Das Familienunternehmen Madsen kommt mit neuer Platte auf Tour. Sänger Sebastian über Depressionen, Freundschaften und die deutsche Sprache.
Madsen ist eine deutsche Band aus dem Wendland, die sich 2004 gegründet hat. Drei der fünf Gründungsmitglieder sind Brüder, so ist deren Familienname Name ihrer Band geworden. Gerade erschien das neunte Studioalbum „Hollywood“. Die Band ist bis Ende des Jahres live unterwegs. Sänger Sebastian Madsen hat mit unserer Sonntagszeitung gesprochen.
Sebastian, gerade erschien das neunte Madsen-Album. Wie blicken Sie bisher auf die Karriere der Band zurück?
Sebastian Madsen: Es wurde auf jeden Fall nie langweilig. 2005 haben wir unser Debüt rausgebracht und wurden kurz mal mächtig abgehypt, danach wurden wir ganz schnell wieder für erledigt erklärt – zumindest von einigen Leuten. Dann haben wir allerdings 2006 direkt unser Album „Goodbye Logik“ mit „Du schreibst Geschichte“ raus gehauen, und seitdem kann uns niemand aus der deutschen Musiklandschaft weg diskutieren. Ich selbst bin in den fast 20 Jahren Bandgeschichte durch sämtliche Höhen und Tiefen gegangen. Jetzt bin ich gerade einfach nur dankbar für das, was wir mit Madsen erleben durften und dürfen. Schließlich darf ich immer noch meinen Traumberuf ausüben.
„Hollywood“ ist die erste Platte über Euer eigenes Label „Goodbye Logik Records“. Warum dieser Album-Titel?
Die elf Lieder auf dem Album sind wie kleine Film-Drehbücher, denn ich habe bei den Texten das „Storytelling“ entdeckt. Das unterscheidet die Platte von denen davor. Ich erzähle Geschichten von Bäumen, Freunden, der Sonne, Brüdern, einer kaputten Welt und eben auch eine von Hollywood. Das Wort steht für große Träume, Erfolg und Ruhm. Aber auch für miese Arbeitsbedingungen, geplatzte Träume, Machtmissbrauch und bröckelnde Kulissen. Auch auf unserem Album gibt es viel Licht und Schatten. Auf unserem Plattencover ist bei genauerem Betrachten nicht Hollywood, sondern die Sternbrücke Hamburg zu sehen. Diese soll abgerissen werden und mit ihr auch einige altehrwürdige Kneipen und Clubs. Das steht im Kontrast zum eigentlich schönen Artwork.
Waren Sie schon einmal in Hollywood, und welche verrückte Geschichte können Sie da erzählen?
Wir waren 2011 für sechs Wochen über das Goethe Institut in Amerika und haben Konzerte von der Ost bis zur Westküste gespielt. Los Angeles an sich hat uns gut gefallen, Hollywood und der Sunset Strip wirkten hingegen sehr komisch auf uns. Das war wie ein ganz großer, kaputter Heidepark mit Glanz und Glamour auf der einen Seite sowie Armut und Frust auf der anderen. Diese Ambivalenz hat uns damals schon fasziniert.
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Warum haben Sie ein eigenes Label gegründet? Ist da die Sehnsucht nach dem großen Hit?
Wir haben das Label gegründet, um noch unabhängiger zu werden. Wir sind keine Geschäftsmänner und entscheiden viel aus dem Bauch heraus. Wir können uns jetzt kreativ noch mehr ausleben und genießen mehr Freiheit. Dafür gehen wir natürlich auch ein finanzielles Risiko ein, aber es fühlt sich gerade richtig an. Die Logik überlassen wir lieber unserem Team, das wir zusammen mit unserem Manager Diak zusammen gestellt haben und das aus alten Weggefährten und Freunden besteht.
Was ist ein Hit? Für mich ist „Du schreibst Geschichte“ ein Hit; denn egal, wo wir das Lied spielen, es wird überall laut mitgesungen. Dabei war es nie nennenswert in den Charts. Keiner von uns würde sich gegen einen Nr.-1-Hit wehren, aber wir brauchen den auch nicht. Wir haben viele kleine Hits und müssen uns nicht immer wieder an einem großen Ding messen.
Die neue Platte ist Madsen pur, würden Sie da zustimmen? In der Presse-Info steht ja auch Madsen bleibt Madsen.
Ja, da würde ich zustimmen. Wir haben das Album live, ohne Klick und auf Bandmaschine eingespielt. Dadurch ist es genau so lebendig wie ein Madsen-Konzert. Dieses Live-Feeling war schon immer ein wichtiger Bestandteil der Band. Unsere Interpretation von Rock, Pop und Punk können wir am Ende Madsenmusik nennen. Die Essenz davon findet sich auf diesem Album.
Madsen ist ein Familien-Unternehmen. Leider gibt es die häufigsten Zerwürfnisse in Familien. Was bedeutet Ihnen Familie?
Familie bedeutet Zusammenhalt und Liebe, das steht erstmal über allem. Familie heißt aber auch, Schwächen und Fehler anzuerkennen und gemeinsam zu lernen und zu wachsen. Wenn man sich gut und konstruktiv streiten kann, ist das viel wert. Zerwürfnisse kommen vor allem dann, wenn nicht mehr richtig kommuniziert, sondern eher interpretiert wird.
Sie, Johannes und Sascha sind Brüder. Wie oft gab es schon Zoff unter den Brüdern, und wie ist das Brüdersein innerhalb der Band?
