Meschede. Weniger Pflanzenschutzmittel sollen in der EU eingesetzt werden. Der Vorschlag scheiterte im Parlament. Warum Landwirte das gut finden.

Landwirte in Südwestfalen sind erleichtert. Vermutlich nicht nur hier. Die in der Europäischen Union sehr kontrovers diskutierten strengeren Pflanzenschutzvorschriften sind erst einmal vom Tisch. „Bei den Landwirten im Kreis Soest sorgte die Ablehnung im Europäischen Parlament für Aufatmen“, sagt Kreislandwirt Josef Lehmenkühler.

In dieser Legislaturperiode kaum noch mit Beschluss zu rechnen

Im Raum stand der Vorschlag der europäischen Kommission, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch in der Landwirtschaft bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 2016 zu reduzieren. Sarah Wiener, Promiköchin, Bio-Bäuerin und Grünen-Europaabgeordnete, hatte im Umweltausschuss sich noch erfolgreich dafür eingesetzt, die Regeln noch einmal deutlich zu verschärfen. Die konservativen Fraktionen im EU-Parlament, die EVP-Gruppe, hatte einen Gegenentwurf zur Abstimmung gebracht. Letztlich scheiterte der Entwurf in 1. Lesung komplett.

Der Sauerländer CDU-Europaabgeordnete Peter Liese, für den das komplette Aus des Beschlussvorschlags durchaus überraschend kam, sieht das Scheitern positiv: „Die Entscheidung ist gut für die Landwirte und gut für alle, die glauben, dass sich die EU in schwierigen Zeiten zurückhalten muss. Sie ist auch ein Beispiel, wie Politik funktionieren kann, und damit ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit. Viele Landwirte waren verzweifelt und die Entscheidung des Parlaments zeigt, dass sich gemeinsames Engagement zwischen Politkern und Bürgern lohnt“, sagte Liese.

Jetzt liegt der Kommissionsvorschlag zwar noch beim Ministerrat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, in diesem Jahr werde laut Liese aber nicht mehr mit einer Entscheidung gerechnet. Der Sauerländer Politiker geht sogar davon aus, dass in dieser Legislatur in Sachen Pflanzenschutzmittel nichts mehr passiert. Im Juni 2024 sind Europawahlen.

Kein Gemüse mehr von guten Soester Böden

Im Juni kommenden Jahres stehen die Europawahlen an. Die Wahrscheinlichkeit, dass bis dahin die Vorschriften für den Einsatz von Pflanzenschutz geändert werden, scheint gering. Aus Sicht von Kreislandwirt Lehmenkühler hat die prominente Grünenabgeordnete Sarah Wiener „sich überschätzt“. Lehmenkühler weiß natürlich, dass die Debatte damit nicht endgültig erledigt ist. Welche Konsequenzen die Umsetzung des Kommissionsvorschlags mittel- bis langfristig für die Landwirtschaft in der Region haben würde, beschreibt er so: „Raps weg, Kartoffeln weg, kein Gemüse mehr von den guten Böden im Kreis Soest.“

Iserlohner Landwirt sieht regionale Erzeugung in Gefahr

Ähnlich sieht es auch der Iserlohner Ulrich Brinckmann, Kreislandwirt im Märkischen Kreis. Landwirtschaft sei ein ständiger Kampf mit der Natur. „Da brauchen wir alle Möglichkeiten, die wir kennen, sonst ist die regionale Erzeugung in Gefahr.“ Laut Peter Liese sei der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren bereits um 25 Prozent reduziert worden. Moderne Landwirtschaft sei wenig am massenhaften Einsatz von Pflanzenschutzmitteln interessiert, will sich aber offenbar auch nur ungern Vorschriften machen lassen. „Es ist kein gutes Gefühl, wenn haarklein alles von oben diktiert wird“, sagt Michael Richard, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Olpe.

Naturschutzbund fordert Maßnahmen der Landesregierung

Der NABU NRW beurteilt das Scheitern der neuen Verordnung zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kritisch: „Sollte es bei der Ablehnung der Verordnung bleiben, vertun wir eine große Chance, den Rückgang der Biologischen Vielfalt aufzuhalten“, erklärte die NABU-Landesvorsitzende, Dr. Heide Naderer. Langfristig sei auch der konventionellen Landwirtschaft nicht damit gedient, weiter in gewohntem Umfang Pestizide einzusetzen. Auch viele Landwirte und Landwirtinnen hätten die Notwendigkeit einer Pestizidreduktion erkannt und zeigten, wie Lebensmittelproduktion ohne oder aber mit geringem Einsatz dieser Mittel funktioniere. Damit sie nicht mit der Verantwortung für Pflanzen- und Naturschutz allein gelassen werden, bedürfe es dringend unterstützender, weitsichtiger Regelungen und Planungssicherheit. „Hier ist die Landesregierung gefordert trotz der uneindeutigen Haltung auf EU-Ebene für Nordrhein-Westfalen nun ambitionierte Maßnahmen zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln zu entwickeln und zügig umzusetzen – so wie es im Koalitionsvertrag der Landesregierung festgehalten ist“, erinnert Naderer.