Wittgenstein. Die Protestaktion der Braugemeinschaft sorgt für Reaktionen. Ein Friedenspädagoge beschreibt, wie die Situation friedlich hätte ablaufen können.

Aufruhr in Wittgenstein wegen eines Plakats: „Grün*innen Wähler*innen hier unerwünscht“ - mit dem so überschriebenen Plakat sorgte jetzt die Braugemeinschaft Edertal in ihrem Brauhaus in Beddelhausen für viel Diskussionen. Nach unserer Berichterstattung, in der sich die Gemeinschaft für diese Aktion rechtfertigte, erreichten einige Leserreaktionen die Redaktion. Dabei überwiegt das Unverständnis für das Plakat als auch die Reaktion auf die darauf folgende Kritik - ein Leser steigt derweil auf die Bremse und verweist auf die Meinungsfreiheit.

Das Plakat am Brauhaus wurde mittlerweile wieder abgehangen. 
Das Plakat am Brauhaus wurde mittlerweile wieder abgehangen.  © WP | Privat

„Weil wir nicht länger hinnehmen, dass ihr unser Land systematisch zugrunde richtet, Arbeitsplätze, Gastronomien, ganze Industrien und gar unsere Nahrungsgrundlage, die deutschen Bauern, vernichtet. Für die ganz Schlauen unter Euch: Aufgrund des AGG ist es leider zunächst schwierig, Euch den Zutritt zu unserem Hause zu verbieten, aber Ihr sollt wissen, was wir von Euch halten. Geht einfach woanders hin und anderen Leuten auf den Sack. Hafermilch und Tofu gibt es hier eh nicht“, steht es auf dem Plakat, das mittlerweile entfernt wurde - als „Zeichen des guten Willens“, so die Braugemeinschaft, die aber Nazi-Vorwürfe nicht stehen lassen wolle: „Dagegen werden wir uns rechtlich wehren - das ist Rufmord.“

Mehr zum Thema

„Ich habe Angst“

Warum einige Menschen jedoch Parallelen zumindest zu den Propaganda-Methoden der Nationalsozialisten erkennen, erklärt ein Leser, der anonym bleiben möchte (Name ist der Redaktion bekannt), in folgendem Leserbrief: „Ich habe Angst. Jetzt dieses Plakat am Brauhaus in Beddelhausen. ‚Grünenwähler hier unerwünscht (vereinfachtes Zitat).‘ Jeder, der hierzulande zur Schule gegangen ist, kennt die historischen Fotos und Filme, in denen die Schilder und Schmierereien zu lesen sind: ‚Juden sind hier unerwünscht‘, ,Juden unerwünscht‘ und Ähnliches. Der Aushang an der Eingangstür dieser Gaststätte nimmt fast wörtlichen Bezug auf diese historische Hasspropaganda! Es ist schwer vorstellbar, dass die Personen, die diesen Betrieb leiten, das nicht gewusst haben. Wer in abgewandelter Form Nationalsozialisten zitiert, darf sich nicht wundern, wenn er mit ihnen verglichen wird. Was denn sonst. Sie haben offenbar nichts verstanden. Oder sie wollen nichts verstehen. Bisher hoffte ich, hier in Wittgenstein wären die Menschen besonnener, wo sich Mitglieder und Wähler unserer Partei andernorts im Dunkeln nicht mehr allein auf die Straße trauen. Ich bitte die Redaktion deshalb, bei Veröffentlichung dieses Leserbriefs meinen Namen nicht zu nennen, obwohl er ihr selbstverständlich bekannt ist. So weit sind wir schon.“ Dazu schickt er ein Bild, das ihn an das Plakat am Brauhaus erinnert: Ein Schild aus der NS-Zeit mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht.“

Der Aushang an der Eingangstür dieser Gaststätte nimmt fast wörtlichen Bezug auf diese historische Hasspropaganda! Es ist schwer vorstellbar, dass die Personen, die diesen Betrieb leiten, das nicht gewusst haben.
Leser - über das Plakat

„Fortbilung in politischer Bildung ist anzuraten“

Aus Erndtebrück erreicht uns von Almut Treude-Krönert ein Leserbrief, in dem sie auf ähnliche Weise das Plakat kritisiert: „Es gab schon einmal Zeiten, als lautstarke Nationalisten und ihre uninformierten Mitläufer bestimmte Bevölkerungsgruppen aus dem öffentlichen Leben mit Betretungsverboten ausgeschlossen haben. Dem Brauhaus ist eine – natürlich unabhängig-neutrale und auf Daten und Fakten basierende - Fortbildung in politischer Bildung anzuraten. Dort könnten die Betreiber Kenntnisse erwerben, wer für die Vernichtung von Arbeitsplätzen (Fakt ist, dass ein Mangel an Mitarbeitenden besteht), dem Sterben zahlreicher gastronomischer Betriebe, der Krise in der Landwirtschaft, der Energiekrise usw. verantwortlich ist. Zugrunde gerichtet wird nicht - wie dem Plakat des Brauhauses zu entnehmen ist - unser Land durch grüne Politik, sondern unsere Erde durch den menschengemachten Klimawandel, die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, durch Konflikte und Machtkämpfe der Despoten und Kriegstreiber. Dagegen treten die Grünen mit ihrer Politik für den Erhalt oder Wiederherstellung einer intakten Umwelt an, für ein menschliches, soziales Miteinander, Gerechtigkeit und den Völkerfrieden, um die wichtigsten Ziele zu nennen.“

