Wittgenstein. Rüdiger Saßmannshausen sieht kaum Chancen auf Nachfolger, sollte er seine Bad Berleburger Praxis aufgeben. Dafür sei sein Beruf derzeit auch nicht attraktiv genug, so der Psychiater. Hingegen sei die Region mit Psychotherapeuten gut aufgestellt.

In der Region gibt’s einfach zu wenig Psychotherapeuten – das hatten neulich beim Wittgensteiner psychosozialen Forum Vertreter von „TheraNow“ moniert, einer Selbsthilfegruppe. Die Wartezeiten auf eine Therapie seien viel zu lang, die Situation unhaltbar. Diese Kritik hat für Irritationen gesorgt – auch beim Berleburger Psychiater Rüdiger Saßmannshausen. Der 1. Vorsitzende des Berufsverbandes der Westfälischen Nervenärzte möchte das auf gar keinen Fall so stehen lassen.

Die beiden Vertreter der Selbsthilfegruppe hätten nicht genügend zwischen Psychotherapeuten und Psychiatern differenziert, meint Saßmannshausen. Da gebe es nämlich einen riesengroßen Unterschied – wobei beide Berufsgruppen in verschiedenem Ausmaß an der Versorgung psychisch kranker Menschen beteiligt seien.

Nächster Kollege sitzt in Biedenkopf

Der erste Berufsstand der Psychotherapeuten sei mit fünf Vertretern in Bad Berleburg sowie mit einer Ambulanz in der Klinik Wittgenstein gut aufgestellt. Zudem praktizierten noch zwei Kollegen in Bad Laasphe. Rüdiger Saßmannshausen spricht hier von einer an sich relativ „guten Versorgungssituation“.

Beruf muss attraktiver werden

Was passiert, wenn Psychiater Rüdiger Saßmannshausen irgendwann seine Praxis dicht macht? Sein älterer Kollege aus dem angrenzenden Hessen wird diesen Schritt wahrscheinlich in den nächsten Jahren vollziehen. Er rechnet mit deutlich mehr Krankenhaus-Einweisungen.

Patienten müssen sich auf Fahrten nach Marburg oder Siegen einstellen, wo sich in der Nähe von Kliniken viele seiner Kollegen niedergelassen haben. In den Mittelzentren kann nämlich noch Geld außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung verdient werden.

Andererseits boomen psychische Erkrankungen. „Die Belastungen werden immer größer, die Welt wird immer komplexer, und deshalb stehen die Menschen unter Druck“, erklärt der Facharzt den Hintergrund.

Auch eine fehlende Lobby habe mit zu der schwierigen Situation geführt: „Wir Nervenärzte und Psychiater werden als eigenständige Berufsgruppe in der Versorgung psychisch kranker Menschen nicht im erforderlichen Maß wahrgenommen“, hat der Facharzt festgestellt.

Saßmannshausen sieht nur eine Möglichkeit sieht, die anstehende weit reichend Unterversorgung in den ländlichen Regionen und somit den Supergau für die Kranken und ihre Angehörigen noch zu verhindern: „Die Rahmenbedingungen müssen sich komplett ändern. Der Beruf muss genauso wie der Beruf der Hausärzte für zukünftige Kollegen attraktiv gemacht werden“, lautet seine Forderung an die Politik.

Der Mediziner möchte seine Äußerungen übrigens weder als Jammern noch als Neid-Debatte verstanden wissen. Er würde seinen Beruf jederzeit wieder ergreifen, sagt er. Aber er möchte genauso, dass seine Patienten und deren Angehörige auch dann noch eine gute Versorgung vorfinden, wenn er selbst nicht mehr als Kassenarzt arbeiten kann.

Ganz anders sieht es bei den Psychiatern aus: In der Region Bad Berleburg betreut Rüdiger Saßmannshausen 700 Patienten, der nächste Fachkollege sitzt in Biedenkopf. „Wenn es Gesundheit und Kraft zulassen, werde ich noch mindestens fünf Jahre weiter arbeiten“, sagt der Psychiater. Die Chancen, für die Zeit danach einen Nachfolger nach Wittgenstein zu bekommen, stuft er unter den aktuellen Bedingungen jedoch als „sehr gering“ ein.

Rüdiger Saßmannshausen rechnet vor: „Ein Psychotherapeut erhält von den Krankenkassen pro Sitzung rund 80 Euro. Ein Psychiater erhält dagegen pro Patient und Quartal eine Art Flatrate von 50 Euro. Ist der Hilfesuchende 59 Jahre und älter, beträgt die Drei-Monats-Flatrate kurioserweise nur noch 45 Euro.“ Das Gegenteil müsste aber der Fall sein, so der Mediziner.

Das Vergütungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung könne niemand nachvollziehen, was auch ein Blick auf die in ihren Folgen schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen beweist. Darf ein Psychotherapeut eine unipolare Depression behandeln?

Praxis nur dank Mischkalkulation

Benötigen Patienten, die an einer Alkohol- oder Drogen-Abhängigkeit, einer Psychose, einer manisch-depresiven Erkrankung leiden, demenziell erkrankt, schizophren sind oder eine bipolare Störung aufweisen, in jedem Fall in jedem Fall einen Nervenarzt oder Psychiater? Rüdiger Saßmannshausen formuliert es so: „Wir versorgen die Menschen und ihre Angehörigen, die am schlimmsten dran sind.“

Noch etwas macht den Beruf wenig attraktiv: Müssen Patienten bei Psychotherapeuten mehrere Monate Wartezeit einkalkulieren, führt Rüdiger Saßmannshausen im Notfall sofort eine Krisenversorgung durch. Dann sind meist mehrere Sitzungen notwendig, die 50 Euro fürs ganze Quartal in der Regel schon beim ausführlichen Erstgespräch abgearbeitet. Rüdiger Saßmannshausen kann seine Praxis nur dank einer Mischkalkulation führen. Den ganzen März hat er nach eigenen Angaben letztlich „ehrenamtlich“ gearbeitet.