Berlin. Der Markt der Lieferdienste ist hart umkämpft – für die Kunden hat das Folgen. Laut Experten wird sich das Angebot deutlich verändern.

  • Konsumflaute macht Unternehmen wie Lieferando zu schaffen
  • Experte rechnet bei Online-Supermärkten mit Zweikampf zwischen Getir und Flink
  • Kunden müssen sich eventuell auf längere Lieferzeiten einstellen

Während der Lockdowns 2020 und 2021 florierte das Geschäft der Lieferdienste. Mittlerweile ist der große Boom vorbei; geblieben sind die pandemiebedingten Ess- und Einkaufsgewohnheiten. Das Angebot fächert immer weiter aus: Anbieter wie Lieferando oder Wolt fahren hauptsächlich Restaurantgerichte aus, während Flink und Getir sich auf das blitzschnelle Ausliefern von Supermarkt-Waren spezialisiert haben. Daneben wächst der Markt von Onlinesupermärkten wie Picnic, in den nun auch bekannte Wettbewerber aus dem stationären Handel eingestiegen sind. Welche Konzepte funktionieren, welche nicht? Und womit müssen Verbraucher in Zukunft rechnen?

Bei den klassischen Restaurantauslieferungen hat es nach dem Aufkauf mehrerer Konkurrenten – wie etwa Lieferheld, pizza.de und Foodora – inzwischen Lieferando an die Spitze geschafft. Laut einer Umfrage von Statista ist das Unternehmen in Deutschland vor Domino’s und Pizza Hut der mit Abstand beliebteste Lieferservice. Lieferando ist der deutsche Markenname des niederländischen Konzerns Just Eat Takeaway, der im vergangenem Jahr weltweit einen Umsatz von rund 28 Milliarden Euro erzielte. Unterm Strich blieb ein operativer Bruttogewinn von 19 Millionen Euro.

Lieferando und Co. kämpfen mit der Konsumflaute

Darin nicht eingerechnet sind allerdings die Schulden des Branchenriesen: Der Verlust des Konzerns belief sich 2022 auf 5,7 Milliarden Euro. Der ganzen Branche macht neben gestiegenen Zinsen besonders die schlechte Verbraucherstimmung zu schaffen. „Die große Herausforderung heißt generelle Konsumzurückhaltung der Konsumenten und Konsumentinnen aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheit und Inflation“, erklärt der E-Food-Experte Matthias Schu dieser Redaktion. Aber auch die Fahrerinnen und Fahrer treten heute selbstbewusster auf und fordern teils erfolgreich bessere Konditionen ein.

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Vor der Lieferando-Zentrale in Berlin-Kreuzberg veranstaltete die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) jüngst ihren fünften Warnstreik. Die NGG fordert vom Marktführer den Abschluss eines Tarifvertrags. „Es wäre für Lieferando ein leichtes, ein Branchenvorbild zu werden. Zumal in anderen Ländern der Mutterkonzern Just Eat Takeaway bereits Tarifverträge abgeschlossen hat und damit wirbt“, sagt Mark Baumeister von der NGG auf Anfrage. Aktuell verdienen die angestellten Fahrer bei Lieferando den Mindestlohn, hinzu kommen Boni.

Lieferando schreibt tiefrote Zahlen, Getir entlässt Tausende Mitarbeiter, Gorillas wurde verkauft. Supermärkte drängen indes mit eigenen Angeboten auf den Markt  – wohin steuern die Lieferdienste?
Lieferando schreibt tiefrote Zahlen, Getir entlässt Tausende Mitarbeiter, Gorillas wurde verkauft. Supermärkte drängen indes mit eigenen Angeboten auf den Markt – wohin steuern die Lieferdienste? © epd | Christian Ditsch

Mit prekären Arbeitsbedingungen hatte das 2020 gegründete Berliner Startup Gorillas zuletzt Schlagzeilen gemacht. Mitarbeiter organisierten wilde Streiks und beklagten unter anderem eine zu niedrige Bezahlung und eine unangemessene Arbeitsausrüstung. Das unternehmen reagierte darauf mit Mitarbeiterkündigungen. Dann wurden auch noch Lücken bei der Refinanzierung publik. Im Dezember 2022 wurde das Unternehmen schließlich vom türkischen Konkurrenten Getir geschluckt.

