Völlig überfüllte Raststätten werden für Lastwagenfahrer und Pkw-Reisende zur Gefahr und zum Ärgernis – besonders zum Ferienstart.

Je später der Nachmittag, desto voller der Parkplatz. Kurz nach halb fünf ist es erst, da hat Jürgen Binder (Name geändert) schon den Blinker seines 40-Tonnen-Lastkraftwagens gesetzt und ist runter von der A1 und rauf auf den Parkplatz der Raststätte Münsterland Ost. Dort ist kaum noch Platz. „Es wird immer schlimmer“, sagt der 54-Jährige. Und die Gefahr – auch für Pkw-Fahrer – wird immer größer. Vor allem, wenn wie am nächsten Wochenende in NRW, Hunderttausende mit dem Auto in den Urlaub starten. Denn regelmäßig parken Trucker verkehrswidrig. „Es ist ein Wunder, dass noch nicht mehr passiert ist“, sagt ein Beamter der Autobahnpolizei.

Nachtruhe auf dem Seitenstreifen

Denn wie manche Lkw-Fahrer parken, wenn es Abend wird, nennt die Polizei „sehr kreativ“, wenn sie freundlich gestimmt ist. Sie stehen zum Beispiel auf den Seitenstreifen, in den Aus- und Auffahrten der Parkplätze, Anschlussstellen oder auch Baustellenbereichen. „Das führt immer wieder zu gefährlichen Situationen und polizeilichen Einsätzen“, wissen alle Autobahnpolizisten des Landes. Europaweit kommt es dadurch nach Daten der zuständigen EU-Kommission rund 40 Mal im Jahr zu tödlichen Unfällen. In manchen Nächten, berichten die Pressestellen übereinstimmend, würden die Kollegen kaum noch damit nachkommen, falsch parkende Lkw-Fahrer zu verscheuchen. „Die einen haben sie gerade weggeschickt, schon stehen die nächsten da.“

In den kommenden Wochen dürfte die Polizei noch mehr Arbeit bekommen. Denn wie schon in den vergangenen Jahren gilt auch 2023 zwischen dem 1. Juli und dem 31. August ein Samstagsfahrverbot für Lkw in der Zeit von 7.00 bis 20.00 Uhr. Für die meisten deutschen Speditionen ist das kein Problem. „Samstags ist nicht so viel los“, sagt Marcus Hover, stellvertretender Haupt-Geschäftsführer und Sprecher vom Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL). Viele Firmen hätten geschlossen, Abholungen und Anlieferungen seien nicht vorgesehen. Die meisten deutschen Speditionen lassen ihre Wagen deshalb auch auf ihren Höfen. Für ausländische Fahrer dagegen bedeutet das Verbot einen zusätzlichen Tag auf dem Rastplatz.

Beratungsresistentes Klientel

Ein Klientel, das nach Erfahrungen der Polizei, „sehr beratungsresistent“ ist. „Vor allem, wenn sie aus Osteuropa kommen. Das liegt nicht nur daran, dass viele von ihnen nicht mal ein paar Brocken deutsch oder englisch sprechen. Dafür gibt es längst Info-Flyer in vielen Sprachen. „Es interessiert sie einfach nicht“, sagt ein Beamter und sieht nur eine Chance. „Die muss man am Geldbeutel packen.“ Das verbotene Halten und Parken auf der Autobahn kann mit einem Bußgeld in Höhe von 30 bis 105 Euro bestraft werden, wer auf dem Rastplatz falsch steht, zahlt immerhin noch 35 Euro. Im Vergleich zu Nachbarländern ist das noch zurückhaltend. Die ADAC-Partnerclubs in Österreich, Dänemark und der Schweiz berichten in diesen Fällen von strenger Videoüberwachung und Geldbußen in vierstelliger Höhe.

Wahl zwischen Pest oder Cholera

Doch Strafen allein können nach übereinstimmender Einschätzung von Polizei und Branchenkennern nicht die Lösung sein. Schließlich stehen die Trucker nicht freiwillig auf dem Standstreifen. Wenn die Fahrer und Fahrerinnen kurz davor sind, ihre maximal erlaubte Fahrzeit zu erreichen, müssen sie ja einen Parkplatz suchen. „Eigentlich hätte ich ja noch eine Stunde fahren dürfen“, sagt Binder, als er aus dem Führerhaus klettert. „Aber dann ist wieder alles voll auf den Rasthöfen, und ich muss am Ende der Welt parken, weil ich sonst meine Fahrzeit überschreite. Mittlerweile hast du nur noch die Wahl zwischen Pest oder Cholera.“

Nach Erkenntnissen des Bundesverkehrsministeriums fehlten schon 2018 – aktuelle Zahlen werden gerade erhoben – bereits 23.000 Parkmöglichkeiten. Andere Experten beziffern die Zahl sogar mit 40.000 fehlenden Plätzen. Laut Bundesanstalt für das Straßenwesen (BASt) fehlen die meisten Abstellmöglichkeiten in Bayern und Nordrhein-Westfalen – allein in NRW sollen es rund 4000 sein.

