Ian Anderson ist als Frontmann der Band Jethro Tull eine Musiker-Legende.
Wohl jeder Rockfan kennt den auf einem Bein stehenden Flötenspieler von Jethro Tull. Ian Anderson führt die Band seit 1967 an und ist ihr einziges konstantes Mitglied. Im Interview verrät der 75-Jährige, wie viel Disziplin hinter seinem Lebenswerk steckt.
Mr. Anderson, Ende 2021 erklärten Sie: „Am 1. Januar 2022 werde ich um 9 Uhr morgens in meinem Büro sitzen und am neuen Album arbeiten.“ Geschah das tatsächlich so?
Ich wünschte, die Geschichte wäre zu 100 Prozent wahr. Ist sie leider nicht. Ich habe mich um eine Stunde verspätet. Aber dann habe ich tatsächlich losgelegt. Anfangs noch mit einem ziemlich leeren Kopf, aber dann kamen mir dann schnell ein paar Ideen. Ich habe etwa drei Stunden an ihnen gearbeitet, etwas gegessen und dann weiter gemacht. Nach drei Tagen hatte ich den Großteil des thematischen Konzepts von „RökFlöte“ fertig und bereits ein paar Textzeilen und Flötentöne geschrieben. Danach ging es eigentlich ziemlich schnell.
Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Musiker üblicherweise aus? Sind Sie eher der 9-bis-17-Uhr-Typ oder komponieren Sie quasi ständig?
Ich arbeite eigentlich immer von 6 bis 8 Uhr, von 9 bis 12 Uhr und dann von 15 bis 19 Uhr. Ich mag die Routine eines kreativen Stundenplans.
Außergewöhnlich strukturiert für einen Künstler…
Ich habe festgestellt, dass mir diese Struktur dabei hilft, in die richtige Stimmung zu kommen, um an neuer Musik zu arbeiten. Andere brauchen Fantasie-beflügelnde Substanzen, ich brauche einen Termin, den ich mir setze.
Haben Sie sich für das nächste Album auch schon einen Termin gesetzt?
Ich habe mit der Arbeit dafür am 1. Januar dieses Jahres begonnen. Um 9 Uhr! Und ich plane die Veröffentlichung für Oktober 2024.
Wow! Kennen Sie das Gefühl der Prokrastination überhaupt? Haben Sie jemals Freizeit?
Ja, schon. Gerade erst habe ich die Beantwortung einiger Interviewfragen mehr als eine Stunde lang aufgeschoben. Und Freizeit gönne ich mir auch. Ich besuche Kirchen, Kunstgalerien oder Museen. Aber ich spiele weder Golf noch gehe ich fischen, ich liege nicht an Stränden rum oder mache irgendeinen Blödsinn. Ich bin lieber aktiv, solange ich mich dabei nicht zu sehr körperlich anstrengen muss.
Sie erzählten außerdem einmal, dass Sie lieber allein sind und deshalb meist in die Restaurants gehen, die die schlechtesten Bewertungen aufweisen. Welche Erfahrungen haben Sie in diesen Läden gemacht?
Ehrlich gesagt ist das Essen meist gut, und die Mitarbeiter sind freundlich, weil ich es auch bin. Ich lächele sie an, schaue ihnen in die Augen und weiß meist auch, was ich essen möchte. In all den Jahren habe ich nur eine schlechte Erfahrung gemacht. Ich sollte allerdings nicht zu sehr ins Detail gehen. Nur soviel: Mein Hotelzimmer musste danach sehr gründlich gesäubert werden.
Sie haben das Flötespielen autodidaktisch erlernt, ebenso andere Musikinstrumente und schreiben auch alle Texte selbst. Schaffen Sie es, eine Art Hyperfokus auf Dinge zu legen, wenn sie Sie interessieren?
Das ist tatsächlich so – und kann zu einem echten Problem werden. Denn das Leben ist einfach zu kurz, um all meinen Interesse derart nachzugehen und sie zu verfolgen.
Auf dem Album „RökFlöte“ beschäftigen Sie sich unter anderem mit dem Heidentum. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
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Ich wusste nicht allzu viel über nordische Mythologie und Heidentum, als ich mit der Arbeit an dem Album begann, doch das Thema interessiert mich schon seit meiner Teenagerzeit. Früher habe ich nur hin und wieder darüber gelesen, für „RökFlöte“ musste ich deshalb noch ziemlich viel zum Hintergrund recherchieren.
Während der Recherche haben Sie auch etwas mehr zu ihrer eigenen Familie herausgefunden…
Vermutlich kamen die Vorfahren meines Vaters aus Dänemark, Schweden oder Norwegen und ließen sich dann in Schottland nieder. Meine Vorfahren mütterlicherseits sind ziemlich sicher keltischer Abstammung und kommen aus Frankreich oder Britannien.
Wenn Sie nach Themen für ein Album suchen, überlegen Sie dann vorher, wie es bei den Fans ankommen könnte?
Ich habe ein paar Mal versucht, Musik zu schreiben, um bekannt zu werden, was meistens schief ging. Ein oder zwei Mal hat es vielleicht aus Versehen funktioniert, doch wenn ich schreibe, um anderen zu gefallen, funktioniert das üblicherweise nicht. Es ist eh schwer vorherzusagen, ob andere Menschen mögen werden, was ich mache. Deshalb gehe ich nach meinem eigenen Bauchgefühl und schreibe das, was ich gut finde, was mir Spaß macht. Allerdings hoffe ich, dass die Fans beim Hören der Songs eine Kontinuität feststellen, Verbindungen zu früheren Werken finden und sich hier und da denken: ‚Oh, ja. Das ist Jethro Tull.’
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