Umwelt) sitzen zwei rheinische Minister in der Regierung, dazu kommen fünf Staatssekretäre aus der NRW-CDU. Hermann Gröhe (Neuss) wird CDU-Generalsekretär, Norbert Lammert (Bochum) bleibt Bundestagspräsident. Vor vier Jahren hatte Rüttgers zum Entsetzen des größten CDU-Verbandes keinen Minister in der Großen Koalition platziert. Damals war er heftig kritisiert worden, weil er genau zur Zeit der Postenvergabe gerade Urlaub machte.
NRW-FDP zufrieden
Auch die NRW-FDP ist personell zufrieden: Neben Außenminister Guido Westerwelle (Bonn) stellt die NRW-FDP noch die Staatssekretäre Gudrun Kopp (Entwicklung), Daniel Bahr (Gesundheit) und Werner Hoyer (Auswärtiges Amt).
FDP-Landeschef Andreas Pinkwart verspricht den Bürgern trotz leerer Kassen unbeirrt weiter „mehr Netto vom Lohn”. Die Gesundheitsreform will die FDP zum „Markenzeichen von Schwarz-Gelb” machen. Sozialpolitiker Rüttgers tritt da kräftig auf die Bremse. Hier dürfte es vor der NRW-Wahl noch reichlich Redebedarf für die beiden Koalitionäre geben.