Siegen/Bad Berleburg. Im Juni feierte die Baumrainklinik in Bad Berleburg ein Vierteljahrhundert als eine der ersten Adressen in Deutschland für die Rehabilitation hörgeschädigter Menschen. Am 19. Mai wurde die Einrichtung gerade deswegen zum Schauplatz einer Gewalttat: Ein 53-jähriger Hamburger stach seine vormalige Lebensgefährtin nieder, die in der Klinik eine Kur verbrachte. Seit Dienstag muss sich der Mann vor der Siegener Strafkammer verantworten.
Der Angeklagte und sein Opfer sind gehörlos. Die Verständigung im Gericht wird durch zwei Gebärdendolmetscherinnen sichergestellt. Die 48-jährige Frau hatte die Berleburger Klinik bewusst ausgesucht, weil dort seit 25 Jahren hörgeschädigte Menschen behandelt werden. An einem Samstag im Mai kam der Angeklagte nach Berleburg, um seine Ex-Partnerin um eine letzte Chance und „eine Viertelstunde“ zu bitten.
Morgens um vier habe sie eine zornige SMS von ihm bekommen und schon befürchtet, „dass er später hier auftaucht“. Trotzdem war sie erschrocken, als er plötzlich auf ihrer Etage stand und sich mit ihr und einer Freundin in den Fahrstuhl drängte. Sie hätte eine Aussprache abgelehnt, ließ die Zeugin dolmetschen. Daraufhin sei sie mit der Freundin in den Waschraum gegangen, um wie zuvor geplant ihre Wäsche zu waschen.
„Plötzlich hatte ich sein Messer am Hals“, erinnerte sich die Frau. Sie habe sich heftig gewehrt und das Messer gar nicht mehr gesehen. Nach einem letzten heftigen Schnitt quer über den Hals ging sie zu Boden: „Er ist abgehauen und war dann weg“. Die Frau erlitt diverse Schnitte und Stiche am Hals – einen bis auf die Halswirbelsäule - und am Oberkörper, zudem waren ihre Hände durch das Abwehren verletzt. Sie musste mehrfach in Marburg operiert werden und leidet noch heute unter Schmerzen, Albträumen und Panikattacken. Oft habe sie das Gefühl, ersticken zu müssen.
Vergewaltigungs-Vorwurf
Der Angeklagte entschuldigte sich mehrfach für sein Tun und versicherte immer wieder, er habe „sie nie verletzen wollen. Die Frau, die ich liebe, könnte ich niemals schlagen oder sonst etwas tun“, betonte er ungeachtet des offensichtlichen Widerspruches zur Tat und wies auch den Vorwurf zurück, sein Opfer Weihnachten 2011 vergewaltigt zu haben. Während die Frau eine Beziehung schilderte, die 2006 glücklich begann und dann mehr und mehr durch seine völlige Fixierung auf sie und unbegründete Eifersucht zerstört worden sei, gab der Angeklagte seinem Opfer die Schuld.
Sie habe Affären gehabt, ihn hintergangen und unter anderem alkoholisiert seine Scheibe eingeschlagen. Ihre Kinder hätten ihn abgelehnt und gegen ihn intrigiert. Die Scheibe habe sie aus Sorge eingeschlagen, weil er mehrfach mit Selbstmord gedroht habe, sagte die Frau im Zeugenstand aus. Ihr ehemaliger Lebensgefährte habe immer schon eine Vorliebe für Messer“ gehabt. Trotzdem verließ sie im Frühjahr das Hamburger Amtsgericht an seiner Seite – nachdem das Gericht ihm gerade auf ihren Antrag den Kontakt zu ihr untersagt hatte: „Wir wollten in Ruhe reden.“
Er habe immer Messer in seinem Angelkoffer, sagte der Angeklagte. Er habe eines davon mitgenommen, um „eine Show“ abzuziehen, der Geliebten deutlich zu machen, er werde sich umbringen, wenn sie ihn nicht anhöre. „Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe. Sie hat gelacht und mich Spinner genannt. Danach ist alles schwarz“, ließ der Mann wissen und stieß während seiner Gebärden heftige Schluchzlaute aus. Er habe Blut an seiner Hand gesehen, sei „völlig in Panik gewesen, schockiert und in Angst“.
An einen Arzt, den er auf dem Weg zur Tür bedroht haben soll, erinnere er sich nicht. Zwischen Berleburg und Winterberg habe er das Messer aus dem Auto geworfen, zwischen Hannover und Hamburg auch seine Jacke. Er wisse nicht, ob er es getan habe: „Aber mein Anwalt hat mir die Beweise gezeigt.“ Der Prozess geht am 28. November weiter.