Berlin. Was in Arztpraxen verschrieben wird, ist oft nicht vorrätig. Eine Apothekerin erklärt, wie Patienten trotzdem an ihr Medikament kommen.
Die Klage ist alt, doch die Probleme sind akut: Noch bevor überhaupt die große Grippewelle im Herbst losgeht, fehlen wichtige Antibiotika, Asthmasprays oder Schmerzmittel. Für die Apotheken bedeutet das: Ersatzpräparate beschaffen, selbst Medikamente herstellen, im Ausland bestellen. Julia Dippner-Kocyba ist Fachapothekerin für Allgemeinmedizin und im Vorstand der Berliner Apothekerkammer. Sie arbeitet in einer Apotheke in Berlin-Zehlendorf. Im Interview beschreibt sie, wie der Arzneimittelmangel den Arbeitsalltag bestimmt – und wie Patienten reagieren.
Apothekerin: Wir kaufen im Ausland ein. Und dann sind die Beipackzettel nicht auf Deutsch
Der Arzneimittelmangel ist ja nicht neu. Hat sich die Lage verschärft?
Julia Dippner-Kocyba : Es wird behauptet, dass es besser wird, doch das stimmt nicht. Zwar sind die antibiotischen Säfte für Kinder, die vor zwei Jahren knapp waren, wieder verfügbar. Doch jetzt fehlen oft antibiotische Augensalben oder Blutdrucktabletten. Es sind andere Stoffe, die nicht lieferbar sind.
Woran liegt der Mangel?
Dippner-Kocyba: In Deutschland sind die Preise etwa für Antibiotika und Blutdrucksenker sehr gering. Deswegen verkaufen Pharmafirmen ihre Präparate an Länder, die gutes Geld zahlen. Wir kaufen dann im Ausland ein, doch das erschwert die Beschaffung. Denn die Beipackzettel sind dann nicht auf Deutsch, und das muss dokumentiert werden. Wir suchen dann das deutsche Präparat am Computer, laden den Beipackzettel runter und drucken ihn für den Patienten aus. Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Produktionen werden teilweise eingestellt, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Sobald ein Marktteilnehmer verschwindet, gibt es eben auch einen Mangel.
Wie reagieren Patienten, wenn das verschriebene Präparat nicht vorrätig ist?
Dippner-Kocyba: Oft bekommen Sie es gar nicht mit, denn wir prüfen zunächst, welchen Hersteller wir abgeben müssen, weil die Krankenkassen ja Rabattverträge haben – und welche Alternativen es gibt. Wir finden Lösungen, auch wenn die Patienten dann ein paar Minuten warten müssen. Und wenn wir Präparate eines anderen Herstellers abgeben, den die Patienten nicht gewohnt sind, dann erklären wir, dass man die Präparate austauschen kann.
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Der Hersteller spielt wirklich keine Rolle?
Dippner-Kocyba: Für die Mehrheit der Patienten nicht. Nur sehr selten gibt es bei bestimmten Hilfsstoffen Unverträglichkeiten. Auch wenn die Tabletten anders aussehen: Der Blutdruck wird bei jedem Präparat gleich gut sinken.
Wie behelfen sie sich, wenn zum Beispiel ein Fiebersaft für Kinder nicht vorhanden ist?
Dippner-Kocyba: Wir stellen bestimmte Rezepturen selbst her, wenn wir den Rohstoff haben. Wenn zum Beispiel ein Präparat nur in Tabletten verfügbar ist, dann machen wir daraus einen kindertauglichen Saft.
Aus Arztpraxen oder von Rettungsstellen hört man immer wieder von zunehmender Aggressivität der Patienten. Machen Sie auch die Erfahrung?
Dippner-Kocyba: Nein, eher im Gegenteil, ich nehme die Patienten oft als sehr dankbar wahr, aber ich kann da nur für mich sprechen und die Apotheke, in der ich arbeite. Apotheken sind ja ein sehr niederschwelliges Angebot für Patienten. Sie müssen nur einfach reingehen und bekommen Beratung – ganz ohne Termin. Der persönliche Kontakt ist vielen Menschen sehr wichtig.