Herdecke. Hinter der glänzenden Schallschutzhaube in Größe eines Einfamilienhauses arbeitet das Herzstück des neuen Kraftwerks: Die Gasturbine. Sie erzeugt Strom und ein durchdringendes Geräusch, das irgendwie nach Zahnarzt klingt.
Genauer: Nach etwa 10 000 Zahnarztbohrern, die gleichzeitig in Betrieb sind.Die Geräuschkulisse ist kein Wunder: Die Turbine - sie ist etwa so groß wie ein Autobus und wie ein Herzpatient mit unzähligen Leitungen bestückt - läuft schließlich auf Hochtouren. Morgen soll das Cuno-Kraftwerk eröffnet werden, aber schon seit September werden die Anlagen im Probebetrieb getestet. Bislang zur Zufriedenheit von Ingenieur Stefan Beres und Dr. Isabel Escobar vom Energieversorger Mark-E. Die imposante Turbine, die im Prinzip wie ein Flugzeug-Strahltriebwerk arbeitet, verdichtet Luft und spritzt dann Erdgas ein. Die Temperatur steigt auf über 1200 Grad, die Turbinenschaufeln müssen von innen gekühlt werden, weil sie sonst durch die starke Hitze rasch verschleißen und verformt würden. Die Turbine treibt einen Generator zur Stromerzeugung an und bringt die schwer vorstellbare Leistung von 270 Megawatt. Das sind 362 076 Pferdestärken. Aber die Turbine ist nur ein Teil der Anlage zur Stromerzeugung. Ihre 600 Grad heißen Abgase heizen nicht etwa die Atmosphäre auf, sondern verwandeln gereinigtes Wasser in Dampf. Ziemlich viel Dampf. Jedenfalls genug für die Dampfturbine, die noch einmal 147 Megawatt produziert. Nach dieser Prozedur sind die Abgase relativ schadstoffarm und nur noch etwa 90 Grad heiß. Ein Vorteil des neuen Kraftwerks ist die Regelbarkeit. „Es ist schnell anzufahren, Anpassungen sind möglich und können schnell umgesetzt werden”, erklärt Stefan Beres. „Ein so genannter Heißstart nach mehrstündiger Pause dauert eine Stunde, zehn Minuten. Das Hochfahren nach einem Wochenende etwa drei Stunden.” Die Regelbarkeit hat große Vorteile: „Verbrauchsspitzen beim Strom beispielsweise zur Feierabendzeit, mittags oder in der Pause von Fußballspielen können so gedeckt werden”, erklärt Mark-E-Sprecher Andreas Köster.
Übrigens: Aus dem mächtigen 220 Meter langen Schornstein des Cuno-Kraftwerks weht kein Lüftchen. Die Turbine hat einen eigenen, kleinen Schornstein: „Eine Entschwefelung der Abgase ist nicht nötig, die Werte für Kohlenmonoxid und Stickoxide sind weit unter den Grenzwerten”, erläutert Ingenieur Beres. Auch die Rauchgasreinigung am Riesenschornstein ist überflüssig geworden. Die war ja auch für das alte Steinkohle-Kraftwerk. Das Neue arbeitet mit Erdgas. Bei Volllast rauschen 70 000 Kubikmeter Gas pro Stunde durch die Rohrleitung auf dem Grund des Sees zur Turbine. Das laute Zischen des in den Rohren unter hohem Druck stehenden Gases erfüllt die Mess- und Regelstation des Kraftwerks. Und beim Berühren der vibrierenden Gasrohre erhält man ein leises Gefühl für die immense Energie. 1906 wurde das erste Kraftwerk am Harkortsee gebaut. Das ist lange her. Es arbeitete mit Steinkohlefeuerung und Dampfturbine. Sein Wirkungsgrad betrug 25 Prozent - damals ein sensationeller Wert. Aber er bedeutet, dass nur ein Viertel der eingesetzten Energie als Strom genutzt werden konnte. Das neue Kraftwerk kommt auf 60 Prozent Wirkungsgrad. Es soll mindestens 40 Jahre laufen. Schließlich hat es ja auch 200 Millionen Euro gekostet.