Berlin. Die EU will Millionen Hausbesitzer zur Sanierung verpflichten. Das ist ungerecht, sagen Experten – vor allem für deutsche Eigentümer.

Wird Deutschland bei dem EU-Gesetzesvorhaben, schlecht gedämmte Gebäude energetisch sanieren zu müssen, benachteiligt? Diesen Vorwurf erhebt der Immobilienverband Deutschland (IVD) und fordert, das Sanierungstempo hierzulande zu drosseln. Auch das Bundesbauministerium sieht den Gesetzesvorschlag der EU kritisch. Es gibt aber auch Gegenstimmen.

Die Bewertung der Gebäudeenergieeffizienzklassen ist in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich. Nicht überall werden die gleichen Standards angesetzt – und so kann ein Gebäude, das in Deutschland in die Energieeffizienzklasse G eingeordnet wird, in einem anderen Land ein C sein. Eine Vergleichbarkeit der Energieeffizienzklassen ist laut IVD dann möglich, wenn man sich den Energiebedarf in Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (Kwh/m2a) ansieht.

Bewertet wird demnach der Gebäudebestand. Die guten Gebäude werden dem Bereich A und B zugeordnet, die schlechten eher G und H, der Rest dazwischen. In Deutschland ist ein Gebäude beispielsweise in der schlechtesten Klasse G/H, wenn es einen Bedarf von 250 und mehr Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (Kwh/m2a) hat. In den Niederlanden landet man mit diesem Wert allerdings in der mittleren Kategorie C.

Wo C ein G sein kann – die unterschiedlichen Energieeffizienzklassen

Anderes Beispiel: Ein Gebäude in Frankreich, das in der sehr guten Klasse B (110 Kwh/m2a) eingeordnet ist, würde wenige Kilometer weiter in Deutschland nur ein D erreichen. Welche Energieeffizienzklasse das eigene Haus hat, kann man in seinem Gebäudeenergieausweis nachsehen oder einen Energieberater beauftragen, das herauszufinden.

Wer sein Haus energetisch sanieren muss, könnte bald mit hohen Kosten konfrontiert sein.
Wer sein Haus energetisch sanieren muss, könnte bald mit hohen Kosten konfrontiert sein. © iStock | istock

Hintergrund ist, dass die EU derzeit eine neue Gebäuderichtlinie (EPBD) plant. Diese sieht vor, dass die 15 Prozent des Gebäudebestands mit der schlechtesten Energieeffizienz schon bis 2030 die EU-Energieklasse E erreichen müssen, bis 2033 sogar die Klasse D. Das hieße, dass sich der Heizaufwand pro Quadratmeter oft mehr als halbieren müsste, was die bessere Dämmung von Dach und Wänden, neue Fenster oder neue Heizungsanlagen voraussetzt.

Der IVD schätzt, dass rund 14 Millionen Häuser und Wohnungen in Deutschland davon betroffen wären. Momentan befindet sich der Gesetzesvorschlag im sogenannten Trilog-Verfahren zwischen Kommission, Rat und Parlament. Dass das Gesetz so kommt, wie es vom EU-Parlament vorgeschlagen wurde, gilt als nahezu ausgeschlossen. Einige EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, haben bereits Bedenken geäußert.

Wir Deutschland benachteiligt? Das sagt ein Experte

Auch der IVD sieht das geplante Gesetz kritisch. Es liege der Gedanke nahe, dass Deutschland benachteiligt werde, teilte der Verband mit. „Denn offenbar ist der Gebäudebestand in Deutschland deutlich besser als in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten.“ Der Verband fordert: „Da Deutschland viele seiner Hausaufgaben im Vergleich bereits gemacht hat, sollte es für sich in Anspruch nehmen, das eigene Sanierungstempo zu drosseln.“

Die Energieeffizienzklassen lassen sich EU-weit nicht miteinander vergleichen, erklärt Heiner Lippe.
Die Energieeffizienzklassen lassen sich EU-weit nicht miteinander vergleichen, erklärt Heiner Lippe. © iStock | istock

Dem widerspricht Heiner Lippe von der Technischen Hochschule Lübeck. „Das stimmt nicht. Deutschland hängt da sogar zum Teil hinterher“, sagt der Professor für Technische Gebäudediagnostik und Energetische Gebäudesanierung. „Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen. Unsere Aufgaben liegen nicht im Neubau, wir müssen den Bestand sanieren.“ Ein Vergleich der Häuser und der Bestände zwischen den EU-Staaten sei ohnehin nicht möglich, so der Experte.

