Werl.

Nach 23 Jahren im Gefängnis hat Dieter Degowski, verurteilt wegen Mordes beim Gladbecker Geiseldrama 1988, abermals einen Gnadenantrag gestellt. Doch die Hoffnung auf Gnade und Freiheit wird für den wohl bekanntesten Insassen der Justizvollzugsanstalt Werl ein Traum bleiben.

In 23 Jahren kann sich viel verändern. Man erkennt kaum die Welt wieder, die zu kennen man glaubte. Auch Menschen können sich ändern. Dieter Degowski auch? Unser Bild von ihm stammt von den Bildern im Fernsehen am 16., 17. und 18. August 1988. Es waren die Bilder von der größten deutschen Polizei- und Medienpleite. Und sie zeigen zwei Männer, die scheinbar unbekümmert mehrere Tage lang sowohl Geiseln in ihrer Gewalt halten als auch leutselig mit Scharen von Reportern palavern, dazu mit ihren Waffen fuchteln. „Ich habe total mit dem Leben abgeschlossen. Is’ mir uninteressant“, sagte Degowski damals und lümmelt sich mit einer Pistole in der Hand in die Polster des Fluchtwagens. Es ist der verschwitzte Mann mit dem verwahrlosten Schnauzbart und den irren Augen, der stundenlang einer 18-jährigen attraktiven Geisel aus dem Bus seine Waffe an den Kopf hält. Da hat er bereits auf einer Autobahn-Raststätte der A1 einen 15-jährigen italienischen Jungen aus zwei Zentimetern Entfernung erschossen - vor den Augen dessen kleiner Schwester.

In der Haft hat er etwas anderes gelernt. Über Arbeit in der Spülküche soll er es bis zum Koch gebracht haben. „Ohne Rösner hätte es das alles in meinem Leben nicht gegeben“, sagt er heute.

Rösner war damals sein Kumpel, sein Komplize bei der dreitägigen Geiselnahme. Er gefiel sich darin, vor den Geiseln großspurig mit seiner Waffe anzugeben. Heute sitzt er in Bochum ein und macht die langjährige Haft für seine Depressionen und seine Drogensucht verantwortlich.

Der 16. August 1988 ist ein warmer Sommertag. Degowski und Rösner überfallen eine Bank in Gladbeck. Weil sie nicht fliehen können, nehmen sie zwei Geiseln, erpressen einen Fluchtwagen, fahren nach Bremen. Dort bringen sie einen Linienbus mit 30 Menschen in ihre Gewalt.

Das Geiseldrama gerät zum Live-Krimi, weil die Polizei die beiden Geiselnehmer nicht isoliert. Scharen von Reportern machen während der Geiselnahme Interviews, drehen Filme und schießen Fotos. Die beiden Verbrecher geben leutselig Kommentare, während sie die Geiseln mit ihren Waffen bedrohen. Die Journalisten stellen Fragen wie „Sind Sie wirklich bereit, Leute umzubringen?“ und zur zu Tode geängstigten Geisel: „Wie fühlen Sie sich mit der Pistole am Hals?“ Schließlich devot zum Verbrecher: „Können wir etwas für Sie tun?“

Heute wollen die meisten Journalisten nichts mehr von ihrer armseligen Rolle beim Geiseldrama wissen. WDR-Moderator Frank Plasberg im Interview mit seinem Sender: „Ich glaube nicht, dass es noch mal zu so einer Situation kommen würde.“ Und: „Ich würde es nicht mehr so machen. das hat aber auch etwas mit dem älter werden zu tun. Ich würde aber nicht sagen, dass ich da als junger Reporter etwas falsch gemacht habe.“

Degowskis Anwalt begründet das Gnadengesuch mit tadelloser Führung in der Haft. Die Freundin und Mit-Geisel der Getöteten leidet seit 1988 an den traumatischen Erlebnissen in der Hand von Degowski und Rösner. „Inzwischen“, sagt sie heute, „habe ich mein Leben wieder im Griff...“