„Recht auf freie Meinungsäußerung“

Werner Oder aus Bad Laasphe hingegen verweist in seinem Leserbrief auf Hausrecht und freie Meinungsäußerung: „Was soll die Aufregung? Wir haben in Deutschland das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Hausrecht. Beides ist meines Wissens nicht abgeschafft. Andersdenkende mit der Nazikeule zu erschlagen, wird in Deutschland von bestimmten Gruppierungen zur Methode. Ob das im Sinne der Demokratie dienlich ist, ist mehr als fraglich. Als Betroffener weiß ich, wovon ich schreibe.“

Auf Facebook bezieht sich derweil eine Nutzerin auf unsere Berichterstattung. Darin hatte Karina Schulze von der Braugemeinschaft auf Nachfrage betont, dass das Plakat „in gewisser Weise ein Akt der Hilflosigkeit und unsere Form des Protests“ gewesen sei. „Des Öfteren haben wir mitbekommen, dass viele Gäste wie auch wir mit den gestiegenen Energiekosten zu kämpfen haben. Das wollten wir so nicht mehr hinnehmen. Das war ein Stück weit auch mit einem Augenzwinkern gemeint. Natürlich haben wir mit gewissen Reaktionen und Kritik gerechnet, aber dass es so heftig wird, haben wir nicht gedacht - das hat uns überrascht und vor allem schockiert.“ Die Facebook-Nutzerin kommentierte dazu: „Diffamierungen und Beleidigungen im Nachhinein mit Augenzwinkern zu verharmlosen, zeigt mangelnde Einsicht.“

Aktion war „ausdrücklich nicht kindisch“

Aus Bad Berleburg meldet sich Bernd Schneider und nimmt Bezug auf das aus seiner Sicht immer größer werdende „Grünen-Bashing“ : „So, jetzt soll der ,Grüne unerwünscht‘-Aushang - von der Mehrheit doch erlebt als Fehltritt in einem liberalen, modernen, vor allem demokratischen Sinne - also als ,mit Augenzwinkern gemeint gewesen … vielleicht etwas kindisch‘ verharmlost werden. - Das ist es aber ausdrücklich nicht; es ist in meinen Augen Ausdruck einer bedenklichen Geisteshaltung, nämlich der, andersdenkende Menschen nicht nur als politische Gegner, sondern als Feinde, fast schon als Aussätzige anzusehen und leichthin auszuschließen. Wer im Zusammenhang von grüner Beteiligung an der Politik der Bundesregierung von ,systematischer Zugrunderichtung des Landes … Vernichtung der deutschen Bauern … totalitärer Politik‘ spricht, hat seine eigene Hilflosigkeit bzgl. politischer Analysefähigkeit bereits eingestanden. Man kann sich das Niveau bierseliger Stammtisch-Diskussionen, als deren aktivistischer Höhepunkt die Entstehung des Plakats vermutlich zu deuten ist, gut vorstellen.“

Schneider schreibt weiter: „Aus dieser Denk- und Sprechweise, die auf die Ausgrenzung der Anderen zielt, folgt dann irgendwann auch die Ausübung von Gewalt gegen Andersdenkende, wie sie z.B. an der regelmäßigen und eindeutig zunehmenden Zerstörung von Wahlplakaten der Grünen bei tatsächlich allen Wahlen der letzten Jahre zu erkennen ist. Immer heftiger werdendes Grünen-Bashing und Grünen-Hass sind eindeutig zunehmende gesellschaftliche Prozesse der letzten Jahre. Was ist es eigentlich, was Menschen mit einer solchen Geisteshaltung immer mehr in die Öffentlichkeit treten lässt? Sie können es nicht verarbeiten, dass die Grünen mit ihren Kernthemen wie Umwelt- und Naturschutz, Nachhaltigkeit, Liberalismus der Lebensweisen, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit seit etwa 40 Jahren und immer noch (bei aller berechtigten Kritik in Einzelfragen) vielfach positiv eingeschätzt und auf der modernen Seite gesellschaftlicher Entwicklung verortet werden, während sie selbst hingegen als die Anti-Modernen, Rückschrittlichen, ,Trumpistischen‘, sprich Reaktionären wahrgenommen werden. Und nach den großen bundesweiten Anti-Rechts-Demonstrationen der letzten Monate zerstieben jetzt auch noch die Fantasien der Rechten von der Machtergreifung nach der nächsten Bundestagswahl! Das alles ist für Menschen reaktionärer Geisteshaltung schwer auszuhalten. Und deswegen werden auch noch weitere anti-liberale, antidemokratische bis gewalttätige Aktionen folgen.“

