Wittgenstein.

„Gesundheit ist keine Ware“. Unter diesem Motto prangert der Berleburger Mediziner Dr. Holger Finkernagel die aktuellen Probleme des Gesundheitssystems in Deutschland an: „Wir haben ein akutes Nachwuchsproblem an Ärzten auf dem Land. Besonders hier in Bad Berleburg, aber auch in den anderen Gemeinden Siegen-Wittgensteins finden sich fast keine jungen Ärzte mehr, die hier eine Praxis übernehmen oder neu eröffnen würden“, analysierte der Allgemeinmediziner auf einer Podiumsdiskussion im Bürgerhaus die kritische Lage vor Ort.

Nach aktuellen Zahlen der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen/Lippe (Kvwl) sind im Kreis-Siegen Wittgenstein von 176 Hausärzten 80 über 55 Jahre und werden demnach nur noch rund zehn Jahre arbeiten. Doch auf der Gegenseite stehen immerhin 56 Hausärzte unter 50 Jahren. Laut Aussage des Mediziners ist die Lage in Bad Berleburg deutlich kritischer als es die Zahlen der Kvwl vermuten lassen: „In Bad Berleburg ist nur ein Hausarzt unter 40 Jahren. Die restlichen 10 Mediziner sind allesamt über 50 Jahre alt und werden somit höchstens noch 15 Jahre arbeiten“.

Der durchschnittliche Versorgungsgrad der Städte Siegen, Berleburg und Laasphe beläuft sich nach Zahlen der Kvwl auf 111,7 Prozent, wodurch momentan sogar nahezu eine Überversorgung droht.

Änderung des Gesundheitssystems

Droht der Region Siegen-Wittgenstein also zukünftig der Kollaps der hausärztlichen Versorgung oder wird zu viel Wind um rein statistische Zahlen gemacht?

Im jährlichem Bericht der kassenärztlichen Vereinigung heißt es, dass „der hausärztlichen Versorgung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss“. „In ganz Westfalen/Lippe werden wohl aktuell 220 Allgemeinmediziner fehlen“, so die Vereinigung weiter. Dieser Trend wird wohl in den kommenden Jahren auch die Region Siegen-Wittgenstein erreichen.

Für Finkernagel ein klarer Fall: „Diese Zahlen erfassen ja nur den aktuellen Stand und nicht die zukünftigen Probleme in sechs bis sieben Jahren. Die gesundheitliche Versorgung muss sich so wie sie in der jetzigen Form besteht in Deutschland definitiv. ändern“, erklärt Finkernagel weiter. Finkernagel ist als Hausarzt natürlich unmittelbar betroffen. Der mittlerweile 70 Jahre alte Mediziner arbeitet nach wie vor fünf Tage die Woche, da es einfach keinen Nachwuchs gibt, der seine Praxis weiterführen könnte. Geht Finkernagel in den Ruhestand, verlieren automatisch zehn Mitarbeiterinnen ihren Job, die zum Teil schon seit 30 Jahren für den Berleburger Arzt arbeiten. „Das bringe ich nicht fertig und das wäre zudem der Anfang vom Ende, da ich ja nicht der letzte Arzt sein werde, der kurz vor der Rente steht“, so Finkernagel weiter.

Die Landesregierung NRW beschäftigt sich mit Lösungsvorschlägen. Im Jahr 2009 rief die Landesregierung das „hausärztliche Aktionsprogramm“ ins Leben. Hausärzte, die sich für zehn Jahre in einer Gemeinde oder Stadt niederlassen, in denen Unterversorgung droht, erhalten vom Land zwischen 10.000 und 50.000 Euro.

Aktionsprogramm ausweiten

Doch für Holger Finkernagel gehen diese Aktionsprogramme nicht tiefgreifend genug: „Subventionen sind schon mal ein Anfang, jedoch muss sich in der Ausbildung der Mediziner vieles ändern. Die Medizinstudenten haben auf Kosten des Staates studiert und sollten demnach verpflichtet sein, der Gesellschaft dafür etwas zurückzugeben.“

Nach Finkernagels Vorstellung sollen die Absolventen gesetzlich verpflichtet sein, nach dem Studium für einige Jahre die Engpässe in ländlicheren Regionen auszugleichen. „Dort lernen die jungen Ärzte zudem alle Grundlagen der Allgemeinmedizin“, fügt der Berleburger Arzt hinzu. Der Kammervorstand der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen/Lippe möchte dagegen auf die hausärztliche Ausbildung im Medizinstudium näher eingehen. So sollen ordentliche Lehrstühle und Institute für Allgemeinmedizin entstehen. Zudem könnten die angehenden Ärzte in ihrem praktischen Jahr verstärkt im Bereich der Allgemeinmedizin arbeiten

Noch gibt es im Kreisgebiet Siegen-Wittgenstein keine Probleme, wie sie aktuell in Altena (Versorgungsgrad 72,2 %) oder in Ennepetal (74,6 %)herrschen. Zwar mache ihm sein Beruf als Hautarzt nach wie vor „Spaß“ und sorge für die nötige „geistige Frische“, jedoch könne „dieser Zustand zukünftig nicht Normalfall werden“, gibt Finkernagel zu bedenken.