Berlin. Ein Münchner Unternehmen arbeitet an einem neuartigen Medikament, das gegen mehrere Viren hilft – es winkt ein Multimilliarden-Markt.
Hepatitis, HIV, Corona-Viren lösen zahlreiche Krankheiten aus. Nicht alle gefährden so viele Menschen wie Sars-Cov 2, das Corona-Virus. Gegen einige helfen Medikamente, bei anderen hilft nur die Hoffnung, dass der Körper selbst damit fertig wird.
Und was gegen ein spezielles Virus wirkt, muss nicht automatisch auch ein anderes erledigen. Trotzdem forschen viele Konzerne an solch breit wirkenden Arzneimitteln – denn es winkt ein Multimilliarden-Markt.
Bisher fehlt zwar eine Lösung, doch das könnte sich bald ändern, wenn Christian Sigl mit seinem Team recht behält. Sigl ist Chef von Capsitec, einem knapp zwei Jahre alten Unternehmen aus Planegg bei München.
Der Biophysiker und seine Mitgründer haben ursprünglich mit Virologie nichts zu tun gehabt – dafür aber sehr viel mit DNA, den Bauplänen aller Zellen.
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Das könnte der Grund sein, warum sie auf einen Ansatz für ein neuartiges Antiviren-Medikament kamen. Damit schafften sie es in die zweite Runde eines Wettbewerbs der Bundesagentur für Sprunginnovation (Sprind) in Leipzig. Die Agentur sucht nach Ideen, die das Leben nachhaltig verändern können. Vor allem geht es darum, Ideen auch wirtschaftlich zu nutzen. In diesem Fall geht es um ein breit wirkendes Virus-Medikament, ähnlich einem Antibiotikum gegen Bakterien.
Anstatt Körperpolizei: Medikament soll Viren einfangen
Üblicherweise wird das menschliche Immunsystem dazu angeregt, Viren zu bekämpfen. So ist es zum Beispiel beim Corona-Impfstoff von Biontech. Capsitecs Idee geht anders: Statt den Menschen gegen die Viren zu impfen, also die Körperpolizei auf die Angreifer einzustellen, könnte man die Aggressoren auch einfangen und kaltstellen, so dass sie sich nicht mehr vermehren.
Und möglicherweise lassen sich verschiedene Viren-Typen gleichzeitig schnappen. Dafür ist nur der richtige Kescher nötig.
Was einfach klingt, ist sehr kompliziert, denn alles ist sehr klein. Die Kescher, oder die Schalen wie Sigl sie nennt, haben einen Durchmesser von 40 bis 85 Nanometer – deutlich kleiner als eine menschliche Zelle. Ein Haar ist etwa 1000 Mal dicker.
Das Unternehmen nutzt deshalb DNA als Baustoff. Die Forscher nehmen einen sehr langen, selbst programmierten halben DNA-Strang und mischen ihn mit weiteren, sehr kurzen, halben Strängen.
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Bis zu 200 Stränge insgesamt sind nötig. Die kurzen legen sich in einer vorherbestimmten Reihenfolge an den langen DNA-Strang und zwingen ihn in die gewünschte Form, einschließlich maßgeschneiderten Ankern für die Viren. Der Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen.
Die Technik dieses DNA-Origami ist schon länger bekannt, für Medikamente wird sie bislang nicht eingesetzt. „Wir beschichten die Schale innen dann mit einer Art Kleber für die Viren“, sagt Biophysiker Sigl. Im Labor funktionieren die Virenfänger bereits.
DNA-Origami wird erstmals bei Medikamenten verwendet
Sigl berichtet, das sie praktisch alle Viren herausfischten, auf die sie angesetzt werden. Getestet wurde mit dem Corona-Virus, mit Influenza-Viren, dem tropischen Chikungunya und HPV16, das Gebärmutterkrebs auslöst.
Auch Virencocktails wurden demnach neutralisiert. Erste Versuche mit Mäusen liefen Sigl zufolge auch erfolgversprechend. Es könnte also etwas werden. Zumal die Technik auch wirkt, sollte ein Virus mal mutieren.
„Die Oberfläche der Schalen bietet immer noch genug Haftfläche“, sagt Max Große, Virologe bei Capsitec. Klassische Impfstoffe müssen immer wieder angepasst werden, wenn sich das Virus ändert. Entsprechend lässt sich die Bevölkerung nur verzögert schützen.
Das Marktpotenzial ist groß. Für die zehn effizientesten Virentherapien seien im vergangenen Jahr rund 50 Milliarden Dollar (47 Milliarden Euro) ausgegeben worden, sagt Sigl. Es gebe aber zahlreiche weitere Viren, für die es bisher kaum eine Behandlung gebe. Forscher der Universität Chicago berechneten im Herbst 2022, dass eine weitere weltumspannende Pandemie wie Corona mindestens 800 Milliarden Dollar kosten würde – wenn nicht vorgesorgt wird.
Die sogenannte Sprind-Challenge für ein Breitband-Medikament startete 2021 mit neun Teams, in der zweiten Runde sind es neben Capsitec noch fünf weitere, die finanziell gefördert werden. Im Herbst wird erneut gesiebt: Wer es in die dritte Runde schafft, bekommt noch einmal rund zwei Millionen Euro.
Ende 2024 sollen die Teams dann ihre Idee soweit entwickelt haben, dass das Medikament auch am Menschen getestet werden kann.
Wie hoch sind die Erfolgschancen des neuen Medikaments?
Wer das bezahlt, ist unklar. Von der Idee bis zum Verkauf eines Arzneimittels dauert es schon einmal zehn Jahre. Und es kann schnell mehr als eine Milliarde Euro kosten – vor allem die klinischen Studien sind aufwendig und teuer.
Sie sind verpflichtend und sollen zeigen, ob ein Medikament sicher ist und tatsächlich einen gesundheitlichen Mehrwert birgt. Die Ausfallquote ist hoch. Auch bei großen Pharmaunternehmen schafft es von 100 Wirkstoffstoffen oft nur einer bis zum fertigen Medikament.
Es kann sein, dass der Virenfänger von Capsitec zwar viel verspricht, aber in den Studien scheitert. Unter anderem ist die Technik, künstliche DNA als Baumaterial zu verwenden, neu für Medikamente. Und der menschliche Körper wehrt fremde DNA normalerweise vehement ab. Experten sind deshalb eher skeptisch.
Sollte er nicht so reagieren, was passiert mit Schale und eingefangenem Virus? „Wir glauben, dass der Körper beides als Komplex abbaut und das Virus nicht rauskommt.“ Bleibt die Frage, wie das Medikament verabreicht wird. Ein Nasenspray wäre möglich. Vielleicht bleibt es auch bei der Spritze. Nur die Wirkung wäre anders als beim klassischen Impfstoff.
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