Der ADAC hat die Lage vor Kurzem genauer analysiert und die falsch abgestellten Lkw an insgesamt 96 Raststätten und unbewirtschafteten Rastanlagen entlang der wichtigsten Schwerlastverkehrsrouten gezählt. An fast jeder zweiten Rastanlage (46 von 96) parkten Lkw höchst riskant in Ein- und Ausfahrten oder auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Auf 92 von 96 Anlagen befanden sich die Laster außerhalb markierter Flächen, also etwa in den Fahrgassen zwischen den Lkw-Stellplätzen. Und auf 86 Rastanlagen standen Lkw im absoluten Halteverbot oder auf nicht für sie freigegebenen Parkflächen, beispielsweise Pkw-Parkplätzen.

„Der Parkraum ist zu begrenzt, als dass Lkw-Fahrende nur die Lkw-Parkplätze nutzen könnten“, weiß auch Gunnar Wortmann, Sprecher der Dortmunder Polizei. Falsches Parken werde „mit pflichtgemäßem Ermessen auch von der Autobahnpolizei geahndet“. Die Pflicht zur Ruhepause sei aber wichtiger als die Vorgabe, nur bestimmte Parkflächen zu nutzen. „Der Parkraum für Pkw ist daher reduziert.“ Vor allem an den Ferien-Wochenenden.

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Hase-und-Igel-Spiel

„Das Problem ist nicht kleiner geworden“, weiß Jan Schabacker, Sprecher der Autobahnpolizei Münster. Marcus Hover spricht gerne von einem „Hase-und-Igel-Spiel“ und hat wenig Hoffnung, dass dieses Spiel bald ein Ende findet. Unter anderem, „weil ja immer mehr online bestellt wird“.

Und auch wenn der Bund derzeit jährlich rund 100 Millionen Euro für neue Parkplätze zur Verfügung stellt, werden bis Ende dieses Jahres bundesweit wohl nur zusätzliche 8500 Abstellmöglichkeiten entlang der Autobahnen entstanden sein. Zu groß sei bei den meisten Bauvorhaben der Widerstand aus der Bevölkerung, sagt Hover – und sehr lang die Dauer der Genehmigungsverfahren.

Für Lkw gibt es zu wenige Parkplätze.
Für Lkw gibt es zu wenige Parkplätze. © WP | Carmen Thomaschewski

Auch an der Raststätte Münsterland mussten die Ausbaupläne vor einiger Zeit, nicht zuletzt durch den Druck einer Bürgerinitiative, mehrfach verschoben werden. Auf 86 eigentlich geplante Lkw-Parkbuchten warten die Trucker noch immer. In gewisser Weise kann Hover das sogar verstehen. „Ich möchte auch keinen Laster nahe meinem Haus stehen haben, in dem die ganze Nacht die Kühlanlage bollert.“

Eine bessere Sortierung

Deshalb wird versucht, vorhandenen Parkraum besser zu nutzen. „Intelligent Truck Parking“ (ITP) nennt sich beispielsweise die Idee, die es möglich machen soll, ohne einen Ausbau der Parkplätze, allein durch eine bessere Sortierung der Fahrzeuge nach Abfahrtszeiten mehr Stellplätze für Lkw anbieten zu können. Außerdem sollen Sensoren melden, wie voll ein Parkplatz an der Autobahn gerade ist, und die Daten an Disponenten und Trucker weitergeben. „Grundsätzlich funktioniert das“, heißt es beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. Am Ende allerdings bleibt es immer auch ein wenig Prognose. Schon ein Unfall 50 Kilometer entfernt mit anschließendem Stau kann alles ändern.

Airbnb für Lkw

Die Truck Parking App, die Deutschlands größter Lkw-Versicherer Kravag entwickelt hat, setzt auf Parkraum neben der Autobahn. „Airbnb für Lkw“, wird das Konzept in der Branche genannt. Zumindest ist sie ähnlich. Damit können Speditionen und Firmen auf ihrem die Woche über leeren Betriebsgelände freie Parkflächen – inklusive benötigter Infrastruktur – anbieten. Fahrer und Disponenten können diese Flächen dann bequem per App buchen. 260 Speditionen mit 63 Standorten nehmen teil – „Tendenz steigend“, sagt Co-Projektleiter Thorsten Gutmann.

„Wir begrüßen solche Projekte“, sagt VVWL-Sprecher Marcus Hover, bleibt aber skeptisch. „Das alleine wird nicht reichen.“

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