Okay, ehrlich gesagt können wir diese Frage schwer ertragen. Seit 20 Jahren wird sie uns immer wieder gestellt. Dennoch kann ich verstehen, warum sie gestellt wird. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, mit ihren Geschwistern über so einen langen Zeitraum so eng zusammenzuarbeiten. Bei uns ist das jedoch normal. Wir spielen zusammen in Bands, seitdem wir Kinder sind. Es fühlt sich eher komisch an, ohne meine Brüder Musik zu machen. Klar, wir streiten auch, und es gibt eine andere Sensibilität bei uns als beispielsweise bei Freundschaften. Es gibt aber auch ein tiefes Vertrauen zwischen uns, das uns immer schon eine große Stabilität gegeben hat.
„Wir haben immer noch die Sonne“ ist ein neuer Song für Kinder von Traurigkeit, deren Alter sich irgendwann verwachsen hat. Wie ist das konkret gemeint?
Unabhängig von jedem Alter handelt dieses Lied von Depressionen. Auch ich hatte schon depressive Phasen und bin kaum aus dem Bett gekommen. Es geht darum, dem etwas Konstantes und Unerschütterliches entgegenzusetzen. Die Sonne. Egal, wie schwierig das Leben erscheint: So lange wir auf dieser Erde sind, wird die Sonne jeden morgen aufgehen. Mir hat das schon immer Hoffnung gegeben.
Ein anderes Lied heißt „Rock‘N‘Roll“. Sind Sie Rock‘N‘Roll, Pop oder Punk?
Rock’N‘Roll ist der Ursprung von allem, was wir mit Madsen machen. Bei diesem ganzen Thema rund um kulturelle Aneignung ist mir unter anderem klar geworden: Elvis ist nicht der King of Rock’n’Roll, auch wenn ich ihn schon immer verehrt habe. Auf den Thron gehören Leute wie Chuck Berry oder Little Richard, denn die waren als erstes da. Wir sind weiße Männer aus der Mittelschicht, die diese Musik lieben. Und wir versuchen, so gut und gewissenhaft wie möglich ihren Spirit weiter zu tragen.
Auf Einladung des Goethe-Instituts haben Sie in 2011 elf Gastauftritte an Schulen in den USA gehabt. Die Konzerte waren Schülern der jeweiligen Schulen vorbehalten und fanden in der Regel am Vormittag statt. Die Band agierte als Botschafter der deutschen Sprache. Wie war das für Sie?
Spitze war das! Die Kids haben sich richtig auf uns gefreut, konnten die Texte und haben Schilder mit netten Botschaften an uns bemalt. Viele erzählten uns, dass wir ihre erste Liveband waren. Als Botschafter der deutschen Sprache haben wir uns selbst kaum wahrgenommen, aber natürlich waren wir auch genau das. Wir haben aber auch sehr deutlich gemerkt, dass Musik an sich, eine eigene Sprache ist – und die ist grenzenlos. Unsere Energie hat sich an einer Highschool in San Francisco genau so entfacht wie auf einem Acker in Scheeßel dieses Jahr.
Finden Sie nicht auch, dass die deutsche Sprache bei Jugendlichen immer mehr verkommt?
Bei den Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, trifft das nicht zu. Aufgrund der vielen Anglizismen verstehe ich manchmal nur Bahnhof, das muss ich zugeben. Aber so ist das nun mal. Ich bin jetzt 42, und die Kids sprechen eine andere Sprache als ich. Müssen sie auch. Ich finde es gut, wenn Sprache sich verändert und neu interpretiert wird.
Noch mal zum Song „Hollywood“, darin geht es um ein Kind, dem entgegen geschrien wird, hier – in diesem Fall in Deutschland – nicht willkommen zu sein. Das klingt traurig und schön zugleich. Haben es Kinder besonders schwer heutzutage?
Ich glaube, ja. Es gibt immer mehr geflüchtete Kinder, die sich in völlig neuen Umgebungen zurecht finden müssen. Generell werden Kinder immer mehr vor Bildschirme gesetzt, müssen mit den Komplikationen von sozialen Netzwerken zurecht kommen. Sie werden in eine Welt geboren, die schwer unter dem Klimawandel leidet. Wenn sie dagegen auf die Straße gehen oder sich an dieser aus Protest festkleben, werden sie von vielen Menschen in der Gesellschaft und der Politik belächelt oder sogar angefeindet. Wir müssen versuchen, ihnen etwas Last von den Schultern zu nehmen, denn es ist zur Zeit nicht leicht, ein Kind zu sein. Dabei sollte es das.
„Willi“ ist ein guter Freund, mit dem gerne das letzte Bier geteilt wird. Wird einem heute gute Freundschaft oft nur vorgegaukelt? Gerade in der Musik/Medienbranche?
Willi ist mein ältester Freund. Alles, was ich in dem Lied erzähle, hat sich so zugetragen. Es gibt nicht so viele Freundschaften dieser Art. In der Medienbranche sollte man auch nicht unbedingt danach suchen, denn dort stehen meistens ein Produkt und dessen finanzielle Erfolgschancen im Vordergrund. Das sollte einem klar sein, denn ansonsten ist die Enttäuschung groß, wenn eine vermeintliche Freundschaft nach einem kommerziellen Misserfolg plötzlich endet. Es gab aber auch immer schon Menschen in der Branche, die idealistischer denken und einfach sehr musikbegeistert sind. Die haben mir immer Hoffnung gemacht.
Madsen Konzerttermine (Auswahl): 29.8. Leipzig, 1.9 und 2.12. Köln, 2.9 und 21.12. Hamburg, 17.12.. Oberhausen
Das ist ein Artikel der Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.