Essen. In diesem Winter haben besonders viele Menschen bei der Nabu-Aktion mitgemacht. Winterfutter reicht aber nicht aus, um Meise und Spatz zu retten.

Der Vogel ist gelandet. Gerade flatterte er noch durch den Garten, aber jetzt sitzt er auf dem Buchenzweig und lässt sich in Ruhe betrachten: blaues Köpfchen, gelbe Brust. Eindeutig: die Blaumeise. Ein weiterer Strich auf der Liste der Vögel, die sich vor den Fenstern in den Innenstädten wohlfühlen. Und mit ihnen die vielen Menschen, die sie beobachten dürfen.

In diesem Jahr haben besonders viele an der hierzulande größten wissenschaftlichen Mitmachaktion teilgenommen und die verschiedenen Vogelarten in Gärten und Parks gezählt. 21.667 Menschen haben in NRW bei dem Projekt „Die Stunde der Wintervögel“ des „Naturschutzbund Deutschland“ (Nabu) mitgemacht, das waren 4416 mehr als im Jahr zuvor. Sie haben insgesamt 497.156 Vögel gezählt, bestimmt und gemeldet.

„In der Natur komme ich zur Ruhe, da finde ich meine innere Mitte“, sagt Nabu-Vogelexperte Christian Chwallek.
„In der Natur komme ich zur Ruhe, da finde ich meine innere Mitte“, sagt Nabu-Vogelexperte Christian Chwallek. © WAZ FotoPool | IMAGO stock

Mit den Ergebnissen gewinnen Vogelkundler einen guten Einblick, wie es um die Vogelwelt in den Städten steht. Denn längst leben einige Arten nicht mehr wie früher ausschließlich auf dem Land oder in den Wäldern, so Christian Chwallek, Sprecher des Landesfachausschusses Ornithologie sowie für den Vogelschutz beim Nabu in NRW. „Beispielsweise war vor 100 Jahren die Amsel ein Waldvogel.“

Vögel bevorzugen das Stadtleben

In den Innenstädten ist das Nahrungsangebot für sie heute deutlich größer und vielfältiger, betont der 66-Jährige. Durch die starke Industrialisierung der Agrarwirtschaft sei das Land für viele Vögel kein guter Lebensraum mehr. „Es gibt keine Hecken, es gibt einen erhöhten Einsatz von Pestiziden“, kritisiert Christian Chwallek. Die Natur werde für die Nahrungserzeugung ausgebeutet.

Die Amsel hat sich an den Menschen angepasst. Früher war sie ein reiner Waldvogel.
Die Amsel hat sich an den Menschen angepasst. Früher war sie ein reiner Waldvogel. © Getty Images/iStockphoto | Mantonature

In den Städten finden die Vögel jedoch nicht nur Nahrung, sondern auch Sicherheit. Dort können sie sich vor Fressfeinden, wie etwa dem Sperber, verstecken. Außerdem gefällt ihnen das Mikroklima. „Im Winter ist es dort bis zu zwei Grad wärmer als in ländlichen Regionen.“ Das führt dazu, dass mancher Vogel, darunter zum Beispiel die Mönchsgrasmücke, den beschwerlichen Flug gen Süden nicht antritt, sondern in NRW überwintert. Allerdings habe auch hier die Medaille zwei Seiten, so Christian Chwallek: Denn im Sommer müssten die Vögel wie die Menschen in den Städten mit der Hitze kämpfen. „Es ist wichtig, dass man ihnen Vogeltränken anbietet. Sie müssen auch trinken.“

Vögel-Betrachten ist Natur-Baden

Das machen viele Menschen gerne, locken Meise und Sperling im Sommer an die Tränke und im Winter ans Vogelhäuschen. Schließlich ist das Beobachten von Vögeln Futter für die Seele.

Auch Christian Chwallek empfindet so: „Ich hatte im Berufsleben mal eine ziemliche Durststrecke, da bin ich auch krankheitsbedingt ausgefallen. Ich bin in der Zeit gerne draußen gewesen. Nach dem Natur-Baden ging es mir psychisch besser. In der Natur komme ich zur Ruhe, da finde ich meine innere Mitte.“ Eine Studie an der Helmut-Schmidt-Uni in Hamburg belegt sogar: Haben Menschen viele verschiedene Vögel bei sich im Garten, sind sie darüber froher als über ein höheres Einkommen. Wobei hier die Vielfalt das Glück bringt. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – und bringt alleine auch noch kein Hochgefühl.

