Essen. Cengiz und Mahmoud sind sehbehindert und blind. Im Dunkelrestaurant „Finster“ zeigen sie Gästen ihre Welt und geben Einblicke in ihren Alltag.
„Als Taxifahrer wäre es für mich eher schwierig geworden, als Pilot auch“, scherzt Cengiz Akkaya, während er ein Glas Wein einschenkt. „Umso besser, dass ich hier als Kellner arbeiten und den Gästen gleichzeitig meine Welt zeigen kann“.
Seit der Eröffnung des Dunkelrestaurants „Finster“ im Jahr 2007 ist Cengiz Teil des 20-köpfigen Teams und bedient gemeinsam mit fünf anderen blinden und sehbehinderten Kellnern bis zu 100 Gäste an einem Abend. Der 47-Jährige ist seit seiner Geburt stark kurzsichtig und erkennt nur grobe Umrisse. Dass er mit der Zeit immer schlechter sehen wird, nimmt Cengiz mittlerweile gelassen: „Irgendwann werde ich so wie meine Freunde hier gar nichts mehr sehen können, aber so ist das halt“.
Die Angst vor dem Erblinden habe er auch durch den engen Kontakt zu denvollblinden Kellnern des Restaurants verloren. „Hier sind alle so lebensfroh, auch wenn wir natürlich im alltäglichen Leben Schwierigkeiten haben.“
Kellner im Dunkelrestaurant: Lebensfroh, trotz alltäglichen Einschränkungen
Einer von Cengiz Kollegen ist Mahmoud Dergham. Anders als bei Cengiz kam die völlige Dunkelheit für den 50-Jährigen sehr überraschend. Mit zehn Jahren verlor er beide Augen im Libanonkrieg, konnte von einem auf den anderen Tag nichts mehr sehen. Die Anfangszeit sei für ihn sehr schwierig gewesen, er habe viele Jahre gebraucht, um sein Schicksal zu akzeptieren und sich an das neue Leben zu gewöhnen.
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Mahmoud erinnert sich: „Was mir damals wirklich geholfen hat, war die Rückkehr zum Schulalltag. Natürlich funktioniert blind alles anders. Aber es hat sich wie ein Stückchen Normalität angefühlt.“ Mit 18 Jahren flüchtete er schließlich vor dem Krieg nach Deutschland, blieb allerdings jahrelang arbeitslos – bis er 2009 über einen Blindenverband auf das „Finster“ in Essen aufmerksam wurde.
Nach einem Vorstellungsgespräch wurden Mahmoud alle Räume des Restaurants gezeigt, er ging alles immer und immer wieder auf und ab, um sich die Wege zu merken. „Jeder Kellner hat einen eigenen Bereich, für den er im Restaurant zuständig ist. So kommen wir uns nicht in die Quere“, erklärt er. Vor seiner ersten Schicht übte er zudem das Servieren der Gerichte und Getränke – erstmal ohne Gäste.
Heute bewegt sich Mahmoud so routiniert umher, als könnte er sehen. 40 Stunden die Woche arbeitet er als Kellner, „wie bei einem ganz normalen Job eben auch“.
Blinder Kellner Cengiz: „Plötzlich sind wir die Chefs“
Besonders freuen sich Mahmoud und Cengiz darüber, während ihrer Arbeit plötzlich „die Chefs“ zu sein. Beim Dinner in the Dark seien die Gäste oft überfordert von der ungewohnten Dunkelheit und dadurch auf die Hilfe der blinden Kellner angewiesen – „das sind vertauschte Rollen, draußen müssen wir immer um Hilfe bitten“, meint Cengiz. Besonders wichtig ist ihnen die persönliche Kommunikation mit den Gästen im Dunklen. Oft sprechen sie diese beim Vornamen an, um ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Dadurch sei die Hürde niedriger, um Hilfe zu bitten.
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Für Mahmoud ist es heute ganz normal, blind zu sein. „Das Sehen vermisse ich nicht mehr. Ich bleibe blind für immer und ewig, aber das ist heute auch völlig okay für mich.“
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