Herne. Eine Hernerin ist wochenlang in ihrer Existenz bedroht, weil sie nicht an ihr Postbank-Konto herankommt - kein Einzelfall. Aufsicht rügt Bank.
Seit Wochen häufen sich Beschwerden von Kundinnen und Kunden über die Postbank. Der Ärger geht inzwischen so weit, dass die Finanzaufsicht BaFin der Tochter der Deutschen Bank eine scharfe Rüge erteilt hat und ein Ende des Chaos verlangt. Wie dieses Chaos Existenzen bedroht, offenbart der Fall von Kimberly Jenal aus Herne.
Die 25-jährige alleinerziehende Mutter eines neunmonatigen Kindes hat Schulden, deshalb habe sie im Juni bei der Postbank die Umwandlung ihres normalen Kontos in ein Pfändungsschutzkonto beantragt. Dieses schützt monatlich mindestens 1340 Euro vor einer Pfändung, damit die Betroffenen von diesem Betrag Kosten für Miete, Strom oder Lebensmittel bestreiten können. Diese Umwandlung sei auch eine Woche später vollzogen worden, doch wenige Tage danach folgte der Schock: Sie habe keinen Zugriff mehr auf ihr Konto bekommen, erzählt Jenal im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Ihre Versuche, bei der Postbank jemanden zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Dabei sei die Gesetzeslage klar und unmissverständlich, so Veronika Hensing, Leiterin der Herner Verbraucherzentrale: „Danach muss die Bank Kontoinhaberinnen und -inhaber über das vor der Pfändung geschützte Guthaben verfügen lassen.“
Die Folgen könnten in so einem Fall dramatisch sein, weiß Veronika Hensing, Leiterin der Herner Verbraucherzentrale. Wer zwei Monate die Miete nicht zahle, könne gekündigt werden, außerdem drohten Stromsperren und die Kündigung von Handyverträgen. Ganz abgesehen davon, dass Jenal keinerlei Geld mehr zur Verfügung hatte, um sich und ihrem Kind Lebensmittel und andere notwendige Dinge des täglichen Lebens zu kaufen. „Im schlimmsten Fall hätte ich mein Kind weggeben müssen“, erzählt Jenal mit Tränen in den Augen.
Nachbar lieh der alleinerziehenden Mutter Geld für die nötigsten Besorgungen
Für die junge Mutter kam es nicht so knüppeldick wie befürchtet: Da sie Bürgergeld - in Jenals Fall 1235 Euro pro Monat - bezieht, überweist das Jobcenter die Miete direkt, ihrem Stromanbieter habe sie den Grund für ihre prekäre Lage erklären können. Außerdem habe ihr Nachbar ihr Geld für die nötigsten Besorgungen geliehen: Ulrich Reißner zeigt sich empört über das Verhalten der Postbank: „Das ist Inkompetenz an verschiedenen Stellen.“
Die Postbank gesteht auf Nachfrage der Herner WAZ-Redaktion ihren Fehler in Jenals Fall ein: „Bei Frau Jenal ist uns leider ein Bearbeitungsfehler unterlaufen: Bei der Bearbeitung ihrer Pfändung im Juni haben wir ihr Konto versehentlich nicht in ein P-Konto umgewandelt. Deshalb konnte sie nicht über eingehende Gutschriften verfügen. Wir haben den Fehler jetzt korrigiert. Frau Jenal kann wieder über ihr Guthaben verfügen. Wir entschuldigen uns in aller Form für unseren Fehler.“ Allerdings ließ die Postbank die Frage unbeantwortet, ob man sich bewusst ist, dass das Handeln existenzbedrohend für die Betroffenen ist. Ebenso nahm die Postbank keine Stellung zu der Frage, warum sich das Geldinstitut gesetzeswidrig verhält.
Herner Schuldnerberatung rät Betroffenen, sich eine andere Bank zu suchen
Jenal ist längst nicht der einzige Fall. Sowohl Verbraucherzentrale als auch die Herner Schuldnerberatungberichten seit Monaten von nicht berücksichtigten Freibeträgen, nicht vermerkten Pfändungsaufhebungen sowie einer nicht oder nur schwer erreichbaren zentralen Pfändungsabteilung, an die sie von ihren Postbank-Filialen vor Ort verwiesen werden. Genau wie Jenal verfügten die Betroffenen oft über keine anderweitigen Geldmittel mehr. Existenzielle Daueraufträge für Miete, Strom und Telefon würden vom P-Konto nicht ausgeführt, benötigtes Bargeld zum Lebensmittel- oder Medikamentenkauf dürfe nicht abgehoben werden.
Bei der Herner Schuldnerberatung rät man Betroffenen, sich vielleicht eine andere Bank mit einem funktionierenden Filialnetz zu suchen. Zwar gebe es auch in Herne Postbank-Filialen, doch dort sei nicht die erforderliche Kompetenz vorhanden.
„Es ist nicht akzeptabel, dass die Postbank anscheinend keine ordnungsgemäße Organisation der notwendigen Abläufe zur Einhaltung von gesetzlichen Pfändungsschutzvorschriften sicherstellt“, sagt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Da auch nach direkter Aufforderung durch die Verbraucherzentrale NRW keine ausreichenden Gegenmaßnahmen der Postbank oder des Mutterkonzerns Deutsche Bank erkennbar war, die der verzweifelten Situation der Betroffenen angemessen wären, haben die Verbraucherschützer die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eingeschaltet und Aufsichtsbeschwerde eingereicht, verbunden mit der Bitte um dringendes Einschreiten der Behörde. Das Ergebnis: Die BaFin hat der Postbank eine öffentliche Rüge erteilt.
Verbraucherzentrale rät zur Klage
Schuldzinski: „Wir raten Betroffenen außerdem, gegen die Postbank auf Auszahlung ihres Kontoguthabens zu klagen – möglichst mit anwaltlicher Hilfe und direkt im Wege eines einstweiligen Verfahrens. Hierfür stellen wir online eine einfache Formulierungshilfe bereit.“
Schuldzinski begrüßt die öffentliche Rüge der Postbank durch die BaFin. Er fordert: „Die Postbank muss die schwerwiegenden Missstände bei den Pfändungsschutzkonten unverzüglich und endgültig beheben und allen Betroffenen direkte Ansprechpartner nennen, die eine sofortige Freigabe der Kontoguthaben entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen veranlassen. Diese müssen dann auch für eine unbürokratische und schnelle Abwicklung der Schadensersatzansprüche zur Verfügung stehen – ohne Hürden wie eine Telefonbanking-PIN. Die Abwicklung muss für die Kontoinhaberinnen und -inhaber so schnell, einfach und umfassend wie möglich umgesetzt werden.“
Das Vorgehen der Postbank habe Kundinnen und Kunden unmittelbar in existenzielle Not gebracht, wie die vielen Beschwerden bei der Verbraucherzentrale NRW zeigten. So etwas dürfe bei einer großen deutschen Bank, der sehr viele Menschen jeden Monat ihr gesamtes Einkommen anvertrauen, nicht passieren.