Düsseldorf. Ein 61-jähriger Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts macht die Justiz rasend und bringt die Landesregierung auf Trab. Am 9. Februar 2010 hat er als Einzelrichter des 3. Senats entschieden, dass Video-Messungen von Autofahrern unzulässig sind.
Außerdem sollte sich der Jurist gestern vor dem Amtsgericht in Düsseldorf verantworten. Der Vorwurf: Am 5. August 2009 soll er um 17.42 Uhr mit 116 statt der erlaubten 80 km/h über eine vierspurige Straße in Heerdt gefahren sein. Weil der Richter also möglicherweise selbst ein Raser ist, liegt die Vermutung nah, dass der Jurist den Beschluss am 9. Februar 2010 (AZ: IV-3 RBs 8/10) nicht uneigennützig gefasst haben könnte.
Zu geringer Abstand
Damals musste er über einen Autofahrer entscheiden, der auf der A 3 in eine Video-Messung geraten war. Wegen zu geringen Abstands sollte der Drängler 100 Euro Bußgeld bezahlen und seinen Führerschein für einen Monat abgeben.
Verletzung der Grundrechte
Der 61-Jährige sprach den Angeschuldigten frei. Seine Begründung: Die Videoanlage filme den Autofahrer bereits, wenn noch gar nicht feststehe, ob er einen Verkehrsverstoß begangen habe. Das sei ein Eingriff in das Grundrecht der informellen Selbstbestimmung: „Da besteht ein Beweisverwertungverbot.”
Direkte Reaktion
Der Beschluss des 61-jährigen OLG-Richters löste eine direkte Reaktion aus. Das NRW-Innenministerium wies die Bußgeldstellen im Bezirk des OLG Düsseldorf an, alle Ordnungswidrigkeitsverfahren zu stoppen, „die aufgrund der Verkehrsüberwachung mit dem Video-Brückenabstandsmessverfahren (ViBrAM) eingeleitet” waren.
Massenhafte Überwachung
So weit. So gut. Doch der OLG-Richter ging noch weiter. Er stellte nicht nur die Rechtmäßigkeit der Videoaufnahmen, sondern alle „massenhaft durchgeführten Überwachungen” infrage. Denn es handelte sich dabei „um einen systematisch angelegten Eingriff in die Grundrechte”.
Mittlere Ordnungswidrigkeit
Außerdem reihte der Richter Raserei und Drängelei in Ordnungswidrigkeiten ein, „die eher dem unteren bis mittleren Schweregrad zuzuordnen sind”. Ihre Verfolgung stelle sich nicht als so vordringlich dar, „dass deshalb schwerwiegende Grundrechtseingriffe ausnahmsweise hinzunehmen wären”.
Mobile Radaranlage
Mit Blick auf sein eigenes Verfahren, bei dem der 61-Jährige durch eine mobile Radaranlage der Marke „Multanova” geblitzt wurde, kein unbedeutender Hinweis. Denn auch hier werden Autofahrer nicht gestoppt, sondern über das Foto identifiziert.
Schneller Richter
So gesehen hätte der rasende Richter gute Karten haben können. Wenn nicht der 1. Senat des OLG Düsseldorf mit drei Richtern seinen Beschluss „eingefangen” hätte. Am 15. März 2010 stellte der 1. Senat fest, dass der mit dem Video-Verfahren „verbundene Eingriff in die Individualrechte des Betroffenen auf gesetzmäßiger Grundlage beruht” (IV-1 RBs 23/10). Mit Blick auf ihren Kollegen schreiben die OLG-Richter: „Der Entscheidung des 3. Senats, die als Einzelrichterbeschluss ergangen ist, vermag der 1. Senat in keinem Punkt zu folgen.”
Termin verschoben
Pech für den 61-Jährigen. Er erschien gestern nicht zum anberaumten Termin im Saal 1105 des Düsseldorfer Amtsgerichts. Er hatte über seine Anwältin um eine Verschiebung gebeten. Gleichzeitig bestritt der 61-Jährige, den geblitzten Wagen am 5. August 2009 um 17.42 Uhr gefahren zu haben. Nun wird ein medizinischer Sachverständiger die wahre Identität des Rasers ermitteln müssen.