Essen. Zum Start von Miguel López als Thyssenkrupp-Chef ist der Druck groß. „Es gibt keine Zeit zu verlieren“, sagt er. Viele Entscheidungen stehen an.
Viel Zeit zum Einarbeiten dürfte Miguel López kaum zur Verfügung stehen. Noch bis zu seinem Start als Chef von Thyssenkrupp hat López interimsweise den hessischen Autozulieferer Norma geführt. Ohne Pause geht es ab dem 1. Juni beim Essener Traditionskonzern weiter. Dass es einen gewissen Zeitdruck gebe, empfinde er nicht als Nachteil, sagt der 58-Jährige. Aus seiner Zeit in der Industrie sei er „mit vielen Themen von Thyssenkrupp vertraut“.
Und doch ist die Situation beim Essener Stahl- und Industriegüterkonzern eine besondere. Wieder einmal sind es unruhigen Zeiten für das Unternehmen, das weltweit knapp 100.000 Menschen beschäftigt, viele davon in NRW und im Ruhrgebiet.
Die Liste der Fragen, die López beantworten muss, ist lang: Was wird aus der Stahlsparte? Kann der geplante Umbau des Standorts Duisburg noch scheitern? Bleibt das Traditionsgeschäft im Konzern oder wird es verkauft? Wann kommt der angekündigte Börsengang der Wasserstoff-Firma Nucera? Und: Wofür soll Thyssenkrupp in Zukunft stehen?
Kaum hatte der Aufsichtsrat Mitte Mai die Berufung von López an die Konzernspitze beschlossen, da machte auch schon ein offener Brief von führenden Thyssenkrupp-Arbeitnehmervertretern die Runde. In dem Schreiben an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das mit einem Briefkopf von IG Metall und Thyssenkrupp versehen ist, schlagen die Gewerkschafter Alarm. Wenn nicht bald Geld des Bundes für den Stahlstandort Duisburg freigegeben werde, drohe dem gesamten Vorhaben das Aus. „Nur mit Mühe ist es gelungen, die Entscheidung um einen Monat auf den 23. Juni zu schieben“, heißt es in dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt. Es geht um Milliardensummen, auf die Thyssenkrupp hofft.
Erste Bewährungsprobe für López bei Thyssenkrupp steht schon bevor
Die bevorstehende Aufsichtsratssitzung in rund drei Wochen dürfte auch eine erste Bewährungsprobe für den neuen Thyssenkrupp-Chef López sein. Eine Schonfrist kann López in dieser Gemengelage kaum erwarten.
„Wir brauchen rasch die angekündigte Förderzusage“, sagte López unserer Redaktion. „Es gibt keine Zeit zu verlieren.“ Damit bekommen die Arbeitnehmervertreter, die bei Bundeswirtschaftsminister Habeck Druck machen, auch öffentlich Rückendeckung vom neuen Konzernchef.
In den vergangenen Tagen habe er schon viele gute Gespräche im Unternehmen geführt, „im Management und auch mit der Arbeitnehmerseite“, berichtet López. „Drei Themen stehen bei mir ganz oben: die Weiterentwicklung des Konzerns, Performance und die grüne Transformation. Hinzu kommt noch die Digitalisierung, die ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist.“
Teamorientiert, pragmatisch und kommunikativ
Der neue Thyssenkrupp-Chef gibt sich teamorientiert, pragmatisch und kommunikativ. Zugleich gilt er als leistungsorientierter Manager. Er sei darauf gepolt, auch anspruchsvolle Ziele erreichen zu wollen, heißt es. Bei der Besetzung des Chefpostens dürfte dies wohl eine Rolle gespielt haben. In den vergangenen Jahren ist bei Thyssenkrupp allzu oft zu viel Geld aus der Kasse geflossen – und zu wenig reingekommen.
López ist zahlenorientiert – und auch vertraut mit dem Metier der Zu- oder Verkäufe. Ein Finanz-Mann an der Spitze von Thyssenkrupp? „Als Finanzer würde ich mich selbst nicht bezeichnen“, sagt er dazu. „Ja, ich bin Finanzer durch und durch, aber nicht nur. Mir geht es auch um die Technologien, und ich bin kunden- und mitarbeiterorientiert.“
Auf Martina Merz, die erste Frau an der Spitze von Thyssenkrupp, folgt mit Miguel Ángel López Borrego der erste Spanier in dieser Funktion. Im Konzern wird er wahlweise salopp „hessischer Spanier“ oder „spanischer Hesse“ genannt. Denn der Manager hat zwar die spanische Staatsbürgerschaft, sein Geburtsort ist aber Frankfurt am Main.
„Miguel López ist dort ein Name wie Peter Müller in Deutschland“
Für ihn sei es „absolut in Ordnung“, wenn er bei Thyssenkrupp einfach Miguel López genannt werde. „Spanische Namen sind ja meist recht lang. Bei meiner Arbeit in Spanien hat es mir geholfen, dass ich mit dem Nachnamen López Borrego nicht so schnell verwechselt werden konnte“, sagt der neue Vorstandschef. „Miguel López ist dort ein Name wie Peter Müller in Deutschland.“
Er hofft, dass er Thyssenkrupp mit seinem Profil als international erfahrener Manager helfen könne. „Dass ich neben Deutsch und Englisch auch fließend Spanisch spreche, empfinde ich als wahnsinnigen Vorteil. Das öffnet im internationalen Geschäft viele Türen.“ Derzeit pendelt López zwischen Frankfurt und Madrid, wo er mit seiner Frau und seinen beiden erwachsenen Kindern lebt.
Auch in Diensten von Thyssenkrupp wird der neue Konzernchef vermutlich viel reisen. Länder wie die USA und China stehen oben auf seiner Liste. Thyssenkrupp gehöre zusammen mit Konzernen wie Siemens und Mercedes zu den „industriellen Top-Marken Deutschlands in der Welt“, sagt López.
Hoffnungen verbindet er unter anderem mit der Thysssenkrupp-Tochter Nucera, die Elektrolyseure zur Produktion von CO2-freiem Wasserstoff herstellt. Nucera sei „ein hochinteressantes Unternehmen“, sagt der neue Konzernchef. „Mit der grünen Transformation bieten sich riesige Chancen für Thyssenkrupp.“ Schon seine Vorgängerin Martina Merz hat angekündigt, Nucera an die Börse bringen zu wollen. In die Tat umgesetzt ist das Vorhaben aber noch nicht.
Miguel López: „Ich bin ein politischer Mensch“
Als Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp war Siegfried Russwurm, der als BDI-Präsident auch Deutschlands oberster Industrie-Lobbyist ist, entscheidend an der Berufung von López beteiligt. Beide dürften sich schon aus gemeinsamen Zeiten bei Siemens kennen. „Wir müssen als Unternehmen die industriellen Konzepte für Deutschland zusammen mit der Politik entwickeln“, betont der neue Thyssenkrupp-Chef.
Über sich selbst sagt er: „Ich bin ein politischer Mensch.“ Als Frankfurter sei er in einer „sehr politischen Stadt groß geworden“, erzählt López – und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: Auf einem der benachbarten Fußballplätze seiner Heimatstadt habe schließlich auch der spätere Vizekanzler Joschka Fischer gespielt.