Hagen. 20 Cent und weniger für einen Liter Milch, das geht für alle deutschen Milchviehhalter auf keine Kuhhaut mehr: Die meisten kleineren Höfe sind in ihrer Existenz bedroht, einige haben bereits aufgegeben, nicht wenige Landwirte spielen mit dem Gedanken, ihre Kühe zum Schlachter zu fahren. Patricia Schmidt brachte es nicht übers Herz.
„Seit Jahren haben wir wegen des massiven Rückgangs der Milchpreise um unsere Existenz gebangt”, sagt die 30-Jährige Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann einen kleinen Hof in Delbrück betreibt. Sie berichtet über die anhaltende Katastrophenstimmung der letzten Jahre. „Anfangs dachte ich, irgendwann muss es ja besser werden.” Hoffnung sei nach dem erfolgreichen Boykott im vergangenen Jahr aufgekeimt. „Dann kam die Angst wieder.” Vor wenigen Monaten habe sie gemeinsam mit ihrem Mann den Entschluss gefasst, die Milchviehhaltung aufzugeben.
Lieber in gute Hände abgegeben
41 Kühe verkauften die Schmidts an einen belgischen Milchviehhalter. „Wir hätten mehr Geld bekommen, wenn wir die Tiere zum heimischen Schlachter gefahren hätten.” Das aber brachte die junge Mutter aus Ostwestfalen nicht übers Herz. „Das sind Lebewesen, die hab ich jeden Tag gesehen, die hätt' ich nicht keulen lassen können.” Ihre Kühe hätten zwar keine Namen besessen, „aber an Nummer 27 und 57 habe ich schon gehangen”.
Jutta Weiss vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter bestätigt, dass immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben werden. Konkrete Zahlen kann sie nicht nennen. Betroffen seien vor allem süddeutsche Gehöfte mittlerer Größe. „Kleinere können sich länger über Wasser halten. Da werden Familienmitglieder einfach nicht ausgezahlt.”
Kurskorrektur gefordert
Mächtig wütend ist Franz-Josef Dohle von der Milch-Erzeuger-Gemeinschaft Sauerland. „Das alles ist eine riesige Schweinerei.” Er fordert eine sofortige Kurskorrektur. „Wir müssen die Milchproduktion herunterfahren, damit die Preise wieder steigen können.” Im Visier der Milcherzeuger stünden nicht mehr die Discounter, „die Übeltäter” seien die Politiker, die Molkereien und vor allem der Bauernverband. „Null Lobbyarbeit, der hat uns verraten und verkauft. Gott sei Dank sind die Milcherzeuger im Sauerland so überdurchschnittlich stur, sparsam und genügsam. Die geben so schnell nicht auf.”
Zu viele Kühe in Europa
Dr. Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband weist die Kritik vehement zurück. „Weder wir noch der Staat macht die Preise.” Es gebe eben zuviel Kühe und Milch in Europa. „Die Preise machen die Politiker der EU. 24 Länder waren Ende 2008 dafür, die Produktionsmenge aufzustocken. Das senkt den Preis. Und das ist eben Markt.” Neben Deutschland seien nur die Vertreter Österreichs dagegen gewesen. Frankreich habe sich enthalten. „Die Mehrheitsverhältnisse sind eindeutig. Als Bauernverband können wir den Landwirten in den Niederlanden nicht reinreden.” An die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse in Brüssel werde sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.
Patricia Schmidt ist all das mittlerweile „relativ schnuppe”. Sie liebt ihren Hof, sie liebt das Leben auf dem Land im Kreis Paderborn. Ein „klitzekleines bisschen” würden ihr die Milchkühe schon fehlen. Nun aber setze sie und ihr Mann auf Bullenmast. „Das sind auch Wiederkäuer und es rechnet sich.”