Bad Laasphe. . Wie behindertenfreundlich ist Wittgenstein wirklich? Rolf Davidis (51) hat in Bad Laasphe den Test gemacht.

Wenn Rolf Davidis Hunger hat und nicht selbst kochen möchte, schaut er oft in den „Lahnstuben“ vorbei. Denn das Restaurant am Wilhelmsplatz ist barrierefrei – „optimal“, sagt Davidis. Essen zu gehen ist für den 51-Jährigen ein genau zu planender Akt, denn viele Lokale sind für Rollstuhlfahrer unerreichbar. Beispiel „Wittgensteiner Hof“: Um die Gaststätte, direkt neben den Lahnstuben gelegen, zu betreten, müsste Davidis eine Treppe überwinden. Nur um dann, wenn die Blase drückt, wieder eine Treppe, runter zum WC, vor der Nase zu haben.

Rampe endet vorm Kleiderständer

Wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat es nicht leicht. Besonders in diesen Wintertagen, wenn Schnee die Gehwege bedeckt. Wir machen den Test: Wie behindertengerecht ist Wittgenstein wirklich? Teil eins unserer kleinen Serie führt uns in die Bad Laaspher Innenstadt. Rolf Davidis, Behindertenbeauftragter der Stadt, zeigt, wo es im Alltag hakt.

Vom Wilhelmsplatz, Ausgangspunkt unserer Rundfahrt, macht sich sich Davidis auf zur Bahnhofstraße. Er möchte Geld abheben, also steuert er die Volksbank-Filiale an. „Beim Neubau habe ich darum gebeten, auf Barrierefreiheit zu achten“, sagt er. Das Ergebnis fällt unter die Rubrik „gut gemeint“: Zwar führt eine Rampe hoch zum Eingang. Die Tür aber öffnet sich nicht automatisch, Gehbehinderte müssen darauf warten, dass sie von einem Mitarbeiter bemerkt werden, der ihnen die Tür aufhält. Davidis: „Das wirkt unvollendet.“

Sein nächstes Ziel ist der Bahnhof. Auf dem Weg dahin muss er manches Mal im Slalom über den Gehweg fahren – immer wieder passiert Davidis Abschnitte, die nicht vom Schnee befreit sind. Das öffentliche Bewusstsein für die Probleme der Rollstuhlfahrer sei zwar mächtig gewachsen in den letzten Jahren. Regelmäßig muss er aber feststellen, dass es um die Empathie seiner Mitmenschen nicht allzu gut bestellt ist. Während er davon erzählt, passiert Davidis ein Sportgeschäft. Wieder ein Beispiel aus der Kategorie „gut gemeint“: Eine Rampe überbrückt den halben Meter bis zum Eingang, doch an deren Ende versperrt ein Kleiderständer mit Trainingsjacken den Weg. Davidis nimmt es den Mitarbeitern nicht übel, an so etwas denke eben keiner, der laufen und daher einfach die Treppe nehmen kann. Trotzdem: „Das sind die typischen Flüchtigkeitsfehler, die einem das Leben schwer machen.“

Zum Einkaufen fährt der Verwaltungsfachangestellte in Diensten der Stadt am liebsten zu den Supermärkten im Gewerbegebiet „In der Stockwiese“. Die Bauten von Aldi, Lidl und Rewe sind mit ihrer austauschbaren Architektur zwar keine Bereicherung für das Stadtbild, dafür aber absolut barrierefrei, und die Türen öffnen sich dank eingebauter Lichtschranke von selbst. „Wenn ich mir eine Stadt malen könnte“, sagt Davidis, „bestünde sie aus lauter Neubauten und asphaltierten Straßen.“

Er wärmt sich nun einen Augenblick im kleinen Empfangsraum des Bahnhofs auf. Das Gebäude kann und will der gebürtige Laaspher nicht kritisieren, mit dem Zug fährt er trotzdem selten: Allein schon, weil der nächste behindertengerechte Bahnhof der in Siegen sei. Nach Berleburg oder Erndtebrück lässt er sich deshalb von Bekannten im Auto mitnehmen.

Er denkt an Umzug

Die letzte Station seiner Rundfahrt führt ihn auf die Königstraße. Voll des Lobes ist Davidis für den dem Lauf der Eder nachempfundenen Parcours durch die Fußgängerzone, der es ihm erspart, über Kopfsteinpflaster zu holpern. „Da sieht man, dass Kunst sinnvoll sein kann.“

Rolf Davidis hat nicht nur die Belange der Rollstuhlfahrer im Blick. Er erkenne an, dass sein Alltag heute wesentlich unproblematischer sei als noch vor 20 Jahren. Ständig auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, das sei dennoch eine Belastung. Ob er mal überlegt habe, fortzuziehen? Ja, antwortet er, ohne überlegen zu müssen. In eine andere westfälische Kurstadt: Bad Oeynhausen nahe Bielefeld. „Da war ich schon dreimal im Urlaub. Dort ist alles ebenerdig, das ist da ganz toll geregelt.“ Was ihn hier halte? Ach, sagt er und grüßt einen Kollegen auf der Straße: „Woanders kenne ich doch niemanden.“