Lünen. Im Winter lohnt sich ein Blick in die Baumkronen noch mehr als im Sommer, sagt Experte Stephan Grote. Er verrät, wie man sie ohne Laub bestimmt.

Ein Ahornblatt sieht mit ein bisschen Fantasie aus wie eine Hand. Leicht zu erkennen. Doch wenn der Baum kahl ist und sich die Hand-Blätter mit den gezackten der Eiche rund um den Stamm mischen, kann man sich schon nicht mehr so sicher sein, vor welchem Baum man da gerade steht. Außerdem gibt es ja nicht nur den einen Ahorn. Es gibt rund 100 Ahorn-Arten.

Maren Schürmann sprach mit dem Landschaftsökologen Stephan Grote (51). Der Fachberater beim „Landesverband Westfalen und Lippe der Kleingärtner“ in Lünen führt auch schon mal für den Naturschutzbund (Nabu) Interessierte zu Bäumen und Büschen und lässt sie an Rinden kratzen und schnuppern. Auch so kommt man der Baumart auf die Spur. Denn im Winter, das weiß der Experte, hilft dabei oft keine App zur Pflanzenbestimmung.

Bald sind alle Blätter von den Bäumen gefallen. Warum lohnt es sich trotzdem, in der kalten Jahreszeit in die Kronen zu schauen?

Stephan Grote: Bäume kann man im Winter oftmals viel einfacher bestimmen als im Sommer. Wenn ich im Winter auf der Autobahn fahre und mir die Gehölze an den Seitenrändern anschaue, kann ich sie tatsächlich schneller bestimmen. Im Sommer ist ja alles grün und, um das mal übertrieben zu sagen, da nerven die Blätter ein bisschen. Aber im Winter sehe ich viel besser die Verzweigung der Äste und den Aufbau der Krone.

Können Sie ein Beispiel nennen, inwiefern sich die Kronen der Bäume unterscheiden?

Wenn man die beiden einheimischen Eichenarten unterscheiden will, die Trauben-Eiche von der Stiel-Eiche, dann sieht man bei der Stiel-Eiche oftmals nach Zweidrittel der Krone plötzlich eine Aufteilung der Stammverlängerung. Dann wird die Eiche so ein bisschen knorriger, im Grunde malerischer. Die Trauben-Eiche hat dagegen eine durchgehende Stammverlängerung, die verzweigt sich nicht.

Welche Kronen sind besonders schön verzweigt?

Ein Baum, der ein bisschen knorrig aussieht und auch ein bisschen südländisch, ist die Robinie. Der Stamm und die Äste sind nicht ganz gerade. Die Zweige drehen sich und knicken plötzlich ab.

Welche Anhaltspunkte gibt es noch, um im Winter Bäume zu bestimmen?

Man schaut sich den ganzen Baum an, den Kronenaufbau, die Verzweigung – den Habitus, so nennt man das. Das ist der erste Hinweis und dann erkennen schon viele Leute die Gattung, also Birke, Eiche oder Buche. Die Birke hat eine weiße Rinde und insbesondere bei der Hänge-Birke hängen die Zweige ein bisschen runter. Dann geht man näher heran und guckt in der Regel nach der Knospenstellung.

Was ist eine Knospenstellung?

Die Knospenstellung ist die Anordnung der Knospen am Zweig.

Stephan Grote, Fachberater beim Landesverband Westfalen und Lippe der Kleingärtner: „Die Apps zur Pflanzenbestimmung helfen leider nicht weiter. Sie sind im Sommer ganz gut, wenn die Blätter an den Bäumen hängen. Aber für den Winter fehlt die Datengrundlage.“
Stephan Grote, Fachberater beim Landesverband Westfalen und Lippe der Kleingärtner: „Die Apps zur Pflanzenbestimmung helfen leider nicht weiter. Sie sind im Sommer ganz gut, wenn die Blätter an den Bäumen hängen. Aber für den Winter fehlt die Datengrundlage.“ © Privat | Privat

Sind das die Knospen von den Blüten oder von den Blättern?

In der Regel ist das nicht so stark getrennt, wie man das normalerweise glaubt. Die meisten Knospen sind gemischte Knospen. Die heißen zwar Blattknospen, aber das ist eigentlich ein fehlerhafter Name. Es kommt nie nur ein Blatt heraus, es kommt immer ein Trieb heraus, also ein ganz neuer Zweig, oder eine Blüte oder ein Trieb mit Blüte.

Und dann schauen Sie sich an, wie die Knospen an den Zweigen wachsen?

