Essen. Chris Stapleton startete als Komponist - als Sänger, der Soul, Rock und Country verknüpft, ist er noch stärker. Neuer Beleg: „Higher“.

Es ist schon ein paar Jahre her, dass sich Chris Stapleton aufmachte, aus dem Schattendasein des – allerdings höchst erfolgreichen – Songschreibers selbst ins Rampenlicht zu treten. Wer über eine solche Kehle verfügt, würde allerdings auch ein Verbrechen an der Kunst begehen. Es gibt nicht allzu viele Sänger auf diesem Planeten, die die Gabe besitzen, den Countryrocker raushängen zu lassen und dennoch höchst verletzlich zu klingen. Die Sammlung seiner Auszeichnungen wächst unaufhörlich. Warum das so ist, lässt sich einmal mehr nachhören auf seinem neuen, überaus gelungenen Album „Higher“ (Mercury Nashville/Universal).

Kein Fall für stilistische Schubladen

Wie immer bei Stapleton stellt sich bei dieser fünften Studioproduktion die Stilfrage. Für Schubladen ist der Mittvierziger nicht geeignet. 14 Lieder haben es auf das neue Album geschafft, und wenn der Schlussakkord verklungen ist, bleibt man etwas ratlos zurück, ob das jetzt Rock war oder Country – oder sogar Soul.

Künstlerisch betreut wurde „Higher“ von Stapleton selbst, seiner Frau Morgane (die wunderbare Backgrounds singt) sowie dem alten Weggefährten und Gitarristen Dave Cobb. Der Mann mag offenkundig eine familiäre Atmosphäre. Und wenn dann noch solche Cracks vom Kaliber des Pedalsteel-Gottes Paul Franklin dem Ruf folgen, in den Aufnahmeraum zu kommen, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.

Am spannendsten sind die souligen Einschläge, die diese Werkschau zu bieten hat. Bei „Loving You On My Mind“ wird es richtig kuschelig, weiche Majorakkorde umschmusen Stapletons Vortrag. Butterweich, wunderbar! Auf melancholische Liebeslieder versteht er sich auch, wie „The Day I Die“ nachhaltig belegt. Und natürlich darf bei einer Nashville-Produktion auch der obligatorische Waltz nicht fehlen – mit „It Takes A Woman“ gelingt das höchst unterhaltsam.

Das Cover des Albums „Higher“ von Chris Stapleton.
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Das Cover des Albums „Higher“ von Chris Stapleton. . © Mercury Nashville/Universal Music | Mercury Nashville/Universal Music

Man sollte jetzt aber nicht denken, dass „Higher“ ein Fall für das Kuschelrockregal ist. Der Mann kann auch derb. „White Horse“ ist so ein knalliges Ding, das sogar ein bisschen an den jungen Bon Jovi erinnert. Bei „The Bottom“ ist der Stil vom Boss die Blaupause: Man mixe hymnische Melodik mit stampfendem Groove – fertig ist der stadiontaugliche Springsteen-Song.

Geschmeidig selbst in brutalster Höhe

Stapleton beherrscht den steten Genrewechsel in Perfektion. Was seiner grandiosen Stimme zu verdanken ist. Leicht angeheisert ist dieser hohe Bariton zwar, dennoch warm und selbst in brutalen Höhen noch sehr geschmeidig. Es ist genau die richtige Entscheidung gewesen, sich aus dem Album zu verabschieden mit einem Lied, das diese Fähigkeiten noch einmal in den Mittelpunkt rückt: „Mountains Of My Mind“ ist karg arrangiert und dennoch ergreifend: ein Mann, eine Gitarre und eine großartige Stimme.