Berlin. Kai-Uwe Müller stellt bereits seit 30 Jahren Pakete und Briefe zu – und ist heilfroh, dass er eine Sache heute nicht mehr tun muss.

Einmal winken hier, ein freundliches Tätscheln des Hundekopfs dort und noch der Zuruf am Gartenzaun „Heute habe ich nichts für Sie dabei“ – Kai-Uwe Müller kennt seine Pappenheimer. Seit seiner Ausbildung arbeitet er bei der Deutschen Post. Das war 1995. Damals war vieles noch ganz anders als heute. Was, das berichtet der 47-Jährige bei seiner täglichen Runde durch den Neuköllner Stadtteil Britz am Rande der Hauptstadt.

Mit seinem sogenannten E-Trike, einem Elektro-Lastendreirad, fährt er durch die ruhigen Straßen der Ein- und Zweifamilienhaus-Siedlung. Hier kennt man sich. Nicht nur untereinander, sondern auch seinen Postboten. Müller, der auch Standort-Vertreter in dem Zustellungsgebiet ist, fährt zwar nicht jeden Tag die gleiche Runde, weil er auch hier und da mal für einen kranken Kollegen einspringen muss. Aber er weiß trotzdem ganz genau, wer wo auf ihn wartet – unliebsame Zusammentreffen inklusive.

Wahres Klischee bei der Deutschen Post: Hund greift Briefträger Müller an

„Einmal ist ein Hund durchs Tor gekommen und hat mich angegriffen. Ich konnte mich mehr oder weniger in Sicherheit bringen“, erzählt Müller. „Ich habe das Fahrrad als Schutz benutzt und es zwischen mich und den Hund gestellt. Irgendwann kamen dann die Besitzer, ein älteres Ehepaar, und haben den Hund eingefangen.“ Heute aber begrüßt ihn ein Golden Retriever schwanzwedelnd am Gartenzaun. Sein Besitzer erzählt: „Die Postbotin, die sonst die Route fährt, bringt ihm immer ein Leckerlie mit.“ Das schweißt zusammen.

Postbote Kai-Uwe Müller arbeitet seit 1995 bei der Deutschen Post. Er erzählt, was sich seitdem alles verändert hat.
Postbote Kai-Uwe Müller arbeitet seit 1995 bei der Deutschen Post. Er erzählt, was sich seitdem alles verändert hat. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Heute könnte Müller sein schweres E-Trike wohl nur mühsam als Schutz vor wilden Hunden benutzen. Mit 90 Kilogramm Briefen, Päckchen und kleineren Paketen kann er die Ladefläche hinten beladen. Vorne passen nochmal 30 Kilogramm drauf. Seit 2001 sind solche E-Trikes für die Deutsche Post im Einsatz, allein in Berlin sind es 1700 Stück. Insgesamt arbeiten rund 190.000 Mitarbeiter bei der Deutschen Post DHL Group. Das Unternehmen erzielte 2022 einen Umsatz von mehr als 94 Milliarden Euro.

Digitalisierung erleichtert Beruf der Postboten

„Ich fahre seit vier Jahren mit diesem Fahrrad“, erzählt Müller. „Davor hatte ich ein kleineres Rad, ohne E-Motor. Der Umstieg war zuerst eine Umgewöhnung. Aber eine Positive: Das erleichtert den Job auf jeden Fall.“ Und die Post unternehme viel, um die Arbeit zu erleichtern, sagt der 47-Jährige. Ein Beispiel, das Müller nennt: Einschreiben. „Die mussten früher alle per Hand von mir vor Ort beim Kunden ausgefüllt werden. Heute haben die einen Strichcode auf dem Einschreibe-Zettel, den scanne ich ab. Das ist eine Zeitersparnis von drei, vier Minuten pro Sendung.“

Eine weitere große Veränderung wartet im August auf Müller: „Ich bin noch nie mit einem Postauto gefahren. Aber das wird sich für mich wohl bald ändern: Weil die Briefmengen sinken, stellen wir hier teilweise auf Verbundzustellung um.“ Das Gebiet ist dann kleiner, aber es wird mehr Sendungen geben, auch teilweise größere und schwerere Pakete. Ein Rad, auch ein E-Trike, kann das nicht mehr stemmen.

