Bochum. Kinderernährung spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Wie Eltern die goldene Mitte zwischen gesund und beliebt finden, erklärt eine Expertin.
- Laut einer KKH-Studie gab es in den letzten zehn Jahren einen deutlichen Anstieg von extremem Übergewicht bei Kindern.
- Wie man Kinder ausgewogen ernährt und wie gesund eine vegane oder vegetarische Ernährung bei Kindern ist.
- Wir haben mir Ernährungsexpertin Dr. Mathilde Kersting über das optimale Essverhalten gesprochen.
Wer sich gesund ernährt, fühlt sich wohl, beugt Krankheiten vor und bleibt fit. Für viele Menschen ist Essen aber auch Genuss. Genuss funktioniert allerdings nur mit Ruhe und Aufmerksamkeit, aber dafür bleibt oft nicht viel Zeit. Besonders bei Kindern ist die Ernährung essenziell für Wachstum, Wohlbefinden und Gesundheit.
Laut einem Bericht der Krankenkasse KKH von November 2022 müssen immer mehr Kinder gegen Kilos kämpfen. 2021 seien bei den Sechs- bis 18-Jährigen rund 34 Prozent mehr von extremem Übergewicht, Adipositas, betroffen gewesen als noch 2011. Bei der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen läge das Plus sogar bei fast 43 Prozent.
Das Konzept der Optimierten Mischkost
Was können Eltern tun, um Übergewicht vorzubeugen und wenn Kinder bereits übergewichtig sind, sollten Eltern dann eine Diät vorschreiben? Ist vegetarisch und vegan in Ordnung? Darf es auch mal Pommes und Burger geben? Und was sollen Eltern tun, wenn Kinder Lebensmittel, die wichtige Näherstofflieferanten sind, ablehnen? Darüber und über viele weitere Fragen haben wir mit Professor Dr. Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments für Kinderernährung (FKE) der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum gesprochen.
Für die Gesamternährung hat das Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) das Konzept der Optimierten Mischkost entwickelt. Dieses lässt sich in drei einfachen Regeln zusammenfassen: Kinder sollten reichlich trinken und pflanzliche Lebensmittel essen, mäßig tierische sowie sparsam fett- und zuckerreiche Lebensmittel. Obst und Gemüse gehören täglich auf den Teller. Der Fruchtzucker in Obst ist nicht so negativ zu bewerten, jedoch ist Gemüse wertvoller aufgrund der Nährstoffvielfalt und der gesundheitsfördernden Substanzen.
Variationsreiche Ernährung ist gesund
„Je variationsreicher eine Ernährung, desto gesünder - die Chance, dass Kinder dann alles bekommen, was sie brauchen, ist so viel größer“, sagt Professor Dr. Mathilde Kersting. Empfohlen werden die Lebensmittel aufgeteilt in fünf Mahlzeiten pro Tag – hier könnten Eltern, beispielsweise bei der Zwischenmahlzeit am Nachmittag, etwas Süßes unterbringen, aber natürlich auch Rohkost oder Obst.
Sollte man Kindern zusätzliche Vitamine geben und wie äußert sich ein Vitaminmangel? Wenn Kinder einigermaßen gemischt essen, bräuchten sie keine Nahrungsergänzungsmittel. Auf einen gemischten Speiseplan gehören nicht nur Gemüse und Obst, sondern auch Getreide, Brot, Haferflocken.
Auch Milch gehört zu einer solchen Kost sowie kleine Mengen Fleisch und Eier. Wenn der Anteil an Gemüse und Obst gering ist, sei das kein Grund, schon zu Nahrungsergänzungsmitteln zu greifen. Ein Vitaminmangel äußere sich in den ersten Anzeichen zum Beispiel durch Blässe, Müdigkeit, Lustlosigkeit und Konzentrationsschwäche.
Darf ich mein Kind vegetarisch oder vegan ernähren?
Vegetarisch sei dann in Ordnung, wenn Eltern wüssten, wie sie Fleisch und Fisch ersetzen können, denn diese beiden Lebensmittelgruppen würden wegfallen. Fleisch sei ein wichtiger Lieferant für Eisen und dieses wäre gerade bei Kleinkindern und Säuglingen besonders wichtig. Dann müsse das Eisen als Ausgleich aus anderen Lebensmitteln aufgenommen werden. Vollkorngetreide enthalte viel Eisen, der Körper könne allerdings das Eisen nicht gut aufnehmen. Aus Fleisch funktioniere das sehr viel besser.
Wenn Eltern aber Vollkorngetreide kombiniert mit einem Vitamin C-reichen Lebensmittel anbieten würden, könne die Aufnahme verbessert werden, also zum Beispiel ein Vollkornbrot mit Apfel, Tomate oder Gurke oder ein Müsli mit eisenreichen Haferflocken, dazu Orangen- oder Apfelsaft. Da bei vegetarischer Ernährung Fisch als Quelle für den wichtigen Nährstoff Jod wegfalle, sollte als Salz nur jodiertes Speisesalz verwendet werden.
