Essen. Die Einflüsterer in Berlin werden immer mehr, schreiben Gesetze mit und ziehen Politiker auf ihre Seite. Was okay ist und was nicht.
Eine Lobby sollte gemütlich sein. In den Sesseln der Vorhalle des Willard Hotel in Washington hat der 18. US-Präsident Ulysses Grant (1869 bis 1877) der Legende nach bei Brandy und Zigarren mit Gesandten aus der Politik der Wirtschaft, den Kirchen und Gewerkschaften geplaudert, um später über „those damned lobbyists“ herzuziehen. Anderthalb Jahrhunderte später hat sich wenig am Prinzip der Eigeninteressenvertretung geändert. Auch nicht an der allgemeinen Verachtung für diese Art der politischen Einflussnahme.
Die Macht der Lobbyisten gilt als eine dunkle, weil sie oft im Verborgenen ausgespielt wird. Es sei denn, sie scheitern, dann wird aus Diplomatie schnell die Brechstange, etwa wenn der Bauernverband mit Hunderten Treckern die Hauptstadt lahmlegt. Fest steht: Es werden immer mehr. 6118 Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen sind im erst vor zwei Jahren eingeführten Lobbyregister des Deutschen Bundestages gemeldet, mehr als 32.000 Lobbyistinnen und Lobbyisten arbeiten für sie. Das EU-Transparenzregister hat mit aktuell 12.464 doppelt so viele Einträge. Die meisten stammen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, aber auch 3483 von Nichtregierungsorganisationen. Die Zahl der Einflüsterer in Brüssel hat sich binnen zehn Jahren in etwa verdoppelt.
Paradebeispiel Riester-Rente
Es hat so seine Gründe, dass die Menschen in Deutschland mit Lobbyismus vorwiegend Negatives verbinden: Sie reichen von der Riester-Rente und den Gasgeschäften mit Russland über die Maskenaffäre in der Corona-Pandemie bis zu den Skandalen um die Warburg-Bank und den implodierten Dax-Konzern Wirecard. Nichts davon hätte ohne den Druck mächtiger Lobbyisten so geschehen können. Nicht zu vergessen all das, was die Politik unbedingt wollte, aber letztlich doch gelassen hat, wie die Finanztransaktionssteuer, strengere Abgasregeln oder jetzt gerade die Kfz-Besteuerung von Landmaschinen.
Dass es dafür immer zwei braucht – einen, der beeinflusst und einen, der sich beeinflussen lässt – gerät zuweilen in Vergessenheit. Ebenso, dass nicht jede Forderung falsch ist und nicht jedes Eigeninteresse dem der Allgemeinheit widerspricht. Lobbyarbeit dient den Interessen einzelner Unternehmen, ganzer Branchen, der Beschäftigten, Kirchen und vieler anderer Gruppierungen. Oder für Organisationen, die sich für übergeordnete Interessen einsetzen, etwa den Klimaschutz, Patientenrechte oder Gleichberechtigung. Schon das breite Spektrum zeigt, dass es nicht DEN Lobbyismus gibt und der Grad an Egoismus weit auseinandergeht. Je enger die Einzelinteressen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass geforderte Gesetzesänderungen nicht der Allgemeinheit dienen.
Die deutschen Landwirte sind überall gegen das von der Ampel geplante Streichen der Agrardieselsubvention und der Befreiung von der Kfz-Steuer auf die Straße gegangen, haben den Verkehr „entschleunigt“. Sie wussten, dass sie damit die Nerven vieler Autofahrer strapazieren. Dass bei Stillstand auf der Straße für die Deutschen der Spaß aufhört, wissen die Klimalobbyisten der letzten Generation nur zu gut.
Fehlende Kommunikation der Regierung
Deshalb betonten sie stets ihre Aufgabe, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Die gibt es im globalen Lebensmittelmarkt zwar so nicht mehr, aber mit dem Trend zu regionalen Produkten vom Bauern nebenan stärken die Verbraucher dieses Argument jeden Tag an der Supermarktkasse. Wenn es darum ginge, die Landwirtschaft in Deutschland zu erhalten, wäre das also auch im Sinne der Allgemeinheit. Wenn denn die vom Agrarpaket übrig gebliebene Steuererhöhung auf Agrardiesel die Existenz der Bauern gefährden würde, was sie bei den allermeisten nicht tut.
