Berlin. Online-Plattformen aus China bieten hohe Rabatte auf viele Waren – doch es lauern auch Gefahren. Experten geben Käufern wichtige Tipps.
Ein Paar Socken kostet 97 Cent, ein Armband für die Apple-Watch 1,69 Euro, ein Werkzeugkasten 13,56 Euro. Kabellose Kopfhörer werden für 5,79 Euro verkauft, Hängematten für 9,99 Euro, Box-Handschuhe für 6,98 Euro. Auf der Online-Shopping-Plattform von Temu gibt es von Elektronik, Bekleidung, Sportartikeln bis Gartenbedarf fast alles – und das zu Schnäppchenpreisen und versandkostenfrei.
Temu gehört neben Shein oder AliExpress zu den jüngsten Online-Plattformen von chinesischen Unternehmen, die den europäischen Markt erobern. Über diese Marktplätze werden Produkte oft direkt von Herstellern und Händlern in China angeboten, selten bekannte Markenartikel. In nur wenigen Monaten haben sie Millionen Kunden gewonnen und werden so auch zur Konkurrenz für etablierte Handelsplattformen wie Amazon.
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Temu und Shein werben vor allem in sozialen Netzwerken. Über TikTok, Instagram oder Facebook gewinnen sie nicht nur junge Käuferinnen und Käufer, sondern auch ältere Schnäppchenjäger. Die Internetseiten sind professionell gestaltet, immer wieder ploppen Gewinnspiele und Rabatte auf. So gibt es bei Bestellungen über 40 Euro einen Discount von 15 Euro, bei Einkäufen über 100 Euro sogar 40 Euro Nachlass. Influencer werden belohnt, wenn sie über ihre Bestellungen berichten.
Online-Handel: So bekommt man Geld zurück
Kommen die Pakete bei Temu nicht innerhalb des angekündigten Lieferzeitraums von etwa zehn Tagen an, gibt es fünf Euro Erstattung. Entspricht ein Produkt nicht der Vorstellung, besteht ein kostenloses Rückgaberecht von 90 Tagen. Kostet der beanstandete Artikel nur wenige Euro, fordert Temu den Kunden auf, man könne es „gerne behalten, spenden oder recyceln“. Der Betrag wird erstattet, wie ein Testkauf ergab.
Temu ist seit Ende April als Verkaufsplattform in Deutschland aktiv. Aktuell zählen Temu und Shein hierzulande zu den am meisten heruntergeladenen Einkaufs-Apps im Google Play Store und im Apple App Store. Und offensichtlich läuft der Service bei Temu recht gut. Zumindest bei den Verbraucherzentralen sind bislang noch keine gravierenden Beschwerden eingegangen, berichtet Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Mit Temu & Co tritt die Vermarktung von Produkten aus Fernost in die dritte Phase ein, sagt Julia Frings vom Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln. In der ersten Stufe wurden Produkte aus China über europäische Händler vertrieben. In der zweiten Phase verkauften chinesischen Hersteller ihre Waren selbst in Europa über Plattformen wie Amazon.
„Mittlerweile werden diese Produkte über eigene Plattformen der Herkunftsländer wie AliExpress oder Temu vertrieben. Damit findet nun auch die gesamte Vermarktung in China statt“, so Frings.
Online-Handel: Welche Firma hinter Temu steckt
Hinter Temu, Shein und AliExpress stehen chinesische Unternehmen, Wish und Joom wiederum haben ihre Ursprünge in den USA oder in Lettland. Temu wurde erst im vergangenen Jahr in den USA gegründet, ist eine Tochtergesellschaft von Pinduoduo (PDD Holdings Inc.), die an der US-Technologiebörse Nasdaq gehandelt wird und 2022 knapp 20 Milliarden Dollar umsetzte.
Doch wie seriös sind die Angebote? „Grundsätzlich sind Marktplätze wie AliExpress, Wish und Co. durchaus legitim und keinesfalls Fake-Shops“, urteilt Handelsexpertin Frings. Allerdings blieben immer Restrisiken. Zwar seien die meisten Produkte echt, aber es sei wichtig, dass sich Konsumenten vor Augen führten, „dass eine Bestellung auch mit Risiken einhergehen kann“.
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Viele Kunden kalkulieren bereits beim Kauf ein, dass die Qualität minderwertig sein kann. Bei Bekleidung stimmt manchmal die Größenangabe nicht oder der Stoff ist aus einem anderen Material. Manche Anbieter haben zudem längere Lieferzeiten. Käufer sollten beim Kauf auf jeden Fall die Zollbestimmungen beachten und sich die Bewertungen über die Plattformen genau anschauen, rät Frings.
Auch Verbraucherschützer warnen, dass billiges Einkaufen auf einigen chinesischen Online-Shops teuer werden kann. Bei einem Warenwert ab 150 Euro fallen Zollgebühren an. Hinzu kommt eine Einfuhrumsatzsteuer. Werden Plagiate verschickt und entdeckt, könnten diese vom Zoll sogar vernichtet werden. Der Käufer haftet hier und muss sogar die Anwaltskosten des Markenrechteinhabers bezahlen.
Was Kunden an den chinesischen Plattformen mögen
Temu setzt dagegen auf „eine Null-Toleranz-Politik gegen Fälschungen und verhängt hohe Strafen gegen Rechtsverletzer“, heißt es auf der Internetseite der Plattform. Doch diese Politik verfolgen nicht alle Shops. Die Hamburger Verbraucherzentrale hat Beschwerden über Dutzende chinesische Online-Plattformen erhalten, die sie auf ihrer Homepage auflistet – Temu, Shein, AliExpress sind nicht dabei.
Das Tückische: Viele chinesische Shops tragen deutsche Namen, haben eine .de-Adresse, eine deutsche Anschrift – und dennoch kommt die Ware aus China. Rücksendungen sind teilweise nicht möglich oder müssen von den Kunden bezahlt werden, warnen Verbraucherschützer. Auch sind rechtliche Schritte gegen chinesische Händler schwierig.
Verbraucherschützer fürchten zudem, dass die Nachhaltigkeit durch solche Billigprodukte auf der Strecke bleibt. Vieles würde gekauft, was schnell wieder weggeworfen werde. Hinzu werde die Ware einmal um den Globus geschickt. „Das können wir nicht gutheißen“, kritisiert Rehberg.
Mittelfristig sieht die IFH-Expertin Frings noch keine „bedeutende Gefahr“ durch die neuen Plattformen für die etablierten Player, da die Probleme bei der Bestellung noch zu groß seien. Allerdings schätzten viele Kunden das Spielerische der Seiten – den Gamification-Ansatz – und die günstigen Preise, sagt Frings. Langfristig sollten sich Amazon & Co. deshalb überlegen, wie sie bessere Einkaufserlebnisse schaffen, damit die Kunden nicht zu den Chinesen abwanderten.
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