Grundsätzlich werden aber auch weiterhin Paket- und Briefzustellungen getrennt bleiben, teilt die Post mit. Doch das Verhältnis Brief zu Paket verändert sich kontinuierlich. Kamen im Jahr 2010 in Deutschland noch 21 Briefe auf ein Paket, so lag dieses Verhältnis 2015 bei 15 zu eins und 2020 bei acht zu eins. Im Jahr 2025 werden es voraussichtlich nur noch fünf Briefe zu einem Paket sein. Man wolle daher in Zukunft die Prozesse in der Brief- und Paketzustellung enger miteinander verzahnen.

Kai-Uwe Müller hält nichts von der Idee, montags keine Briefe mehr zuzustellen. Das sei nicht kundenfreundlich, findet er.
Kai-Uwe Müller hält nichts von der Idee, montags keine Briefe mehr zuzustellen. Das sei nicht kundenfreundlich, findet er. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Ein Grund: Die Deutsche Post befördert immer weniger Briefe: Im Jahr 2022 waren es rund 14,1 Milliarden Briefe, 2007 noch 21,3 Milliarden. Ein Grund für die kleiner werdende Menge beförderter Briefe ist unter anderem, dass vermehrt per E-Mail oder auf anderen digitalen Kanälen kommuniziert wird. Insgesamt sind jedes Jahr rund vier Milliarden Paketsendungen und 12 Milliarden Briefe in Deutschland unterwegs. Jeden Tag sind das etwa 48 Millionen Brief- und 6,2 Millionen Paketsendungen.

So denkt der Postbote über die Fünf-Tage-Zustellung

Auch wegen der noch immer enormen Menge an Briefen und Paketen reagiert Müller abweisend auf den jüngst gemachten Vorschlag von Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller, Briefe nur noch an fünf anstatt an sechs Tagen wie bisher zuzustellen. „Ich halte gar nichts davon, montags keine Briefe zuzustellen. Es gibt ja zum Beispiel Firmen, die samstags zu haben und keine Post bekommen. Und wenn die dann montags auch keine Post bekommen, dann bekommen die erst dienstags die Post von Freitag.“

In seinem Beruf als Briefträger muss sich Müller trotzdem immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen. Er erinnert sich: „Wir haben früher Rente ausgezahlt, an Menschen, die zum Beispiel das Haus nicht mehr verlassen konnten. Da hatte ich dann meinen Beutel mit Bargeld dabei, und habe dann das Geld auf den Tisch gelegt. 1000 Mark oder so. Das gab es aber nur noch bis zu den 1990er Jahren.“ Der 47-Jährige ist erleichtert, dass dies nicht mehr zu seinen Aufgaben gehört: „Früher wurden sehr viele Zusteller überfallen“, erzählt er.

Als die größte Veränderung in seinem Berufsleben bezeichnet Müller die Digitalisierung – und sieht diese sehr positiv. „Weil dadurch eine Arbeitserleichterung entstanden ist, deshalb finde ich die sehr positiv. Die Maschinen übernehmen jetzt sehr viel Arbeit.“ Briefe werden heute beispielsweise automatisch vor dem Austragen exakt in der Reihenfolge geordnet, wie sie ausgetragen werden.

30 Kilogramm passen vorne auf das Lastendreirad und 90 Kilogramm hinten.
30 Kilogramm passen vorne auf das Lastendreirad und 90 Kilogramm hinten. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Früher musste Müller sie noch händisch selbst sortieren. „Das ist am Morgen eine große Erleichterung“, sagt er. Angst, dass „die Maschinen“ ihm irgendwann den Arbeitsplatz wegnehmen, hat Müller nicht. „Arbeitsplätze wurden dadurch nicht zerstört. Die Arbeit wurde eben erleichtert.“

Trotz all der Veränderungen, die Müller in seinen knapp 30 Berufsjahren mitgemacht hat, ist eins jedoch geblieben: die Liebe zu seinem Beruf. „Ich habe meinen Beruf immer geliebt, seitdem ich als Zusteller angefangen habe.“ Nach Jahren als Postbote hat er sich zum Teamleiter ausbilden lassen und bis zum Standortleiter-Vertreter hochgearbeitet. „Und ich hoffe, es geht weiter zum Standortleiter“, sagt Müller. „Aber ich wollte immer auch noch zustellen.“