Im Bauernaufstand ein besonders brachiales Beispiel für Lobbyismus zu sehen, wie es nicht wenige Kommentatoren taten, ist freilich übertrieben. Von ganz anderer Qualität ist es etwa, wenn Versicherungskonzerne eine staatlich geförderte Privatrente mitentwickeln, ohne dass die Politik die Bevölkerung das wissen lässt. Oder wenn Maskenhersteller CSU-Politiker dazu bringen, ihnen Großaufträge zu verschaffen. Nach Verabschiedung eines Gesetzes im Bundeskabinett als Betroffene gegen die Nachteile zu protestieren, ist legitim und Teil der Demokratie.
Trotzdem zeigt die Machtdemonstration der Bauern auf, wie Lobbyismus nicht funktionieren sollte, sprich, wie die Politik nicht mit ihm umgehen sollte. Dass die Betroffenen vorher angehört werden und Stellungnahmen abgeben, ist ausdrücklich gewünscht und gehört zum Gesetzgebungsverfahren. Schließlich bringen Lobbyisten neben Eigeninteresse auch Fachwissen mit. Auswüchse, in denen Lobbyverbände Gesetze weitgehend mitschreiben, ihre Wünsche 1:1 übernommen werden, bringen dieses Verfahren nur immer wieder in Verruf.
Nicht viel besser ist aber, wie die Ampel bei den Bauern vorgegangen ist: Sie hat zuerst alle Bedenken ignoriert, ihren Plan durchgezogen, um nach den ersten Treckerparaden gleich wieder umzukippen und die Kürzungen zum Großteil zurückzunehmen. Als hätte die Regierung nicht ahnen können, dass die Landwirte sauer sind. Hätte sie alle Bedenken vorher ernst genommen und ihre Pläne gründlich durchdacht, hätte sie das auch durchziehen müssen. So verstärkt sie den Argwohn in der Bevölkerung darüber, dass sich in Deutschland offenkundig nur durchsetzen kann, wer dicke Trecker oder Züge fährt, Flugzeuge fliegt oder aus anderen Gründen Teile der Republik lahmlegen kann.
Bei dem einmal mehr schlechten Bild, das die Ampel dabei abgab, gingen all die Trittbrettfahrer unter, die sich an die Seite der Bauern stellten. So hatten Politiker der AfD und der Union im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages der Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirte zugestimmt. Der Ausschuss forderte Lindners Finanzministerium einstimmig auf, „die Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ aufzuheben. Nachdem genau das getan und vom Bundeskabinett beschlossen wurde, stellten sich AfD- und Unionspolitiker neben die Trecker und sagten in jedes Mikrofon, warum das gar nicht ginge und sofort zurückgenommen werden müsse.
Trittbrettfahrer der Bauernlobby: Union und AfD hatten Kürzungen zugestimmt
Die beste Arbeit leisten Lobbyisten, wenn sie vorher zu Politikern durchdringen, ihre Forderungen zu deren machen, auf dass sie in Regierungen und Parlamenten mit ihrer Stimme sprechen. Und weil das zuletzt oft gelungen ist, kommen seltener große Skandale ans Licht, obwohl die Einflussnahme der mächtigen Konzerne und Verbände in den vergangenen Jahren weiter zugenommen hat. Nur für diesen Zweck haben allein die großen Techkonzerne und Onlinehändler mehr als 1400 Lobbyisten in Brüssel und Hunderte in Berlin stationiert. Google, Facebook, Apple, Amazon & Co. lassen sich das rund 100 Millionen Euro im Jahr kosten, hat die Organisation Lobbycontrol errechnet – nur anhand zugänglicher Zahlen. Tatsächlich dürfte es weit mehr sein.
Besonders stark vertreten sind zudem die Pharma- und die Finanzindustrie. Letztere verhinderte zuletzt das in Brüssel geplante Provisionsverbot für Anlageberater in Europa. Was die Verbraucher vor schlechter Beratung schützen sollte, hätte das Geschäftsmodell der Finanzbranche durchkreuzt, die für sie lukrativsten Produkte zu verkaufen, die selten die besten für ihre Kunden sind. In Brüssel persönlich interveniert hat: Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Wie das Portal „Abgeordnetenwatch.de“ nachzeichnete, waren massive Interventionen aus dem Lobbyverband der Vermögensberater (DUV) vorausgegangen, dessen Geschäftsführer der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist. Flankierend blockierte CSU-Europapolitiker Markus Ferber, was sein Rüstzeug als Versicherungsexperte hergab – er ist Beirat der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG).
