Gelsenkirchen. Kein Rückzieher: Stattdessen ging SPD-Chef Sigmar Gabriel mutig in die Offensive. „Wir werden die Hartz-Initiative von Hannelore Kraft im Wahlkampf noch intensivieren”.
Der Vorstoß sei abgesprochen gewesen, nahm Gabriel die öffentlich gescholtene SPD-Landeschefin vor Kommunalpolitikern der Ruhr-SPD in Schutz. „Man darf im Wahlkampf auch echte Probleme ansprechen.”
Das gilt auch für die bislang ungeklärte Frage: Wer soll die Mehrkosten für das Kraft-Projekt eigentlich tragen? Nur so viel: Gabriel will den Ausbau des gemeinnützigen Arbeitsmarktes ohne zusätzliche Schulden durch Umschichtungen in laufenden Arbeitsprogrammen schultern.
Unter Beschuss geraten
Die unter Beschuss geratene SPD-Landeschefin wirkte sichtlich erleichtert über den Flankenschutz des Parteichefs. Vor den 100 SPD-Politikern verteidigte Kraft ihren Vorstoß für den Ausbau eines sozialen Arbeitsmarktes mit freiwilligen gemeinnützigen Jobs für Langzeitarbeitslose ohne Chance auf eine feste Stelle.
Im früheren Luftschacht der Zeche Consolidation erntete Kraft Zustimmung von den SPD-Funktionären. Die gemeinnützigen Jobs sollen über eine „symbolische Honorierung” besser bezahlt werden als Ein-Euro-Jobs. Gabriel will am Montag nach der SPD-Präsidiumsitzung Details zur Finanzierung des Pakets zum sozialen Arbeitsmarkt präsentieren. Der SPD-Arbeitsmartexperte Hubertus Heil hatte am Vortag eingeräumt, dass dem Kraft-Vorstoß noch „kein durchdachtes Konzept zugrunde liegt”. Die Gewerkschaften lehnten Billigjobs auf Hartz-Niveau ab.
Der missverständliche Kraft-Vorstoß
Innerhalb der SPD wird der missverständliche Kraft-Vorstoß diplomatisch als „verunglückt” bezeichnet. Kritisiert wird intern, dass Kraft erst nachträglich die Freiwilligkeit des Arbeitsangebots herausgestellt habe. In Gelsenkirchen versuchte Gabriel zu retten, was zu retten ist. Gemeinnützige Tätigkeiten dürften nicht in Konkurrenz zu normalen Jobs treten. „Ich spreche vom Recht auf Arbeit. FDP-Chef Westerwelle will eine Pflicht zur Arbeit”, erläuterte Kraft. Die SPD-Kommunalpolitiker bekräftigten, dass es genug Arbeit für gemeinnützige Tätigkeiten in Gemeinden gibt. Dass Kraft mit ihrer verunglückten Initiative die SPD-Chancen bei der NRW-Landtagswahl verschlechtert haben dürfte, war in Gelsenkirchen kein Thema. Dafür drosch Gabriel kräftig auf Westerwelle ein, der „mit Steinen auf Langzeitarbeitslose” schmeiße. Kraft präzisierte ihren Vorschlag. Danach soll eine Kommission mit Vertretern aus Kommune, Argen und Gewerkschaften über zusätzliche gemeinnützige Angebote entscheiden. Bis Montag wird in der SPD gerechnet, wie alles bezahlt werden soll, ohne die eigene Anhängerschaft, Gewerkschaften, Wirtschaft und den Lieblingspartner Grüne weiter zu verschrecken.
Mit ihrem Konzept zur „Rettung der Städte” ist die SPD einen Schritt weiter. Gabriel, Kraft und der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Baranowski forderten einen Rettungsschirm für Kommunen. So soll der Bund 400 Millionen Euro zusätzlich für die Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern zahlen. Außerdem soll der „Irrsinn der Steuersenkung” zu Lasten der Kommunen gestoppt werden. „Die Kommunen haben keine Zeit mehr”, warnte Kraft. „Wir sind mitten in einem Flächenbrand.” Aus Sicht der SPD rutschen in den nächsten Jahren 90 Prozent der NRW-Kommunen in Nothaushalte. „Wenn jetzt auch noch die Zinsen steigen, werden die Schulden dramatisch anwachsen und Investitionen in die Infrastruktur weiter einbrechen”, fürchtet Baranowski.
Neuausrichtung
Kraft sprach sich für eine Neuausrichtung der Förderprogramme nach Bedürftigkeit aus, damit auch arme Kommunen mit Nothaushalten investieren können. Da standen die Ruhrgebiets-Vertreter wieder wie ein Mann hinter der SPD-Chefin.