Berlin. Eigentlich ist von vornherein klar, dass Kapitän zur See Christian Dienst an diesem Vormittag ein besonders gefragter Mann sein würde. Nach dem, was am Vorabend bei Anne Will zu sehen war.

Er wird also darauf gefasst gewesen sein, der Vizesprecher des Verteidigungsministeriums, dass sich jetzt in der Bundespressekonferenz gleich die erste Frage an ihn richtet: Ob denn das Ministerium den Brief des Anwalts, der die Interessen von 78 Angehörigen der Opfer des Luftangriffs auf zwei Tanklastwagen im Norden Afghanistans vertritt, mittlerweile beantwortet habe?

Der Advokat, der Bremer Deutsch-Afghane Karim Popal, ist am Sonntag abend bei Will als Studiogast aufgetreten und hat sich bitterlich beklagt: Vor Wochen bereits hätten er und drei Kollegen ans Verteidigungsministerium geschrieben, um ins Gespräch über Entschädigungsleistungen für die zivilen Opfer eines immerhin vom deutschen Militär angezettelten Luftschlags zu kommen, jedoch trotz wiederholten Nachfragens keine Antwort erhalten. Nicht anders übrigens als die Moderatorin: Am Nachmittag noch hatte ihre Redaktion mit dem Sprecher des Ministeriums telefoniert, jedoch ebenfalls nichts Konkretes erfahren.

Kein Schuldeingeständnis

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg plant eine Entschädigung für die Angehörigen der Kundus-Opfer. Foto: ddp
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg plant eine Entschädigung für die Angehörigen der Kundus-Opfer. Foto: ddp © ddp

Das liefert dafür jetzt Kapitän Dienst: Das Antwortfax an Anwalt Popal sei vor einer halben Stunde herausgegangen, verkündet er. Was denn darin stehe? Nun ja, sagt Dienst, dass man mit dem Mann ins Gespräch kommen wolle. Über eine „außergerichtliche Einigung”, wenn möglich, „ex gratia”, also „gnadenhalber”, was bedeutet, dass die Bundesregierung eine Geldzahlung keineswegs als Schuldeingeständnis aufgefasst wissen will. Das sei doch einem jahrelangen Rechtsstreit allemal vorzuziehen. Immerhin: „Wir kümmern uns, wenn Menschen durch deutsches Zutun zu Schaden kommen.”

Wieviel sich Deutschland diesen Anspruch kosten lassen wird, darüber ist vom Vizesprecher des Wehrressorts nichts zu erfahren. Nur soviel, dass es in Afghanistan üblich sei, in vergleichbaren Fällen für einen getöteten Angehörigen 2000 und für einen verletzten 1000 Dollar zu zahlen.

Popal fordert Fonds mit beträchtlichem Kapitalstock

Das wird dem Rechtsvertreter der Betroffenen nicht reichen. Immerhin hätten durch den Angriff 91 Frauen ihre Männer, 163 Kinder einen Elternteil verloren, rechnet er vor. Die Existenz dieser Menschen sei dauerhaft sicherzustellen, am ehesten durch einen von Deutschland zu finanzierenden Fonds mit einem beträchtlichen Kapitalstock. Er finde es „positiv, dass reagiert wurde”, kommentiert Popal das Antwortfax aus Berlin, wo man ihn dem Vernehmen nach vor anderthalb Wochen noch für einen obskuren Winkeladvokaten hielt und bezweifelte, dass es sich bei seinen Mandanten um Opfer des Luftangriffs handelt.

Seit Anfang September ist Popal zweimal in Afghanistan gewesen und hat dort Zahlen recherchiert, für die es bis zum Eklat um den früheren Verteidigungsminister Franz Josef Jung auf dem deutschen Nachrichtenmarkt keine Nachfrage gab. Demnach hat der Angriff überhaupt nur fünf Taliban das Leben gekostet. Im übrigen sind 137 unbewaffnete Dorfbewohner getötet, 20 verletzt worden und sind 22 verschollen. Den Kronzeugen Jungs, den Gouverneur der Provinz Kundus Mohammed Omar, der die Deutschen für ihr beherztes Dreinschlagen überschwenglich gelobt und ihnen schriftlich bescheinigt hatte, den Bomben seien nur Taliban zum Opfer gefallen, nennt Popal einen „Kriegsverbrecher, der jeden töten lässt, der gegen ihn ist.”