Vegane Ernährung nur unter Aufsicht
Und vegan? Hier falle auch die Milch weg – dann wäre die Jod-Versorgung noch viel kritischer zu betrachten, da gerade Milch ein wichtiger Jodlieferant sei. Jod sei wichtig für die Schilddrüsenhormone, die viele Funktionen im Körper steuern. Vegane Ernährung bei Kindern sei also mit großer Vorsicht zu betrachten. Es sollte immer eine Beratung der einzelnen Familien durch eine Ernährungsfachkraft und eine Beobachtung durch den Kinderarzt stattfinden. „Eine vegane Ernährung zu propagieren ist uns als Kinderärzten und Ernährungswissenschaftlern viel zu riskant.“
Kinderärzte raten von veganer Ernährung ab
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) warnt vor einer veganen Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Der kindliche Organismus reagiere höchst empfindlich auf Nährstoffmangel. Für ein gutes Körperwachstum und eine gesunde Entwicklung aller Organe, besonders des Gehirns, brauche es viele Stoffe in ausreichender Menge, betonte der Sprecher des BVKJ Nordrhein, Axel Gerschlauer.
Schon kleinere Schwankungen und Unterversorgungen könnten die im Wachstum befindlichen und daher besonders empfindlichen Organe eines Säuglings schädigen, schilderte Gerschlauer. Vor allem die neurologische Entwicklung und geistige Gesundheit könne „massiv und auch dauerhaft“ gefährdet werden.
Wenn sich ältere Kinder und Jugendliche bewusst wegen Tierwohls oder Umweltaspekten vegan ernährten, sei das anerkennenswert. Sie benötigen laut BVKJ Nordrhein dann allerdings eine qualifizierte Beratung und regelmäßige Blutabnahmen, um eine Zufuhr aller wichtigen Nährstoffe sicherzustellen und zu kontrollieren. Ernähre sich eine stillende Mutter vegan, solle sie Vitamin B12-Präparate nehmen und ihre Blutwerte überwachen.
Und wenn das Kind kein Obst und Gemüse mag?
Was kann ich tun, wenn mein Kind Obst und Gemüse ablehnt? „Erst mal ganz ruhig bleiben. Es nicht zum Thema machen. Die Kinder nicht spüren lassen, dass es Ihnen als Eltern wichtig ist. Das könnte in die andere Richtung ausschlagen. Zur Kenntnis nehmen, nicht groß drüber reden und als Erwachsene das essen, was Sie immer schon gegessen haben“, so der Rat der Expertin Kersting.
Das Kind würde merken, dass diese Lebensmittel regelmäßig dazu gehören und irgendwann von selbst neugierig werden und probieren. „Zeit lassen, geduldig sein. Anregen ja, drängen nein.“ Ersatz sollte nicht geboten werden. Stattdessen könne man ein Gemüse, dass das Kind bevorzugt, einfach unkommentiert öfter anbieten. „Kinder müssen nicht alle Gemüsesorten mögen“, sagt Kersting.
Ist Milch für Kinder tatsächlich ungesund?
Über Milch- und Milchprodukte, besonders für Kinder und Kleinkinder, wird im Netz reichlich diskutiert. Viele Eltern sind verunsichert. Die Verbraucherzentrale empfiehlt Milch und Milchprodukte als wichtige Kalziumlieferanten für das Wachstum von Knochen und Zähnen.
Auch Professor Dr. Mathilde Kersting sieht keinen Grund, die Milch zu kritisieren: „Sie ist einer der hauptsächlichen Kalziumlieferanten und reich an Jod. Aus Umweltgründen hat die Milch einen Nachteil gegenüber pflanzlichen Lebensmitteln, wie zum Beispiel Mandeldrinks. Aber diese enthält weder das Eiweiß für das kindliche Wachstum noch Vitamin B2, B12 oder Jod.“
Darf mein Kind eine Diät machen?
Zunächst müsse abgeklärt werden, wie übergewichtig das Kind ist. Der Kinderarzt sollte den Gewichtsstatus des Kindes bestimmen. Dieser kann dann auch beraten, ob und was getan werden sollte. Eine Diät sei bei Kindern meist unwirksam, weil sie nur kurzfristig eingehalten würden und man schnell wieder in alte Gewohnheiten verfalle.
„Am einfachsten ist das Einhalten der Mischkost mit viel Obst und Gemüse, pflanzlichen Lebensmitteln. Wasser trinken – keine gesüßten Getränke! Das sind die wesentlichen Maßnahmen, um Kinder vor Übergewicht zu schützen, aber auch, um ein Übergewicht nicht mehr werden zu lassen“, rät die Ernährungsexpertin.
Es sei wichtig, das Essverhalten in den Fokus zu nehmen: Gemeinsam zum Essen hinsetzen, nicht dauernd im Stehen und zwischendurch, langsam und genussvoll essen, das Besteck vielleicht auch mal zur Seite legen. Wenn Eltern dann nur kleine Portionen anbieten, braucht das Kind meist auch nicht mehr. Und vor allem: Selbst vorleben! „Beachten Eltern einen gesunden Lebensstil, kann es sein, dass das Kind nicht weiter zunimmt und aus dem Übergewicht herauswächst“.
Wichtig sei, dass Eltern die Ernährung entspannt sehen. „Essen sollte ein Genuss sein. Manche Dinge einfach tolerieren, solange dabei die Richtung ‚Optimierte Mischkost‘ im Blick bleibt“, so der Rat an die Eltern. (mit dpa)
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