Arnsberg/Soest. .
Beim Krimi-Puzzle um den 23 Jahre zurückliegenden Mord an Ursula Scheiwe aus Soest-Ostönnen haben dem Landgericht Arnsberg genügend Teile für eine Veurteilung des angeklagten Jörg B. vorgelegen.
Der 41-jährige Familienvater aus Soest wurde am Dienstag zu einer Jugendstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.
Am Vormittag noch Zuversicht
Am späten Vormittag strahlt Jörg B. noch Zuversicht aus: Er sitzt ruhig auf der Anklagebank und unterstreicht in seinem Schlusswort mit fester Stimme die Im-Zweifel-für-den-Angeklagten-Forderung seiner Anwälte nach einem Freispruch: „Ich habe mit der Tat nichts zu tun. Ich bin unschuldig.“
Zweieinhalb Stunden später muss er mit angehören, dass die 2. Große Strafkammer als Jugendkammer eben keine Zweifel daran hat, dass der ehemalige Fußballer von Grün-Weiß Ostönnen in der Nacht zum 28. Mai 1987 die 26 Jahre alte Ursula Scheiwe in ihrer Wohnung in Ostönnen ermordet hat. Der Obduktionsbericht erwähnt 74 Stich- bzw. Stich-Schnittverletzungen des Opfers. Nach Ansicht des Gerichts wollte der damals 18-Jährige Straftaten (versuchte Vergewaltigung und schwere Körperverletzung) vertuschen.
Ein außergewöhnlicher Fall
„Ein außergewöhnlicher Fall in der Geschichte des Landgerichts Arnsberg ist vorläufig zu Ende. Es war eine besondere Herausforderung für alle Verfahrensbeteiligten“ - die Worte des Vorsitzenden Richters Willi Erdmann zu Beginn der Urteilsbegründung klingen fast ein wenig nach Erleichterung, dass ein Indizienprozess um einen Mord vor 23 Jahren nach 25 Verhandlungstagen mit mehr als 50 Zeugen „vorläufig“ zu Ende ist. Noch im Gericht hat die Verteidigung von Jörg B. Revision in Karlsruhe angekündigt.
Das Gericht ist nach eigenem Bekunden der „sicheren Überzeugung“, dass Jörg B. seinerzeit für eine Stunde die Aufstiegsfeier der Kreisliga-Fußballer verlassen und die Wohnung von Ursula Scheiwe, wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt, betreten hatte. In ihrem Schlafzimmer soll der erheblich unter Alkoholeinfluss stehende junge Mann eine Vergewaltigung versucht haben. Als dies scheiterte, soll Jörg B. sein Opfer mehr als 20 bis 30 Sekunden, „wahrscheinlich mehrere Minuten“, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Anschließend, gegen 3.40 Uhr, stach er, so das Gericht, mit einem mindestens zwölf Zentimeter langen Messer auf die Frau ein. Für Richter Erdmann ist die „treibende Motivation“ zur Tötung klar: „Er befürchtete, dass sein guter Ruf im Dorf mit dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung mit einem Schlag vernichtet würde. Er wollte dies um jeden Preis verhindern.“
Freiwillige Speicherproben
Zum Verhängnis wurden dem im Januar 2009 verhafteten Familienvater aus Soest verbesserte DNA-Untersuchungsmethoden, mit denen aus Sicht von Erdmann „der letzte Versuch, diesen Mord aufzuklären“, gestartet wurde. Nach einer freiwilligen Speichelprobe wurden im Labor DNA-Spuren von Jörg B. festgestellt - auf einer gelben Wolldecke am Tatort, an der Jogginghose des Opfers und unter ihren Fingernägeln.
Diese drei Spuren hätten eine erhebliche Aussagekraft in Hinblick auf die Täterschaft des damals 18-Jährigen, sagt Richter Erdmann. Weil man sie inhaltlich (das Opfer wehrte sich gegen die versuchte Vergewaltigung) miteinander verbinden könne. Die Rechtsprechung, ergänzt der Arnsberger Jurist, lasse solche DNA-Beweise zu, „wenn andere Indizien, die das Bild abrunden, hinzukommen.“ Und die gäbe es: Der Täter kann nur ein Teilnehmer der Aufstiegsfeier sein - und der Angeklagte war dabei. Jörg B. verließ die Veranstaltung für einen längeren Zeitraum. Er ging am Tag nach der Tat vier bis fünf Mal zum Haus des Verbrechens, blieb davor stehen und schaute sich um. Laut Erdmann der Ausdruck eines besonderen Interesses. Und es passe auch zusammen, dass der Angestellte die Abgabe seiner Speichelprobe Anfang vergangenen Jahres seiner Ehefrau verschwieg.
Erleichtert haben gestern die Brüder des Opfers, Eberhard, Willi und Josef Scheiwe, auf den Urteilsspruch reagiert. „Jetzt weiß die Bevölkerung, dass er es war“, sagt der jüngste von ihnen, Willi. „Und die anderen Stimmen werden verstummen“, spricht er die Spaltung des Dorfes am Hellweg nach der Tat an. Natürlich sei jetzt mit dem Urteil ein Kapitel des Mordfalls abgeschlossen - aber, so Eberhard Scheiwe, „wir bekommen unsere Schwester nicht zurück. Es fehlt da einfach ein Mensch.“