Bad Berleburg. Die Route 57 helfe heimischen Unternehmen nicht, so die Bundestagsabgeordnete der Grünen. Wittgensteiner Unternehmer protestieren lautstark.
„Wir spüren einen massiven Fachkräftemangel, leiden unter einer brüchigen Infrastruktur und erleben, wie Demokratie unter Druck gerät. Veränderte geopolitische Vorzeichen gefährden weiterhin die Stabilität von Lieferketten.“ Die heimische Bundestagsabgeordnete Laura Kraft (Bündnis90/Grüne) beschrieb bei ihrem Zusammentreffen mit Wittgensteiner Unternehmen nachdrücklich die Rahmenbedingungen der politischen Arbeit in Berlin und ging auf die aus ihrer Sicht bestehenden Bedarfe der Wirtschaft ein - davon berichtet die IHK in einer Pressemitteilung. Die zentrale Botschaft: „Die neue Realität ist geprägt durch eine ‚Multikrisensituation‘, die neue Antworten erforderlich macht.“
Trotz großer Herausforderungen sei es der Bundesregierung gelungen, mehr als 180 Gesetze auf den Weg zu bringen, die teilweise auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen abzielten, wie das „Wachstumschancengesetz“ oder das „Bürokratieentlastungsgesetz“. Mehr als die Hälfte der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag seien umgesetzt. Klar sei, dass die Märkte der Zukunft „grün“ seien, betonte die Abgeordnete. „Wir wollen, dass die Industrie auch künftig bei uns stattfinden kann, und zwar gut. Dafür allerdings müssen auch die Rahmenbedingungen in Richtung Zukunft gewandt sein.“
Ortsumgehungskette „nicht mehr zeitgmäß“
Nicht dazu gehört nach ihrer Auffassung die Route 57: Die Ortsumgehungskette sei angesichts des immensen Erhaltungsstaus bei den zahlreichen Brücken, etwa bei der A45, nicht mehr zeitgemäß, zumal inzwischen auch die Kosten für das Projekt „explodierten“. Trotz aller aufgezeichneten „Horrorszenarien“ sei es in 30 Jahren nicht gelungen, die Route 57 zu realisieren. „Die Lichter sind bei Ihnen nicht ausgegangen, weil sie unternehmerisch klug gehandelt und sich nicht alleine auf eine Straße verlassen haben.“ Die Route 57 helfe heute den Betrieben nicht; wichtiger sei, über Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel nachzudenken.
Spätestens an diesem Punkt stieß die gebürtige Hessin bei den anwesenden Unternehmensvertretern auf deutlichen Widerspruch, der sich auch im weiteren Verlauf der Sitzung nicht auflösen sollte. Dass es seit Jahrzehnten mit der besseren Verkehrsanbindung Wittgensteins nicht vorangehe, habe weniger mit einer komplizierten Planung als mit den juristischen Gefechten zu tun, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit angestrebt würden, betonte etwa Christian F. Kocherscheidt. Der IHK-Vizepräsident verwies auf die Schließung der Reha-Klinik in der Odebornstadt: „Wenn Angehörige für Besuche eine Weltreise unternehmen müssen, gehen die Patienten woanders hin.“
„Das ist heute nicht mehr zumutbar“
Friederike Berge (Berge-Bau GmbH & Co. KG) spiegelte ihre persönliche Erfahrung wider: „Viele aus meiner Generation haben Wittgenstein den Rücken gekehrt, weil die Wege zu lang sind. Von Siegen nach Leimstruth benötigt man regelmäßig eine Stunde. Das ist heute einfach nicht mehr zumutbar.“ Die Situation verschärfe die ohnehin schwierige Fachkräftegewinnung. Alfred Nietzke (DTB-Dachtechnik Briel GmbH & Co. KG) hob dagegen die Probleme bei Firmenübergaben im Raum Wittgenstein hervor: Junge Menschen schreckten hiervor geradezu zurück.
Laura Kraft warb dafür, von der „Maximalforderung“ einer Route 57 abzurücken und stattdessen nach „minimalinvasiven“ Lösungen zur Verbesserung der Verkehrssituation zu suchen, um etwa auch die Anwohner in den belasteten Ortsdurchfahrten zu entlasten. Gewässer-, Arten- und Landschaftsschutz würden immer wichtiger. Deshalb bedürfe es neuer Ansätze. Dieser Appell stieß im Berleburger Bürgerhaus ins Leere: „Die Route 57 ist bereits minimalinvasiv“, unterstrich etwa Silvia Bauer (B + M Breitbach + Müller GmbH). Von umfänglicheren früheren Überlegungen einer A4 oder einer FELS sei man längst abgekommen und setze sich gerade mit Blick auf den Umweltschutz für eine Kette von Ortsumgehungen ein.
Auf Dauer von Außenwelt abgeschnitten
Deutlich wurde in der Diskussion auch die Sorge, durch eine unzureichende Verkehrsanbindung von der Außenwelt auf Dauer abgeschnitten zu werden. „Die letzte große Investition in Verkehrsinfrastruktur war die Erschließung über den Albrechtsplatz in den Sechzigern. Danach kam nichts mehr“, bilanzierte Christian F. Kocherscheidt. Dirk Pöppel (Regupol Germany GmbH & Co. KG) machte aus seinen Gefühlen keinen Hehl: „Viele Wittgensteiner fühlen sich manchmal als Menschen zweiter Wahl!“
Rainer Achenbach (Spedition Achenbach GmbH) erläuterte die positiven Effekte einer gut ausgebauten Straße: Wenn die engen Kurven der B508 und der B62 Richtung Kronprinzeneiche nicht durchfahren werden müssten, ließen sich Kraftstoff und Emissionen in erheblichem Maße einsparen. „Wenn es um den Ausbau der Windenergie geht, spielt die schöne Natur keine Rolle. Bei allen anderen Fragen wird der Naturschutz als Gegenargument geführt. Das ist ideologisch getrieben.“
Ein Argument, das die Bundestagsabgeordnete nicht gelten ließ: Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei von übergeordneter Bedeutung. „Hier kann gerade unsere Region ganz nach vorne gehen.“ Schade sei, dass die Chance nicht genutzt worden sei, den Ausbau der Windenergie in Wittgenstein mit einem verbindlichen Bau der Route 57 zu koppeln, stellte IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener fest. „Hier wäre mehr drin gewesen. Wenn Wittgenstein abgeschnitten bleibt, laufen die jungen Menschen von hier schneller weg. Das kann verantwortungsvolle Politik nicht wollen.“