Hagen. Singen als Glücksversprechen und überwältigendes Gemeinschaftserlebnis: Das Scratch-Projekt der Hagener Philharmoniker macht diese einzigartige Erfahrung möglich. 370 Sängerinnen und Sänger haben jetzt in der Hagener Stadthalle an einem einzigen Tag Gounods Cäcilien-Messe einstudiert und aufgeführt.

Singen als Glücksversprechen und überwältigendes Gemeinschaftserlebnis: Das Scratch-Projekt der Hagener Philharmoniker macht diese einzigartige Erfahrung möglich. 370 Sängerinnen und Sänger haben jetzt in der Hagener Stadthalle an einem einzigen Tag Gounods Cäcilien-Messe einstudiert und aufgeführt.

Wenn Sie herschauen, werden Sie merken, dass ich schneller dirigiere, als Sie singen:

Der Chorsänger an und für sich hat drei natürliche Angstgegner. Die Töne, den Rhythmus und den Dirigenten, der nicht so schlägt, wie es aus einem heraus will. Meine Nachbarin setzt immer zu früh ein, aber sauber. Ich gleiche das aus, indem ich zu früh aufhöre, oft krähend. Doch der Scratch-Chor 2011 ist eine hochmotivierte Truppe, die alle mitzieht.

Der Hagener Generalmusikdirektor Florian Ludwig hat großen Spaß an der Arbeit mit dem Riesen-Ensemble. Immerhin 370 Soprane, Tenöre, Alte und Bässe werden beim Konzert auf der Bühne stehen. Und Ludwig trifft nicht nur mit dem Taktstock den richtigen Ton. Er weiß um die Nöte von Stimmen. Mir beispielsweise sitzen die „e’s“ im Credo quer. Hier muss man den Herrgott buchstäblich in den höchsten Tönen loben. „Es gibt so viele Noten“, ermutigt Ludwig locker. „Man muss sie nicht alle singen. Man kann mal eine auslassen, wenn sie nicht gut liegt oder man atmen muss.“

Nele Jacobsen aus Herdecke ist mit 11 Jahren eine der jüngsten Teilnehmerinnen. „Es gefällt mir sehr gut“, sagt sie. „Es ist toll, dass man es organisieren kann, dass so viele Menschen zusammengeführt werden. Ich finde die Musik schön, sie ist so beruhigend.“ Ihre Mutter Elke Jacobsen ist ebenfalls zum ersten Mal im Scratch-Chor. „Wann hat man schon mal die Gelegenheit, mit einem Orchester zu singen“, freut sie sich.


Sigrid Sanders aus Wetter gehört mit 76 Jahren zu den ältesten Teilnehmerinnen. Die Sopranistin ist zum sechsten Mal dabei, sie hat bei jedem Scratch-Projekt bisher mitgemacht: „Es ist immer wieder eine Herausforderung. Schön ist die Gemeinsamkeit, dass man neue Menschen trifft und andere wiedersieht.“

Bassbariton Klaus Becker (68) aus Radevormwald ist ein Scratch-Neuling und schwärmt von dem Erlebnis „in der großen Stadthalle Hagen mit einem großen Orchester zu singen. Da kribbelt es einem im Rücken“.


Die Scratch-Sänger kommen aus Hagen und Umgebung. Sie kommen aus dem Sauerland und aus der Eifel. Sie kommen aus dem Ruhrgebiet und aus dem Rheinland. Etwa die Hälfte ist Scratch-erprobt. Die anderen wollen dieses Gesangs-Abenteuer einmal ausprobieren. Die weiteste Anreise hat Michel Richoz aus Genf. „Ich spreche kein Deutsch“, erzählt er. „Aber mit der Musik ist das kein Problem, Musik ist eine universale Sprache. Ich bin sehr glücklich. Dieser Chor hier ist etwas Wunderbares.“

Es ist schon ein komisches Gefühl, bei der Generalprobe plötzlich oben auf der Bühne zu stehen. 370 Leute, da wird es auf den Podesten eng. Es ist nicht einfach, sich so zu sortieren, dass alle den Dirigenten sehen. Die Scheinwerfer brennen heiß, die Aufregung steigt. Die Solisten Melanie Maennl (Sopran), Mihai Zamfir (Tenor) und Orlando Mason (Bass) sind ab jetzt mit dabei, ebenso wie die Hagener Philharmoniker und der Opernchor. Mit Orchester klingt das Werk noch gewaltiger. Einer Sängerin im Alt wird es zuviel, sie kippt um. Aufregung bei den „Alten“, die Soprane am anderen Ende der Bühne kriegen das gar nicht mit. Die Sanitäter kommen, die Probe geht weiter.

Vor dem großen Auftritt brummt es auf der Damen-Toilette wie in einem Bienenkorb. Um letzte Hand an das Konzert-Outfit zu legen, braucht man Spiegel. Einsingen auf der Bühne: Es sitzt schon Publikum im Parkett. Florian Ludwig lässt die Zuhörer ebenfalls ein wenig einsingen, um die Stimmung zu lockern. Die Zuhörer wissen nicht, dass der GMD noch etwas mit ihnen vorhat. Die Leute mitnehmen, das kann er, der Maestro.

Ganz großer Gesang bringt die Stadthalle zum Schwingen. Es läuft so gut. Sogar die Herren meistern ihre gefürchteten Einsätze beim „Et expecto“. Sind wir das? Adrenalin wandelt sich in Glücksgefühl und Dankbarkeit.

Das Publikum ist eher innerlich ergriffen als aus dem Häuschen. Es ist schließlich eine Messe, kein weltliches Stück, nach dem man vor Entzücken Bravo schreit. Und dann bringt Florian Ludwig den Chor und die Zuhörer bei der Zugabe gemeinsam zum Singen. Alle finden eine Stimme. Das ist ansteckend. Wunderbar. Und unvergesslich.

Die Zitate sind von Generalmusikdirektor Florian Ludwig.

Das Stabat Mater von Rossini steht beim nächsten Scratch-Projekt auf dem Programm. Termin: 24. März 2012. Information: www.theater.hagen.de