Essen. In vielen Städten verlegen gleich mehrere Anbieter nacheinander ihre Glasfaserkabel. Anwohner fürchten immer wieder neu aufgerissene Straßenzüge.
Die Glasfaser kommt und soll blitzschnelles Internet zu dem Menschen im Ruhrgebiet bringen. In vielen Städten aber kommt sie gleich von mehreren Anbietern. Nehmen wir Essen. Dort gibt es gleich drei Unternehmen, die Kabel ziehen wollen oder bereits verlegen. Da ist die Deutsche Telekom, die bis Ende 2028 über 250.000 Haushalte anschließen will. Das regionale Unternehmen ruhrfibre, das mit Vodafone kooperiert, plant den Anschluss von 150.000 Haushalten bis Ende 2025. Dritter im Bunde ist die „Breitbandversorgung Deutschland GmbH“, die immerhin für 18.000 Essener Haushalte Glasfaser angekündigt hat. Mit einem sogenannten „Überbau“ sei zu rechnen, räumt die Stadtverwaltung ein. Also damit, dass im schlimmsten Fall Straßen und Gehwege mehrfach aufgerissen werden. Was den Asphalt nicht besser macht – von Dreck und Lärm ganz zu schweigen.
Glasfaser-Überbau: Kritiker sprechen von „volkswirtschaftlichem Wahnsinn“
Essen ist kein Einzelfall. Der Bundesverband Glasfaseranschluss (Buglas), der rund 160 Unternehmen vertritt, beobachtet in jedem vierten Postleitzahlenbereich ähnliche Fälle und spricht von „volkswirtschaftlichem Irrsinn“. In einihghen Gebieten werde mehrfach ausgebaut, in anderen wegen fehlender Kapazitäten gar nicht Der Überbau bestehender Netze der Konkurrenz durch die Telekom mache nur ein bis zwei Prozent aus, behauptet dagegen Telekom Deutschland-Chef Srini Gopalan. Im Übrigen, heißt es beim Ex-Monopolisten, sei der Begriff „Überbau“ viel zu schwammig. Beginnt er schon mit der Ankündigung von neuen Anschlüssen? Ist es schon ein Überbau, wenn bereits Jahre im Boden liegende Leitungen modernisiert werden?
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Wo doppelt ausgebaut werde, sagt Verena Schmitz-Axe, Regionalleiterin Glasfaser bei Deutschen Telekom, „ist das ein Wettbewerb, den wir annehmen.“ Genau das wird von der Konkurrenz oft bezweifelt. „Weniger als 48 Stunden vor dem Ratsbeschluss zur gemeinsamen Gründung der ruhrfibre mit der Stadt Essen im März 2022, habe der Konkurrent angekündigt, selbst 250.000 Anschlüsse in Essen bauen zu wollen. „War das wirklich ein Zufall?“, fragt ruhrfibre-Geschäftsführer Christopher Rautenberg und gibt die Antwort gleich selbst. „Das Beispiel Essen legt die Vermutung nahe, dass die Deutsche Telekom AG auf eine Strategie zur gezielten Verhinderung des Wettbewerbs setzt.“
Glasfaserausbau: Wettbewerb ist nicht zu verhindern
Verhindern können die Kommunen diesen Wettbewerb nicht. Anders als bei Strom oder Gas ist der freie Zugang zu den Glasfasernetzen gesetzlich nicht reguliert. Im Gegenteil: Wettbewerb ist politisch gewünscht, Absprachen zwischen den Netzbetreibern sind aus kartellrechtlichen Gründen verboten. Immerhin haben Bundesnetzagentur und Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Anfang Juli eine Monitoringstelle zur Erfassung von doppelten Glasfaserausbauvorhaben eingerichtet. Sie soll prüfen, „ob von einzelnen Unternehmen gegebenenfalls wettbewerbsbehindernde, missbräuchliche oder unlautere Methoden zum Einsatz kommen“, wie Behördenchef Klaus Müller sagt. Bisher läuft das Vorhaben allerdings anscheinend eher schleppend. „Dass drei Monate nach der Einrichtung einer Monitoringstelle noch nicht einmal eine Auswertung der bisher gemeldeten 280 Doppelausbau-Fälle vorliegt, ist ein katastrophales Signal“, sagt Stephan Albers, Geschäftsführer des Bundesverbandes Breitbandkommunikation.
Die Lösung wäre nach Einschätzung vieler Experten, was in der Branche „Open Access“ heißt. Das bedeutet: Einer baut sein Netz und öffnet es dann gegen Entgelt für die Wettbewerber. „Das machen wir bei der Telekom“, sagt Schmitz-Axe, und verweist etwa auf die Kooperation zwischen „Glasfaser Ruhr“, einer Tochtergesellschaft der Stadt Bochum. Sie verlegt das Netz in der Ruhrstadt, die Telekom werde dann anschließend „Licht auf die Fasern bringen“, heißt es im „Glasfaser Ruhr“-Internetauftritt. Auch in Münster gibt es eine ähnliche Zusammenarbeit.
Zusammenarbeit scheitert an vielen Stellen
Flächendeckend funktioniert das allerdings nicht. Neben den technischen Aspekten müsse man auch wirtschaftlich zusammenfinden, heißt es bei der Telekom. Größter Knackpunkt aber seien die AGB für die Glasfasernetze. „Da stehen bei uns für alle Kundinnen und Kunden auch Entstörzeiten drin, Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Hotlines, samstags und sonntags oder nachts. Das können viele Klein und Kleinstanbieter, die heute Glasfaserinfrastruktur bauen in der Form gar nicht abbilden.“ Deshalb müsste man in diesen Fällen ein komplett anderes Vertragswerk mit anderen AGB aufsetzen. „Das ist nicht möglich.“ Bleibt nur ein eigenes Netz.
Kleiner dürfte das Problem des Überbaus jedenfalls nicht werden. Allein der Anbieter „Unsere Grüne Glasfaser“ (UGG), der in Sprockhövel bereits im Boot sitzt, ist in über 20 weiteren Gemeinden in NRW „in der Vermarktung unseres Glasfasernetzes“. Und auch Ruhrfibre will nicht nur Essen mit schnellem Internet versorgen. „Es laufen bereits konkrete Gespräche mit anderen Städten“, bestätigt Rautenberg.
Manches Vorhaben steht auf wackligen Füßen
Ob alle Pläne umgesetzt werden, ist allerdings eine andere Frage. Die Breitbandversorgung Deutschland etwa fängt erst an zu graben, wenn eine bestimmte Vorvermarktungsquote erreicht ist. Die gibt es bei der UGG nicht, dennoch hat sie in Süddeutschland ihre Glasfaserpläne in mehreren Städten schon wieder begraben. „Ändern sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, weil zum Beispiel ein Wettbewerber plötzlich die sogenannten Filetstücke einer Gemeinde ausbaut, können wir ohne Förderung keinen eigenwirtschaftlichen Ausbau mehr betreiben“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage.