Unna-Königsborn. 2. Weihnachtstag. Zechenstraße in Unna. Bremsen quietschen. Ein Hupen. Nur Millimeter bleibt der blaue Opel hinter dem silber-farbenen Mercedes stehen. Das Einfamilienhaus, in dem in der Nacht zum 1. Weihnachtstag fünf Menschen starben, ist zur Attraktion für Gaffer geworden.

„Sie hätten das mal gestern erleben müssen”, berichtet die Bewohnerin des Nachbarhauses, „da fuhren die Autos hier Stoßstange an Stoßstange im Schritttempo vorbei.” Und wer dann noch nicht genug gesehen hatte, stellte seine Familienkutsche auf dem gegenüberliegenden Parkplatz ab, um sich zum Fest der Freude einen Schauer des Grauens über den Rücken zu jagen. Sogar aus Düsseldorf und Köln seien die Schaulustigen angereist, berichtet ein anderer Nachbar: „Wenn du hier 'ne Pommesbude aufgestellt hättest, hätt'se dir 'ne goldene Nase verdienen können.”

Schlimmes Schicksal

Die Familie, die am 1. Weihnachtstag so hart vom Schicksal getroffen wurde, lebte mit drei Generationen unter einem Dach: zwei Söhne, 19 und 25 Jahre alt, ihre Mutter, (52 J.), der Vater (56 J.) sowie die Schwiegermutter (78 J.) und der Schwiegervater (83 J.). Außerdem war noch ein 47-jähriger Schwager, Bruder der Ehefrau, aus Köln zu Besuch, als das Feuer um 4.46 Uhr ausbrach.

Feuermelder schlägt Alarm

Der Feuermelder ist von der Hitze der Flammen deformiert. Foto: Volker Dörken
Der Feuermelder ist von der Hitze der Flammen deformiert. Foto: Volker Dörken © WP-Zeitgeschehen

Obwohl die Unnaer Feuerwehr bereits sieben Minuten nach der Alarmierung durch den 56-jährigen Familienvater vor Ort ist, können die Einsatzkräfte außer dem Vater nur noch die Großmutter lebend retten. Sie liegt mit schwersten Brandverletzungen im Krankenhaus. „Ihr Zustand ist immer noch sehr kritisch”, so die ermittelnde Oberstaatsanwältin aus Dortmund, Dr. Ina Holznagel. Der 56-Jährige kann die Klinik am Samstag nach leichten Rauchvergiftungen verlassen. Er hat alle engeren Familienangehörigen verloren. Er ist bei Verwandten untergekommen und wird von einem Notfallseelsorger betreut.

Vergeblich reanimiert

Obwohl die Feuerwehr zwei Menschen, die im Haupthaus schliefen, versucht zu reanimieren, bleiben ihre Versuche erfolglos. Im Anbau sterben drei Menschen. Feuermelder, die den Vater durch einen lauten Sirenenton weckten, haben die anderen Familienmitglieder offenbar nicht mehr gehört. Geruchloses giftiges Kohlenmonoxid und andere polytoxische Gase haben die Menschen im Schlaf überrascht. Uwe Hasche von der Feuerwehr Unna: „Wenige Atemzüge reichen, um das Bewusstsein zu nehmen oder gar tödlich zu sein.”

Todesursache

Dr. Ina Holznagel möchte sich nicht festlegen: „Genaures über die Todesursache wissen wir erst nach der Obduktion.” Und auch bei der Brandursache wartet die Oberstaatsanwältin das schriftliche Gutachten ab. Nach den Erkenntnissen der ersten Brandschau sei das Feuer im Wohnzimmer des Anbaus ausgebrochen.

Nachbarn betreut

Eine Anwohnerin hatte von einem lauten Knall berichtet, der sie in der Weihnacht aus dem Schlaf aufgeschreckt habe. „Quatsch”, meint die direkte Nachbarin, die gerade einmal zehn Meter vom Unglückshaus entfernt wohnt, „Polizei und Feuerwehr haben uns aus den Betten geklingelt und uns gebeten, unser Haus zu räumen. Das Feuer könne übergreifen.” Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz werden die Anwohner in einem Bus der Verkehrsbetriebe Unna verpflegt. Ein Notfallseelsorger spricht mit ihnen.

Weihnachtsmann

Der Weihnachtsmann auf dem Bug des Segelbootes blieb völlig unversehrt. Foto: Volker Dörken
Der Weihnachtsmann auf dem Bug des Segelbootes blieb völlig unversehrt. Foto: Volker Dörken © WP-Zeitgeschehen

Gegen 9 Uhr stellt die Feuerwehr, die mit mehr als 100 Kräften vor Ort ist, die Suche nach Überlebenden ein. Die völlig verkohlten Leichen werden zur Obduktion und zur Identifizierung abtransportiert. Leichenspürhunde durchsuchen den einsturzgefährdeten Bau. Es werden keine weiteren Toten gefunden. Nun hält nur noch ein mächtiger Weihnachtsmann, der auf dem Bug eines Segelbootes der Söhne sitzt, die Wacht.

Fassungslosigkeit

In Unna herrscht Fassungslosigkeit. Landrat Michael Makiolla: „Das ist die größte Brandkatastrophe hier in der Region.” Am Rathaus ist Halbmast geflaggt. Hunderte bringen Kerzen, Plüschtiere, Kreuze und kleine Gebetskettchen zum Unglücksort.

Geschäftemacher

„In Gedanken bleiben wir bei Euch”, schreiben Doreen und Manuela. „I love you”, steht auf einem kleinen weißen Snoopy. Die tiefe Trauer der Menschen wird überschattet von den neugierigen Gaffern. Und auch die Geschäftemacher sind schon da. „Heute morgen hat ein Mann bei mir geklingelt”, berichtet die Nachbarin, „der wollte die Handynummer des Überlebenden haben. Angeblich wollte er die vier Autos kaufen, die ja zum Teil verbrannt sind.”