Genau, ich achte auf die Knospenstellung. Wenn Sie sich in diesen Tagen die Bäume anschauen, kann es sein, dass zwei Knospen gegenüber am Zweig angeordnet sind, das bezeichnet man als „gegenständig“, wie zum Beispiel beim Ahorn. Knospen anderer einheimischer Bäume, wie die Rot-Buche, sind „wechselständig“ angeordnet, die Knospen stehen einzeln. Darüber hinaus gibt es weitere Merkmale, die man unterscheiden kann, wie die Farbe, die Behaarung und ob die Knospen spitz oder stumpf sind. Was auch ein wertvolles Bestimmungsmerkmal ist und bei den Führungen immer eine interessante Erfahrung, das ist der Duft.

Der Duft? Wonach duften Laubbäume im Winter?

Man riecht an der Rinde, kratzt sie etwas mit dem Fingernagel auf. Dann verströmen bestimmte Bäume einen Duft, wie zum Beispiel ein Faulbaum, das ist zwar ein Strauch, aber er heißt bei uns im Deutschen Baum. Der riecht dann so ein bisschen nach, ich sage mal: Terpentin.

Gehen Sie mit einem Bestimmungsbuch durch den Wald?

Manches kann ich alleine erkennen, für anderes brauche ich auch ein Bestimmungsbuch. Die Apps zur Pflanzenbestimmung helfen leider nicht weiter. Sie sind im Sommer ganz gut, wenn die Blätter an den Bäumen hängen. Aber für den Winter fehlt die Datengrundlage, da werden zu wenig Fotos von den Zweigen mit den Knospen gemacht.

Man kann sich nie ganz sicher sein, ob das Blatt am Fuß des Stammes wirklich zum Baum gehört, vor dem man steht. Das abgebildete herbstlich gefärbte Blatt von einem Ahorn-Baum ist auf einer Autoscheibe zu sehen, in der sich auch der blaue Himmel spiegelt.
Man kann sich nie ganz sicher sein, ob das Blatt am Fuß des Stammes wirklich zum Baum gehört, vor dem man steht. Das abgebildete herbstlich gefärbte Blatt von einem Ahorn-Baum ist auf einer Autoscheibe zu sehen, in der sich auch der blaue Himmel spiegelt. © picture alliance / dpa | Friso Gentsch

Die Blätter unter den Bäumen helfen aber auch weiter?

Sie können ein Hilfsmittel sein, aber man weiß nie, sind sie wirklich von diesem Baum? Einfacher sind da die Früchte, die hängen manchmal länger an den Zweigen. Linden zu bestimmen, ist total schwierig. Übrigens auch im Sommer, weil die Blätter der Lindenarten nicht sehr verschieden sind. Aber die Früchte unterscheiden sich. Die Fruchtstände sind unterschiedlich groß. Es gibt Linden mit Fruchtständen, die haben drei Früchte, die werden bei den Linden Nüsschen genannt, andere haben fünf Früchte und so weiter. Dann zählt man die Nüsschen und weiß, eine Sommer-Linde kann es nicht sein.

Jetzt müssen Sie bitte noch mal kurz erklären, warum die Blätter in der kalten Jahreszeit überhaupt fallen.

Bei uns in der gemäßigten Zone erwarten die Bäume, dass eine starke Frost-Phase kommt. Wenn der Boden gefriert, können die Bäume kein Wasser mehr aufnehmen. Das Wasser brauchen sie jedoch, um Photosynthese zu betreiben, also um Zucker und Sauerstoff zu produzieren. Wenn die Bäume noch Blätter hätten, würden sie weiterhin Photosynthese betreiben, also Wasser verbrauchen und dann langsam vertrocknen. Also müssen sie die Blätter abwerfen. Damit sie dabei nicht die ganzen Nährstoffe verlieren, führen sie diese im Herbst aus den Blättern zurück in den Stamm und die Wurzel. Deshalb verfärben sich die Blätter gelb und rot.

Und warum behalten die Nadelbäume ihre Blätter?

Die meisten Nadelbäume behalten ihre Blätter, da sie während der Evolution eine andere Strategie entwickelt haben. Deren Nadeln sind durch eine Wachsschicht geschützt. Sie sind unter anderem dadurch nicht gezwungen, Photosynthese zu betreiben. Die Nadeln können ihre Verdunstung auch besser regulieren als die Laubblätter.

Lesen Sie mehr zu Bäumen:
Familienausflug im Wald: Detektivspiel mit Kindern

Krimi aus der Natur: Wenn Bäume zu tückischen Mördern werden