Köln. Schmetterlinge werden immer seltener in NRW. Eine alarmierende Diagnose, die auf viele Insektenarten zutrifft.
Das Positive vorweg: Viele Menschen in NRW haben ein Herz für Falter. Das hat die Schmetterlingszählaktion des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) vom 15. Juni bis 15. Juli gezeigt. „Es haben sich zahlreiche Menschen beteiligt und informiert. Sowohl zur Situation der Schmetterlinge als auch zu Maßnahmen, die man im eigenen Garten umsetzen kann, um den Faltern zu helfen“, sagt Alina Pickart, die naturschutzfachliche Leiterin des Projektes. Allerdings, und das ist die weniger gute Nachricht: „Es gab nicht viel zu beobachten.“ Den Faltern in NRW geht es, wie den Insekten insgesamt, nicht gut.
Anlass zur Sorge
Zum achten Mal in Folge hatte der Nabu NRW über das vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW geförderte Projekte „Mehr Platz für Falter – Jetzt wird’s bunt!“ zum Zählen aufgerufen. Die Ergebnisse wurden kürzlich mit dem Hinweis veröffentlicht, dass „Anlass zur Sorge“ bestehe. Es wurden rund 17.000 Beobachtungen gemeldet, nur wenig mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr (29.000). Am häufigsten wurden die Weißlinge gesichtet (rund 3200 Meldungen). Mit einigem Abstand folgen auf Platz zwei und drei Admiral und Zitronenfalter mit knapp über und knapp unter 900 Beobachtungen. Auf Platz vier landete das Große Ochsenauge (850), auf Platz 5 der kleine Fuchs, dicht gefolgt vom Tagpfauenauge (jeweils rund 780 Meldungen).
Dürresommer 2022 ist nur ein Grund
„2023 ist ein außerordentlich schlechtes Schmetterlingsjahr“, sagte Karl-Heinz Jelinek. Das hatte der Experte zur Halbzeit der Zählaktion bereits vermutet – nach Auswertung der gesamten Zählung hat sich das nun bestätigt. Woran das liegt? „Auch am Dürresommer des vergangenen Jahres“, erklärt Jelinek: „Da sind reihenweise Raupen verhungert.“ Zumindest jene der Arten, die sich zwischen Juli und September entwickeln. Ob sie eine Generation pro Jahr hervorbringt oder bis zu vier, ist von Schmetterlingsart zu Schmetterlingsart verschieden. Wichtig ist immer, dass die Raupen genügend Futterpflanzen finden und die fertigen Schmetterlinge genügend Blüten mit Nektar.
Beides wird jedoch zunehmend knapp in unserer Welt. Nicht nur für Schmetterlinge, sondern auch für andere Insekten. Die Falter leisten keinen so immensen Bestäubungsbeitrag wie etwa die Bienen, verzichtbar seien sie deshalb aber keineswegs, betont Jelinek. „Dieses Nützlichkeitsdenken ist problematisch“, sagt er: „Unsere Natur ist ein riesiges System, das zusammenspielt. Wenn man da immer mehr Steinchen rausnimmt, geht das eine Zeit lang gut. Wie bei einem Stapel Dosen, aus dem hier und da eine herausgenommen wird. Aber irgendwann bricht alles zusammen. Genau das passiert wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten mit unserer Umwelt.“
Die Wichtigkeit der Fliegen
Schmetterlinge sind die Mannequins unter den Insekten. So schön bunt flattern sie elegant durch die Lüfte, jeder sieht sie gern an. Sie stechen nicht wie Mücken oder Wespen, und sie nerven nicht wie Fliegen. Die wollen wir am liebsten gar nicht sehen. Sollten wir aber. Denn gäbe es sie nicht, bliebe all der Kot in Wald und Wiesen liegen. Die Fliegen werden allerdings auch weniger. So sterben ihre Larven etwa am Gift im Kot unserer Haushunde, das sich dort durch die gängigen Entwurmungskuren befindet. „Uns steht der Dreck irgendwann bis zum Hals“, glaubt Jelinek.
Nach der aktuellen Auswertung der Schmetterlingszählung betont der Schmetterlingsexperte: „Der sowieso schon lange zu beobachtende Artenschwund wie auch der Rückgang der Individuenzahlen innerhalb einer Art aufgrund von Nutzungsintensivierung, Strukturverlust und Pestizideinsatz wird nun noch durch die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt.“ Für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen beim Nabu sind die Schmetterlinge dabei ein bunter, gut sichtbarer – aber doch kleiner Teil eines sehr viel größeren Problems.