Putin-Freund Schröder ist bis heute das prominenteste Beispiel
Die erfolgreiche Unterwanderung der Politik wird immer dann besonders deutlich, wenn Regierungsgrößen nach ihrer politischen Karriere bei Unternehmen anheuern, mit deren Lobbyisten sie in ihrer aktiven Zeit zu tun hatten. Das ist für beide Seiten so imageschädigend, so anrüchig und wider jede Wirtschaftsethik, dass man sich fragt, warum Unternehmen das noch immer tun. Putin-Freund Gerhard Schröder gibt mit seinem Engagement für den russischen Staatskonzern Gazprom sicher das bis heute prominenteste Beispiel ab.
Die Dankbarkeit deutscher Konzerne für einen, der ihnen Gutes tat, verkörpert aber niemand mehr als Walter Riester. Der frühere Sozialminister gab der vom Staat mit Milliarden geförderten privaten Altersvorsorge seinen Namen. Wovor unabhängige Experten bereits vor dem Start gewarnt hatten, sollte sich nach der Einführung schnell bewahrheiten: An den privaten Rentenpolicen verdienten allein die Versicherungskonzerne prima, während die Renditen für die Versicherten zu den schlechtesten gehörten, die den Leuten von der Branche je angedreht wurden.
Riester war das nicht peinlich genug, als dass er darauf nicht noch seine zweite Karriere gründen konnte. Nach seinem Abgang als Minister trat er in die Bütt für Maschmeyers AWD, die DVAG und Union Investment, die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Als Walter Riester, der für die Riester-Rente wirbt. Journalisten, die entsprechende Einladungen erhielten, wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.
Torsten Albis: Erst Ministerpräsident, jetzt Tabaklobbyist
Im Vergleich dazu war die Maskenaffäre, über die mehrere Unions-Bundestagsabgeordnete stürzten, fast ein Kinderstreich. Ihnen wurde vorgeworfen, einer Schweizer Firma zu Großaufträgen in Deutschland verholfen zu haben, was in der Corona-Pandemie abertausende teure und als minderwertig eingestufte Masken unters Volk brachte. Diese Affäre hatte allerdings den guten Nebeneffekt, den Ausschlag dafür gegeben zu haben, dass die Bundesregierung sich doch durchrang, das lange von der Union blockierte Lobbyregister einzuführen.
Das noch von der Großen Koalition beschlossene Register ging Anfang 2022 an den Start. Seitdem müssen sich Interessenvertreter in Berlin registrieren, bevor sie versuchen, ihre Wünsche der Politik nahezubringen. Zum Beispiel jüngst auch Torsten Albig (SPD): Der frühere Ministerpräsident Schleswig-Holsteins ist jetzt Chefkommunikator des Zigarettenkonzerns Philip Morris und der Interessengemeinschaft Tabakwirtschaft.
Kann die Lobbyregister-Reform der Wendepunkt sein?
Was bisher fehlt, ist eine echte Transparenz, was sie von wem wofür fordern. Das will die Ampel nun ändern: Ab 1. März müssen Lobbyisten angeben, welche Gesetze oder Regelungen sie beeinflussen wollen, ihre Stellungnahmen dazu veröffentlichen und finanzielle Interessen benennen. Zudem müssen Kontakte in die Ministerien bis zu den Referatsleitungen kenntlich gemacht werden.
Ob das die Wende ist? Ob der Einfluss der Lobbyisten damit in Deutschland seinen Höhepunkt erreicht hat? In den ersten zwei Jahren ist der Bundestagsverwaltung aufgefallen, „dass Registereinträge ein sehr unterschiedliches Niveau der Datenqualität haben.“ Damit die Lobbyisten auch wirklich alle Interessen, Finanzquellen und Querverbindungen angeben, sind bei Zuwiderhandlung Bußgelder bis 50.000 Euro vorgesehen. Was haben also die vielen fehlerhaften und unvollständigen Einträge an Strafen zur Folge gehabt? Bisher sei keine Strafen bekannt.
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