„Es zeichnet sich ein Zweikampf mit Flink ab“, sagt von Jens von Wedel, Unternehmensberater bei Oliver Wyman. Aktuell läuft der wohl zugunsten der deutschen Plattform: Wie im August bekannt wurde, will Getir 2500 Stellen streichen. Nach Angaben des „Handelsblatts“ zieht sich der Konzern aus 17 von 23 Städten in Deutschland zurück. Anbieter wie Getir werben mit der Lieferung „in Minuten“; „Quick Commerce“ oder „Q-Commerce“ wird diese Lieferdienstsparte deswegen von Fachleuten auch genannt.

„Quick Commerce“ in Zukunft nicht mehr ganz so „quick“

Möglich ist das in der Regel nur mit eigenen Warenlagern, möglichst in zentraler Innenstadtlage – wo die Mieten bekanntlich hoch sind. Wenn der Umsatz indes nicht wie prognostiziert weiter steigt, ziehen sich die Geldgeber zurück. „Um das Hochfahren von neuen Standorten bis zur optimalen Auslastung querfinanzieren zu können, braucht es Investorengeld: Und das sprudelt gerade leider nicht mehr so ergiebig“, erklärt der Experte Matthias Schu.

Liefert vor allem Restaurantessen aus: der Lieferdienst Wolt.
Liefert vor allem Restaurantessen aus: der Lieferdienst Wolt. © Wolt | Goy Le

Das hat auch Folgen für die Verbraucher: Artikel sind vorübergehend nicht lieferbar, Fahrer brauchen länger als versprochen – ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Schu geht davon aus, dass sich das Geschäft mit den schnell gelieferten Artikeln des täglichen Bedarfs zu einem etwas langsameren Premiumdienst entwickeln wird: „Quick heißt dann eben nicht mehr in zehn bis 20 Minuten, sondern in 45 bis 60 Minuten. Mit entsprechendem Preisplus und Liefergebührenaufschlag im Vergleich zu heute.“

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Schon jetzt ist der Einkauf bei solchen Plattformen deutlich teurer als im stationären Handel. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat dazu in diesem Jahr eine Studie veröffentlicht. Dort heißt es: „Die Mehrheit der Befragten hält Q-Commerce-Anbieter für vergleichbar teuer (60 Prozent) oder sogar billiger (17 Prozent) als stationäre Händler. Eine Analyse typischer Warenkörbe im Rahmen der Studie zeigt das Gegenteil.“ Die Kosten bei Flink etwa lägen um fünf bis 16 Prozent höher als im Supermarkt. Wobei die Lieferkosten noch gar nicht mit eingerechnet sind.

Lebensmittel online einkaufen: enormes Potenzial für Supermärkte

Wer länger warten kann und vielleicht seinen gesamten Wocheneinkauf vor die Tür geliefert bekommen möchte, kann mittlerweile auch direkt beim Supermarkt bestellen. Rewe oder der Biomarkt Alnatura bieten eigene Services an. Zudem hat Rewe in diesem Jahr 150 Millionen Euro in das Berliner Startup Flink investiert. „Es wird in jedem Land langfristig nur einen Anbieter geben“, so der Rewe-Chef Lionel Souque im „Handelsblatt“. „Und deshalb investieren wir in Flink.“

Rein rechnerisch ist das Potenzial für Online-Supermärkte, zu denen Picnic, Knuspr oder Bringmeister gehören, immens. Dem Online Monitor 2023 des Handelsverbands Deutschland zufolge machten Artikel des täglichen Bedarfs im vergangenen Jahr mit rund 12 Prozent einen recht kleinen Teil des gesamten Onlinevolumens aus; zugleich ist es der Umsatz in diesem Bereich 2022 am stärksten gestiegen – gegenüber 2019 hat er sich sogar fast verdoppelt.