Schutzgebiete ohne Gift gefordert
„Der dramatische Schwund der Insekten, Pflanzen und der Biodiversität insgesamt darf so nicht weitergehen“, fordert Heide Naderer, die Vorsitzende des Nabu NRW, angesichts der beunruhigenden Zählergebnisse: „Schutzgebiete und sensible Bereiche müssen endlich konsequent von der Pestizidnutzung ausgeschlossen werden, und auch in der Agrarlandschaft muss der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden reduziert werden.“
Neu sind diese Forderungen nicht. Das Problem ist erkannt und wissenschaftlich belegt. Nach dem Willen der EU soll auch etwas passieren. Aber es geht schleppend voran. Gerade wurde zwar als Teil des Green Deal der EU-Kommission das „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration Law) auf den Weg gebracht. Aber in abgeschwächter Form und nur mit einer sehr knappen Mehrheit. Bis konkrete Handlungsanweisungen für die einzelnen Staaten auf dem Tisch liegen, kann es noch dauern. Bis diese umgesetzt werden, flattern möglicherweise nur noch weniger Schmetterlinge durch unsere Gärten.
Der Trend ist alarmierend
Eva Lisges ist Referentin für Landwirtschaft und Naturschutz beim Nabu NRW. Die Ergebnisse der Schmetterlingszählung hätten ihr „einen Schreck“ versetzt, sagt sie. „Aber das kann zum Teil auch eine natürliche Schwankung sein, ein Wetterphänomen.“ Was ihr jedoch „wirklich Angst“ mache, sei der langfristige Trend: „Es geht nicht nur die Zahl der Arten zurück, sondern auch die Zahl der Individuen, die Biomasse in unserem Ökosystem wird weniger.“ Und anders als die Klimakrise sei die Biodiversitätskrise noch nicht wirklich präsent bei den Menschen, sagt Lisges: „Unsere gesamte Lebensgrundlage ist bedroht, aber die Dringlichkeit wird noch nicht genügend wahrgenommen.“
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Nach Angaben des Europäischen Rates befinden sich 80 Prozent der europäischen Lebensräume in einem schlechten Zustand. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ soll eine Renaturierung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Ökosystemen in Meeren, aber auch von Natur im städtischen Raum vorangetrieben werden. Teil des Green Deal ist auch die „Verordnung zur Nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (Sustainable Use Regulation), wonach der Einsatz von Pestiziden halbiert werden soll.
Wie die Maßnahmen genau aussehen, wird jetzt auf EU-Ebene festgelegt. Treten die Verordnungen in Kraft, bekommen die Mitgliedstaaten noch mal Zeit, um die Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Lisges kritisiert: „Aber wir müssten hier in NRW nicht warten, bis die EU fertig ist, wir könnten auch einfach mal voran gehen.“
Bauern: Ernährungssicherheit gefährdet
Vor allem von den großen Bauernverbänden kommt Widerstand. Sie sehen nicht nur ihre Erträge gefährdet, sondern auch die Ernährungssicherheit im Land. Dagegen argumentiert Nabu-Expertin Lisges: „Würden wir unseren Fleischkonsum auf die Hälfte reduzieren, hätten wir genug Fläche in Deutschland, um naturschutzgerecht wirtschaften zu können.“ 800 Gramm Fleisch isst aktuell im Durchschnitt jeder Deutsche pro Woche. 400 Gramm wären nach Angaben der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) völlig ausreichend. Und deutlich gesünder. Für uns. Für die Schmetterlinge. Für unser gesamtes Ökosystem.
Wilde Ecken im Garten helfen Faltern
Wer den Schmetterlingen insgesamt helfen will, sollte in seinem Garten darauf achten, möglichst viele Futterpflanzen stehen zu lassen. „Wilde Ecken“ seien wichtig, erklärt Alina Pickart, die beim Nabu NRW das Projekt „Mehr Platz für Falter“ leitet. Disteln mögen Schmetterlinge oder Brennnesseln, also nicht unbedingt die Lieblingspflanzen von Menschen mit schicken, akkurat zurechtgestutzten Gärten. Die Brennnessel mag nicht so schön anzusehen sein, aber sie ist Futterpflanze für die Raupen von mehr als 20 Falter-Arten.
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Zudem sollte man auf Pestizide verzichten, betont Pickart, „denn die töten nicht nur unerwünschte Insekten, sondern eben gleich alle“. Wichtig sei auch, über den Winter nicht alle verblühten Stängel und Pflanzenreste wegzuschneiden, da die Raupen verschiedener Falter-Arten darin gern überwintern. Kurzum: Etwas mehr Natur täte den Insekten gut. Eigentlich widerspricht das auch nicht den Bedürfnissen des Menschen, der im Grünen am besten entspannen kann.
Infos unter: www.platzfuerfalter.de
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