Was man liebt, das schützt man

Die Menschen nutzten „Die Stunde der Wintervögel“ auch, um sich eine Auszeit vom Alltag zu gönnen. „In dieser Stunde haben Stress und Hektik keinen Raum“, so Christian Chwallek. Für Menschen, die das Hamsterrad gewohnt sind, sei das innere Arbeit. Schließlich müsse man beim Beobachten geduldig sein – und werde dann mit der ganzen Vogelpracht belohnt. Für den Experten ist das der wichtigste Nutzen der Nabu-Aktion: Dass die Menschen die Schönheit der Natur entdecken. Denn: „Was man liebt, das schützt man auch.“

Winterliche Snackbar - Wer frisst was?
Winterliche Snackbar - Wer frisst was? © funkegrafik nrw | Anna Stais

Damit die Menschen das Seelenfutter weiter genießen können, braucht es jedoch mehr als Vogeltränke und -häuschen im Garten, betont Christian Chwallek. „Mit der Winterfütterung allein, wird man keine Vogel-Art retten.“ Und nur weil ein Vogel auf Platz eins der Winterzählung stehe, müsse es ihm nicht gut gehen. Chwallek fordert: „Wir müssen weg von den Gärten des Grauens.“

Zu viele Flächen sind versiegelt

Weg von den viel zu aufgeräumten Beeten, bei denen kein Samen für die Vögel abfällt. Weg vom klinischen Rasen, auf dem tagein, tagaus ein Roboter seine Runden mäht – und Insekten keine Nahrung bietet. Weg von den mit Steinen zugepflasterten Vorgärten, durch die kein Regen sickert. Stattdessen müssten Flächen entsiegelt werden, sagt Christian Chwallek. „Also eigentlich das, was auch in der Klimaforschung jetzt gefordert wird.“ Und statt mit der Chemo-Keule durch den Garten zu gehen, sollte man ihn lieber naturnah anlegen. Und dann auf Mithilfe setzen: „Vögel sind natürliche Schädlingsbekämpfer.“

Die Menschen in NRW könnten alle ihren Beitrag leisten. Aber ob ein Vogel im winterlichen Garten landet, hängt noch von weiteren Faktoren ab, sagt Christian Chwallek. Die Nabu-Aktion zeige, dass in diesem Winter deutlich mehr Bergfinken und Birkenzeisige zu Besuch sind als im Vorjahr. Das könnte an dem sehr kalten Wetter in Schweden liegen, das die Teilzieher in NRW landen ließ.

Weniger typische Wintergäste in diesem Jahr

Ein weiteres Ergebnis ist, dass in diesem Jahr andere typische Wintergäste deutlich weniger gesichtet wurden, darunter Erlenzeisig, Kernbeißer, Wacholder- oder Rotdrossel. Haben sie sich also noch nicht vom Schnee in Skandinavien oder Osteuropa verscheuchen lassen? „Es ist nicht ganz so einfach: Man kann nicht sagen, in Skandinavien ist ein strenger Winter, also sind die bei uns“, sagt Christian Chwallek. Schließlich müsse der Vogel auch die richtige Nahrung finden.

Als Beispiel nennt Christian Chwallek den Erlenzeisig, den man häufig an Bachläufen und an Flussufern sieht, weil da die Schwarz-Erle wächst. Wenn die Pflanze eine gute Ertragslage hat, sind die entsprechenden Nahrungsgäste da, so Christian Chwallek. Wenn es ein schlechtes Jahr ist, weil zum Beispiel der Sommer zuvor sehr trocken war und es nicht genügend Samen für den Wintergast gibt, dann zieht der Erlenzeisig weiter. Dorthin, wo er Nahrung findet.

Bei den Vogelzählungen des Nabu handelt es sich der Naturschutzorganisation zufolge um das größte Citizen-Science-Projekt in Deutschland, also um die größte wissenschaftliche Untersuchung mit interessierten Laien. Die nächste Möglichkeit, Meisen, Sperlinge und Finken zu zählen, zu bestimmen und zu melden, ergibt sich vom 9. bis zum 12. Mai bei der „Stunde der Gartenvögel“. Infos und Tipps für das Beobachten der Vögel unter nabu.de

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