Melbourne/Schwarzenau. .

„Zuhause ist, wo mein Bett ist.” Dr. Nadine Zacharias hat sich früh angewöhnt, viele Dinge sehr pragmatisch zu sehen: Alles andere wäre für sie zu schwierig. Momentan lebt sie in Australien.

Nadine Zacharias hatte gut 20 Postadressen in den vergangenen zehn Jahren.„Wittgenstein ist meine Heimat in dem Sinne, dass ich dort aufgewachsen bin, mich mit den Menschen und dem Ort verbunden fühle und beide mich sehr geprägt haben. Aber mein Zuhause, mein Alltag und meine mittelfristige Zukunft sind in Australien”, erzählt Dr. Nadine Zacharias, die davon ausgeht, dass sie vermutlich immer zwischen den Stühlen sitzen wird (halb Deutsche/halb Australierin). Das ist keine einfache Lebenssituation, eröffnet aber eine einmalige Perspektive und bietet die Chance, das Beste aus beiden Welten zusammenzuführen.

„Mir war eigentlich immer klar, dass ich das Ländchen erstmal verlassen musste”, schildert Nadine rückblickend den Tag, als sie das Abiturzeugnis in den Händen hielt. Ihre erste Station war die International School of Management (ISM) in Dortmund, wo sie Touristik- und Hotelmanagement studierte. Sie entdeckte ihre Leidenschaft für Personalmanagement, arbeitete in fünf Unternehmen und lebte in Dublin und Paris. Im letzten Studienjahr bewarb sich die junge Schwarzenauerin um ein Doppelabschluss-Programm: BWL-Diplom an der ISM und Master of Business Administration (MBA) an einer ausländischen Partnerhochschule.

Australien hatte schon immer eine unglaubliche Faszination auf sie ausgeübt: roter Kontinent am anderen Ende der Welt, einzigartige Flora und Fauna, giftige Tiere, Outback, Abenteuer. „Als sich die Möglichkeit im Studium ergab, war es keine Frage: Ich gehe nach Australien!” Das Studium an der University of Ballarat im Bundesstaat Victoria war spannend und zeitaufwendig, bot aber gleichzeitig eine Menge an Möglichkeiten für internationale Kochpartys, Wochenendtrips nach Melbourne und Erkundungsreisen auf dem fünften Kontinent.

In Deutschland arbeitslos

Die Rückkehr nach Deutschland im Januar 2003 hätte kein größerer Gegensatz sein können: Rezession, zweistellige Arbeitslosenquote und angeschlagene Tourismusbranche machten die Wiedereingliederung schwierig. Der Druck wuchs, sich mit der Situation abzufinden. „Ich wollte mich mit Deutschland arrangieren, meiner Zukunft in diesem Land eine Chance geben. Aber seit Australien wusste ich, dass es auch andere Lebensentwürfe gibt, dass man sich nicht in eine vorgegebene Form pressen lassen muss”, schildert die heute 31-Jährige ihre damalige Situation.

Im Februar 2004 saß sie wieder im Flieger zurück nach Australien, im Gepäck ein Stipendium für eine Doktorandenstelle. Dieses Mal war es die sprichwörtliche Flucht nach vorn. Vier Jahre später schloss Nadine ihre Promotion zum Doctor of Philosophy in Business Management ab und trat im Juli 2008 ihre erste Vollzeitstelle als „equity practitioner” (ähnlich der deutschen Gleichstellungsbeauftragten) an einer Uni in Melbourne an. Sie zog aus der Provinz in die Großstadt um und erhielt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung (permanent residency) für Australien.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl

Ein Jahr später spielte sie zum ersten Mal seit langer Zeit mit dem Gedanken, nach Deutschland zurück zu gehen. Und bekam Angst vor der eigenen Courage. Also bewarb sie sich um eine Projektmanagementstelle an der Deakin University und bekam sie: „Es fühlte sich an, als gebe mir das Universum einen Wink mit dem Zaunpfahl: Ich sollte in Australien bleiben. Mein Job ist fantastisch, weil ich strategisch arbeiten kann und mit Leuten in der ganzen Uni zu tun habe; von Studenten bis zum Vice-Chancellor.”

Und ganz wichtig: „Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit Leuten helfe, die traditionell benachteiligt waren und durch unsere Initiativen die Chance bekommen, zur Uni zu gehen und dort erfolgreich zu sein.”

Nadine lebt in Hawthorn East, einem Stadtviertel (suburb) zehn Kilometer von der Innenstadt Melbournes entfernt. Jedes Suburb hat seinen eigenen Charakter und Menschen aus aller Welt leben und arbeiten zusammen in der Vier-Millionen-Metropole.

Grenzenlose Auswahl an internationaler Küche

Am meisten liebt sie die grenzenlose Auswahl an internationaler Küche: zum Ausgehen und selbst kochen. Ihr Samstagsritual ist der Besuch des Queen Victoria Marktes, wo sie Bio-Gemüse, europäische und asiatische Delikatessen und Fleisch kauft. Mit Freund Shannon, der in Melbourne aufgewachsen ist und ein Jahr lang in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, nutzt sie die Vielfalt der Stadt und die beiden sind am Wochenende kulinarisch, sportlich, kulturell oder am Strand unterwegs.

Es ist nicht immer einfach, 20 000 km entfernt zu sein: „Mal eben” gibt es nicht. „Am schlimmsten sind Familienfeiern und große Ereignisse im Freundeskreis. Da wünschte ich mir schon, ich wäre ein bisschen näher an Deutschland dran.” Mindestens einmal im Jahr macht sie sich auf die lange Reise nach Wittgenstein, um ihre Familie, ihr Patenkind Sofie und die alten Freunde zu besuchen. Diese nehmen die Entfernung auch als einen guten Grund zum Reisen und Nadine hat regelmäßigen Besuch aus der Heimat. Ihre Eltern Karin und Bernd Zacharias waren schon drei Mal in Australien und planen einen weiteren Trip für Ende des Jahres.

Über das Internet Kontakt mit der Familie halten

Kontakt gehalten wird außerdem per moderner Technik. Mit den Eltern werden in der Woche E-Mails geschrieben und am Sonntagabend wird immer um 21 Uhr australischer Zeit geskypt (über das Internet telefoniert); Bruder Daniel ist nur eine Textnachricht entfernt. „Ich glaube, die enge Bindung an meine Familie hat mein Weltenbummeln überhaupt erst möglich gemacht. Meine Eltern im Besonderen haben mir immer ein Sicherheitsnetz gespannt.”

Die wichtigste Lektion, die sie gelernt hat, gibt sie gerne weiter: „Folge deinen Träumen, vertraue deiner Intuition und hab den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen. Nichts ist für immer! Genieß das Heute, nimm dir Zeit für andere und freu dich auf morgen.”