Mülheim. Verspäteter Start der Kartoffelernte in NRW: Ein Mülheimer Landwirt erklärt, warum sie sich verzögert hat und was die Auswirkungen sind.
Umgeben von Mais, wird auf einem Feld vom Dümptener Bauernhof in Mülheim der Traktor angeschmissen. Der Erntehelfer vor dem Sortierband schlägt sich in die Hände, als der Roder in Schrittgeschwindigkeit auf das Kartoffelfeld zufährt und die ersten Pflanzen aus dem Boden zieht. Auf diesen Moment hat der Landwirt Andreas Bolten (47) lange gewartet. Zum ersten Mal in diesem Jahr erntet er seine Frühkartoffeln – vier Wochen später als geplant.
Hoher Niederschlag, feuchte Böden und Ertragseinbußen
Nachdem in den letzten Jahren seit 2017 vor allem Dürre für Probleme bei der Ernte gesorgt hat, macht den Bauern in einigen Regionen in NRW in diesem Jahr der enorme Niederschlag zwischen Herbst und Frühling zu schaffen. Bereits bei der Aussaat sei es für die Frühkartoffeln, aber auch für das Winter- und Sommergetreide zu feucht gewesen. Das habe sich gezogen – bis zur Ernte, die sich dadurch stark verzögert habe, erzählt Andreas Bolten.
Durch die Regenereignisse seien die Acker zum Teil nicht befahrbar gewesen, Dünge- und Pflegemaßnahmen seien erschwert worden, sagt Jan-Malte Wichern, Pressesprecher der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Statt 22 Grad Celsius, die optimale Temperatur für das Wachstum der Kartoffel, wie Andreas Bolten verrät, gab es feuchtwarmes Wetter und extreme Temperatursprünge. Dadurch sei auch die Gefahr von Krautfäule, einem Pilz, enorm hoch, sagt Wichern. Die Nässe im Boden und die wenigen Sonnenstunden im Frühjahr haben dann endgültig dafür gesorgt, dass sich die Pflanzen nicht gut entwickeln konnten.
Die hohen Niederschläge haben Auswirkungen auf die Ertragsmenge
„Aus einem schwierigen Start optimale Leistung herauszubekommen, ist unmöglich“, sagt Landwirt Bolten. Die Konsequenz: Deutlich geringere Erträge und krankheitsanfällige Kartoffeln. Nach ersten Prognosen kalkuliere der Landwirt mit 25 bis 30 Prozent weniger Ertrag als üblich – sowohl bei den Kartoffeln als auch bei Gerste und Weizen. Das bestätigt auch die Landwirtschaftskammer NRW: Die Prognosen für Getreideerträge sowie andere Kulturen wie Mais, Zuckerrüben und Kartoffeln seien verhalten. „Die bereits geernteten Flächen bestätigen einen unterdurchschnittlichen Ertrag“, sagt der Pressesprecher. Auch der Rheinische und der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband sprechen von Ernteeinbußen.
„„Aus einem schwierigen Start optimale Leistung herauszubekommen, ist unmöglich.““
Konsumentinnen und Konsumenten könnten die Einbußen vor allem im Geldbeutel merken. Laut Landesstatistikamt IT.NRW sind die Verbraucherpreise von Kartoffeln im Juni im Vergleich zum Mai um 13 Prozent gestiegen. Bereits in den Vormonaten sind Kartoffeln immer wieder teurer geworden. Mit der Ernte könnten die Preise bald wieder fallen.
Die Bodenbeschaffenheit entscheidet mit, wie hoch die Erträge sind
Am Erntetag ist es bewölkt und windig. Bis zuletzt sei unklar gewesen, ob der Traktor auf das Feld kann. „Bei Regen ist Schluss. Die Ware würde ich nicht mehr trocken bekommen“, betont Bolten und erklärt weiter: „Irgendwann müssen wir ernten, weil wir sonst keine Kartoffeln mehr haben.“
Wie stark die Ackerbauern von den Niederschlägen betroffen sind, ist mitunter abhängig vom Boden. An anderen Standorten ernten die Landwirte bereits seit mehreren Wochen, sagen der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband und Bolten als Vorsitzender der Kreisbauernschaft der Ruhrgroßstädte. In diesen Regionen gebe es vor allem sandige Böden, die wasserdurchlässiger seien. Lehmige Böden hingegen speichern das Wasser eher, wodurch diese im Frühjahr noch feuchter gewesen seien. Das Grundstück von Bauer Bolten liege zudem auf einer Senkung, wodurch mehr Wasser zulaufe.
Während der Roder über das Feld fährt und die Pflanzen aus der Erde löst, sortiert ein Erntehelfer gemeinsam mit Andreas Bolten die Erdklumpen vom Laufband, auf dem die Kartoffeln in den Bunker laufen. Was sagt der Landwirt mit Blick auf die vorläufige Ausbeute? „Ich bin schockiert, wie wenig es ist.“ Und sagt weiter: „Das, was möglich ist, habe ich gemacht, äußere Umstände kann ich nicht beeinflussen.“
Mit Sorten und Anbautechniken an das Wetter anpassen
Wie reagiert er nun auf die Extremwetterereignisse? „Solange wir unsere Werkstatt unter freiem Himmel haben, müssen wir uns anpassen.“ Ein großer Teil dessen sei zu schauen, was er wo anbaut. Um den Wetteränderungen zu begegnen, habe er statt Triticale, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen, bereits Mais angebaut, da diese später gesät werden. Zusätzlich setze er auf französischen Winterweizen, der sei resilienter. Auch bei Kartoffeln pflanze er Sorten, die mit den derzeitigen Klimabedingungen besser zurechtkommen.
„„Grundsätzlich gilt, dass beide Extreme, also sowohl Dürre als auch Starkregen bzw. anhaltende Niederschläge, verhindern, dass die Pflanzen ihr volles Ertragspotenzial erreichen können.““
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Ernte? „Grundsätzlich gilt, dass beide Extreme, also sowohl Dürre als auch Starkregen bzw. anhaltende Niederschläge, verhindern, dass die Pflanzen ihr volles Ertragspotenzial erreichen können“, so Jan-Malte Wichern. „In vergangenen Jahren haben wir sowohl überdurchschnittlich niederschlagsarme als auch -reiche Jahre erlebt. Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Hagel treten oftmals regional auf.“ Zwischen den Jahren schwanken die Erträge enorm.
„Die landwirtschaftlichen Betriebe setzen auf unterschiedliche Strategien, um die Folgen der Extremwetterereignisse abzufedern und die Böden und Kulturen bestmöglich darauf vorzubereiten“, sagt Wichern. Dazu zählen wasserschonende Beregnungsanlagen, Drainagen, Erosionsschutzstreifen, angepasste Sorten und Anbausysteme wie Zwischenfrüchte und seltenes Pflügen, um das Risiko von Erosionen zu senken. Doch selbst die beste Strategie stoße bei Extremwettereignissen an ihre Grenzen.
Getreideernte in NRW
Die Ernte von Getreide ist bereits im Gange. Je nach Region wurde mit der Gerstenernte bereits vorletzte, teils aber auch erst diese Woche angefangen. Die Ernte von Triticale, Weizen und Roggen erfolgt ab Ende Juli.
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