Erndtebrück. Nur auf jedem dritten Bauernhof in NRW ist die Nachfolge gesichert, sagt das statistische Landesamt. Bei Familie Böhl in Erndtebrück-Balde im Kreis Siegen-Wittgenstein ist das anders: Tochter Iris wird übernehmen. Weil sie sich nie etwas anders vorstellen konnte.

„Ich habe mich von Kind auf für die Landwirtschaft interessiert“, erzählt die 34-Jährige. Sie hat früh mitgearbeitet im 100 Hektar großen Familienbetrieb. Das war bei ihrer Schwester allerdings nicht anders. Die hat Bürokauffrau gelernt und hätte sich nie vorstellen können auf dem Hof zu bleiben. Die Vorlieben sind verschieden. „Und ich bin eben so ein Kuhmensch“, sagt Iris Böhl.

„Das sind heute individuelle Entscheidungen“, erklärt Ludwig Krämer, Geschäftsführer des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes im Märkischen Kreis, die Gesamtlage. „Früher wurde nicht lange nachgefragt, da übernahm der älteste Sohn.“ Jetzt will die nachfolgende Generation häufig nicht. Wenn der Landwirt um die 50 sei und die Kinder so 20 bis 25, dann falle meist die Entscheidung.

Bei Iris Böhl war das schon früher so. Nach der Schule hat sie die Lehre auf dem heimischen Milchkuh-Hof begonnen, mit ihrem Großvater als Ausbilder, und das dritte Lehrjahr in einem größeren Betrieb im Hochsauerland verbracht. „Die waren damals weiter als wir“, erinnert sie sich. Es folgten ein praktisches Jahr auf verschiedenen Höfen und dann zwei Jahre an der Schule für Agrarwirtschaft in Meschede, die sie zur „Staatlich geprüften Landwirtin mit Ausbildungseignung“ reifen ließen. Nach insgesamt sechs Jahren.

War das nötig? „Unbedingt“, sagt Iris Böhl. Weil der Beruf und seine Anforderungen so vielseitig seien. Sie hat Betriebswirtschaft gelernt und Grundlagen der Tiermedizin. Zumindest so weit, dass sie weiß, wann sie den Tierarzt rufen muss und wann sie selbst klarkommt. Sie kann den Trecker nicht nur fahren, sondern auch reparieren, kennt sich aus mit Fütterung, Haltungsformen und Pflanzenbau (welche Gräser sind wie nahrhaft?), hat sich in Düngeverordnungen und sonstige Vorschriften eingearbeitet und versteht die Zahlen, die der landwirtschaftliche Kontrollverband ihr liefert.

Iris Böhl kann ihnen entnehmen, welche Leistung jede schwarzbunte Holstein-Kuh erbringt, am Tag und übers ganze Leben. Das Ziel sind möglichst alte Kühe mit möglichst vielen Kälbern. Zwei sind Bundesdurchschnitt, sie hält weniger als vier für unwirtschaftlich. Aber diese Haltung hindert sie keineswegs, liebevoll mit dem Vieh umzugehen. Sie kennt jede der 100 Milchkühe, dazu kommen noch 100 weibliche Kälber, mit Namen.

Das war damals die Voraussetzung für ihren Einstieg: der Bau des neuen Stalls im Jahr 2004, die Aufstockung des Viehbestands. Vorher lieferten nur 30 Kühe Milch. „Das reichte nicht für zwei Familien“, sagt Iris Böhl. Aber mehr wachsen will sie auch nicht. „Die jetzige Größe lässt sich als Familienbetrieb noch gerade bewältigen.“

Die Größe ist immer ein wichtiges Kriterium bei der Übernahme: Bei 10 bis 20 Hektar ist die Nachfolge zu einem Viertel gesichert, ab 100 Hektar in der Mehrheit der Fälle. Es sind also vor allem kleine Höfe, die aufgegeben werden. Aber Ludwig Krämer hält die Lage für weniger dramatisch, als es die Zahlen andeuten: „Die Aufgaberate liegt schon lange bei 1,5 bis 2 Prozent im Jahr. Die Flächen werden dann an Berufskollegen verpachtet - die Nachfrage ist groß und steigt. Das läuft alles ruhig und vernünftig ab.“ Nur die Weiternutzung der Gebäude sei öfter ein Problem.

Aber schöner ist es schon, wenn der Hof, wie der 1842 gebaute der Böhls, in der Familie bleibt. Das sieht auch Iris Böhl so. Aber richtig wichtig sind ihr eben nicht die 20 Hektar Futtermais und die 80 Hektar Grünland, sondern die Kühe. Das Züchten ist ihr Hobby, sie hat schon mehrere Preise auf Schauen gewonnen. Wobei die schöne Milchkuh auch immer die wirtschaftliche ist. Da geht es um Beckenneigung, Beinstand, Rippenansatz. „Aber das Nonplusultra ist das große, fest positionierte Euter.“ Da gilt es, im Besamungskatalog den Bullen mit den richtigen Merkmalen auszuwählen, um die Problemzonen der Mutterkuh auszugleichen.

Aber das ist, wie gesagt, Hobby. Alltag ist Stallzeit um 7 und 17 Uhr mit Melken. Sieben Tage die Woche. Dazwischen Klauen schneiden, Zäune machen, Futter bestellen und das neue individuelle Fütterungssystem per Halsband planen. Plus Büroarbeit.

Außerdem ist Iris Böhl 1. Vorsitzende des Rinderzuchtvereins Siegen-Wittgenstein und stellvertretende Kreislandwirtin. Weil sie die Belange der Milchbauern in der Öffentlichkeit vertreten will. Zum Beispiel in der Frage des bei manchen Tierschützern verpönten Enthornens der Kälber. Das verringere die Verletzungsgefahr für Tier und Mensch und finde unter örtlicher Betäubung statt: „Wir quälen unsere Tiere doch nicht“, sagt sie empört.

Sehr viel Zeit für anderes bleibt so nicht. Iris Böhl ist Single zur Zeit. Aber da ist es wie mit der Zukunft ihres Betriebs in Zeiten schwankender Milchpreise: „Man kann alles nur optimistisch angehen.“