Essen. Der Regionalplan Ruhr sieht den größten Ballungsraum Deutschlands endlich als großes Ganzes. Jetzt, da das Wir-Gefühl verblasst.

„Ihr seid das Ruhrgebiet“, sang der Kölner Wolfgang Petry vor 30 Jahren. Sind wir das wirklich, vor allem: Wollen wir das sein? Die Schlagerhymne auf Deutschlands größten Ballungsraum wird noch heute in mancher Kneipe gespielt, die sich ihren Pottcharme bewahrt hat. Aber das so gern beschworene Wir-Gefühl der fünf Millionen Menschen im Ruhrgebiet war nie so groß, wie sich das selbst ernannte Vordenker einer „Ruhrstadt“ oder der Metropole Ruhr ausgemalt haben. Gefühlt wird es mit jedem Jahr, das sich zwischen die letzte Zechenschließung und das Jetzt schiebt, schwächer.

Unsere Texte zum Schwerpunkt über den Regionalplan Ruhr:

Wir sind Duisburger, Essener, Bochumer und Dortmunder, die im Ruhrgebiet leben. Aber die meisten definieren ihre Herkunft mit ihrer Stadt und nicht mit jener Klammer, welche die Industrialisierung um all die Zechen und Stahlwerke gelegt hat. Denn diese Klammer gibt es schon lange nicht mehr. Die auch von Wolfgang Petry 1993 für seinen Schlager gewählte Industriekulisse aus Fördertürmen, Gasometern, Kokereien und Stahlwerken war schon damals mehr tot als lebendig. Ob das der erste Regionalplan, den sich das Ruhrgebiet selbst gegeben hat, wieder ändert?

Ohne neues Gewerbe kann das Ruhrgebiet nicht aufschließen

Das von der und für die Industrie gebaute Ruhrgebiet ist seit Jahrzehnten keine Industrieregion mehr. Stattdessen liegt der Anteil der Industrie an der Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets heute unter dem Durchschnitt des Landes und weit unter dem der verbliebenen Industrieregionen wie Südwestfalen. Der Strukturwandel, den sich Generationen von Lokalpolitikern auf ihre Fahnen schrieben, folgte tatsächlich weniger einem Plan als der Logik des Marktes und der Verschiebung der Wirtschaftssektoren weg von der Produktion hin zu immer mehr Dienstleistungen. Dies in einem ungesunden Maße, wie die immer noch hohe Arbeitslosigkeit belegt.

Nein, auch der mit etlichen Jahren Verspätung vorgelegte Regionalplan Ruhr wird dieses Rad nicht zurückdrehen. Das soll er auch nicht. Der Himmel über der Ruhr wird nicht wieder grau, niemand will das. Woran es zwischen Duisburg und Dortmund, zwischen Bottrop und Witten aber mangelt, sind Flächen, auf denen sich bestehendes Gewerbe ausbreiten oder neu ansiedeln kann. Denn ohne produzierende Betriebe wird das Ruhrgebiet wirtschaftlich nie zu anderen Metropolregionen aufschließen können.

Die fehlenden Flächen sind das größte Problem des Ruhrgebiets

Und die Bedingungen sind hier eigentlich hervorragend: Viele Menschen, die arbeiten wollen, vergleichsweise niedrige Lebenshaltungskosten, eine immense Hochschuldichte – Unternehmen, die ins Ruhrgebiet kommen, nennen immer wieder diese Vorzüge. Sie sind das, was von der wirtschaftlichen Klammer um das Ruhrgebiet übrig geblieben ist. Was heute fehlt, sind geeignete Flächen. Auch, weil die meisten alten Industriebrachen nach wie vor so belastet sind, dass sich niemand die Sanierungskosten aufhalsen will. Wer so auf die vielen Brachen blickt, findet sie weniger charmant denn morbid. Denn sie stehen auch für ungenutzte Potenziale.

Deshalb ist es so wichtig, mit dem Regionalplan Ruhr jetzt endlich ein selbstbestimmtes Fundament dafür gelegt zu haben, was künftig wo in unseren Städten entstehen kann. Das „historisch“ zu nennen, ist nicht zu hoch gegriffen, schließlich haben das bisher drei verschiedene Regierungsbezirke für das Ruhrgebiet erledigt, was von Anfang an der Bedeutung dieses so dicht besiedelten Raumes nicht gerecht wurde.

Jetzt hat das Ruhrgebiet die Chance, seinen eigenen Plan umzusetzen

Denn auch wenn die politischen Kirchtürme jahrzehntelang eher gegen- als miteinander agiert haben, auch wenn das Wir-Gefühl der Menschen mehr ihrem Stadtteil als dem großen Revier gilt: Die Städte im Ruhrgebiet teilen sich nach wie vor vieles – von ihren Problemen hoher Arbeitslosigkeit über das Lohnniveau und die Bildungslandschaft bis hin zu den Wirtschaftsstrukturen. Diesen riesigen Raum mit seinen fünf Millionen Menschen als wirtschaftliches und planerisches Gesamtgebilde zu sehen, ist ganz einfach vernünftiger als die bisherige Dreiteilung. Das geht auch ohne vollendete Ruhrgebiets-Identität. Vielleicht sogar besser. Zu beklagen, dass er zu spät kommt, wäre vertane Zeit. Jetzt hat das Ruhrgebiet die Chance, seinen ersten eigenen Plan auch umzusetzen.