Weil der Gebäudebestand in der EU klimazonenabhängig definiert werde, könne auch ein Gebäude in der sehr guten Energieeffizienzklasse A je nach Mitgliedstaat unterschiedlich bewertet werden – je nachdem, in welcher Klimazone es liegt.

Energieeffizienzklassen bei Gebäuden – das ist ihr Zweck

„Man kann die Gebäude in Schweden, Deutschland, Rumänien und Portugal nicht miteinander vergleichen nach den Klasse A und B und C“, erklärt Lippe. „Das kann man mit Kühlschränken machen, weil es da einheitliche EU-Energieeffizienzklassen gibt und weil Kühlschränke unabhängig von der Klimazone, in denen sie betrieben werden, immer die gleichen energetischen Anforderungen erfüllen müssen – aber die sind für Gebäude eben nicht einheitlich.“

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Die Energieeffizienzklassen bei Gebäuden dienen laut Lippe jedem Land dazu, eine Bestandsaufnahme für den Gebäudebestand zu machen. „Damit sollen die Nationalstaaten sehen, was bei ihnen am meisten und am wenigsten vorhanden ist“, so Lippe. „Es geht ja immer um die schlechteste Energie-Performance. Und das ist in den Ländern unterschiedlich.“ Sein Fazit: „Was der Immobilienverband macht, ist Äpfel und Birnen vergleichen. Man kann die Häuserbestände europaweit eben nicht einfach so miteinander vergleichen.“

Fragt sich, wie Klimaschutzziele im Gebäudebereich kosteneffizient erreicht werden können: Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) Schließlich hätten immer schärfere Dämmvorschriften das Bauen sehr teuer gemacht.
Fragt sich, wie Klimaschutzziele im Gebäudebereich kosteneffizient erreicht werden können: Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) Schließlich hätten immer schärfere Dämmvorschriften das Bauen sehr teuer gemacht. © Getty Images | Sean Gallup

Deutschland müsse sich die Frage stellen, ob die eigenen Neubau- und angestrebten Sanierungsstandards im Bestand nicht viel zu hoch seien, meint jedoch der IVD. Eine Frage, die jüngst auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) gestellt hat. Bei einer Veranstaltung im Mai sagte sie, dass immer schärfere Dämmvorschriften das Bauen sehr teuer gemacht hätten. Es gebe Fragezeichen, ob zusätzliche Kosten für Dämmung in einem sinnvollen Verhältnis zur eingesparten Energie stünden.

Ministerin Geywitz: „Klimaschutzziele kosteneffizient erreichen“

Ebenfalls entstünden bei der Produktion der Dämmstoffe ja auch Treibhausgase, was wiederum umweltpolitisch fraglich sei. „Bundesministerin Geywitz hatte sich in den vergangenen Wochen bereits immer wieder gegen einen Sanierungszwang ausgesprochen“, heißt es auf Nachfrage dieser Reaktion aus dem Bundesbauministerium. „Es geht um die Frage, wie wir die Klimaschutzziele im Gebäudebereich kosteneffizient erreichen“, erklärte eine Sprecherin.

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Den Gesetzesvorschlag aus dem EU-Parlament, 15 Prozent der schlechtesten Gebäude in eine höhere Energieeffizienzklasse zu heben, werde im Bundesbauministerium „sehr kritisch“ gesehen. Zwar sollten mit der Novellierung der EU-Gebäuderichtlinie die geltenden Energieeffizienzklassen angeglichen werden. „Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Ausgangssituationen und Bilanzierungsmethoden können sich Gebäude, die beispielsweise der Klasse D zugeordnet werden, in der EU in ihrem Endenergiebedarf weiterhin unterscheiden“, erklärte eine Ministeriumssprecherin.

Jedoch sei die Effizienzklassensystematik zur Erreichung des Ziels, bis 2050 in der EU klimaneutral zu sein, nur von geringer Bedeutung. Auch seien Sanierungsumfang und -aufwand auch mit dem vom Europaparlament vorgeschlagenen Effizienzklassensystem in den einzelnen Mitgliedsstaaten weiterhin unterschiedlich. Gebäude nur nach dem Effizienzklassensystem zu sanieren, lehne man daher ab, wie die Sprecherin bekräftigte. „Erste Gespräche im Vorfeld der Verhandlungen haben ergeben, dass sich viele Mitgliedstaaten ähnlich positionieren werden.“