Von beiden Seiten „nicht die feine englische Art“

Gerhard Bernshausen aus Bad Laasphe übt derweil an beiden Seiten Kritik: „Die feine englische Art ist es vom Brauhaus nicht, die Partei der Grünen in Wittgenstein als komplett unerwünscht zu betrachten. Was die Politik in Berlin betrifft, kann man aber die Beddelhäuser verstehen. Was die Grünen gut können: Direkt die Leute in die braune Ecke stellen. Mit Sicherheit ist das auch nicht die feine englische Art. Sie sollten sich zusammen setzen und die Sache bei einem guten Glas Bier bereinigen.“

Blick auf Regierungsentscheidungen der Vergangenheit

Detlev Schnell aus Bad Berleburg wirft in seinem Leserbrief einen Blick auf andere, ehemalige wie aktuelle, Regierungsparteien: „,Rechtsradikale Kräfte werden immer stärker. Wir müssen dagegen halten – jede und jeder Einzelne von uns. Doch was tun, wenn uns im Alltag Hass und Hetze begegnen? Vom Widerspruch am Stammtisch über Engagement in Organisationen bis zur Unterstützung von Betroffenen: Werde aktiv und setze ein Zeichen für Toleranz und Respekt. Kämpfe mit uns für eine offene Gesellschaft. Es braucht uns alle, nur so sind wir mehr‘. Mit diesen Worten wirbt die Bundes-SPD für eine solidarische Gesellschaft. ,Wir können Krisenmaßnahmen nicht auf Dauer fortsetzen. Wer auf Dauer Krisenmaßnahmen aufrechterhalten will, ruiniert den Staatshaushalt‘, so Finanzminister Lindner bei Maischberger am 10. Januar und rechtfertigte die Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie, eine Rücknahme der Agrar-Diesel-Subventionen schloss er aus. Und haben nicht Angela Merkel und Vizekanzler Westerwelle 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet und auf den Weg gebracht? Müssen aufgrund dieser Fakten künftig SPD-, FDP- und CDU-Wähler befürchten, aus dem Brauhaus in Beddelhausen rausgeworfen zu werden? Mitnichten! Es ist eines, ein verächtliches Plakat abzuhängen. Ihre wahre Einstellung bleibt. ,Der Klimawandel und seine Auswirkungen in Form von Temperaturanstieg, Zunahme heißer Tage und lang-anhaltenden Trockenperioden einerseits und Häufung von schweren Gewittern mit Hagel und Starkniederschlagereignissen anderseits machen auch vor dem Hopfen nicht halt,‘ so jüngst die Bayrische Landesanstalt für Landwirtschaft. Hoffentlich betrifft das nicht die Beddelhäuser Bierbrauer.

Eine friedlichere Variante der Situation

Auch aus Siegen erreichte uns eine Zuschrift zum Thema. Bernhard Nolz ist Friedenspädagoge beim Siegener Zentrum für Friedenskultur und setzt sich für eine friedliche Konfliktbearbeitung ein. „Drei Klarstellungen vorweg: Eine Gaststätte ist ein gastliches Haus, das seine Gäste freundlich willkommen heißt. Eine politische Partei gestaltet das gesellschaftliche Zusammenleben nach demokratischen Grundsätzen. Wenn beide ihre Aufgaben aus dem Blick verlieren, beschimpfen sie sich und grenzen sich gegenseitig aus. So waren die Betreiber und Betreiberinnen einer Gaststätte Edertaler Braukunst den Vertretern und Vertreterinnen einer Partei wegen deren Wirtschaftspolitik nicht grün. An der Kneipentür brachten sie einen Hinweis an: ,Grün*innen Wähler*innen hier unerwünscht! Geht einfach woanders hin!‘ Und noch einiges mehr! Diese Ausgrenzung wollten Grüne Lokalpolitiker und Politikerinnen sich nicht gefallen lassen und warfen den Gastronomen „Nazi-Sprech“ und Hassreden vor. Gegenseitig beschuldigten sie sich der Beleidigung, Rufschädigung und Ausgrenzung und heizten den Konflikt weiter an“, so Nolz.

Der Friedenspädagoge macht vor, wie das Statement der Braugemeinschaft und die Reaktion der Grünen auch hätte aussehen können - ohne den Wirbel auszulösen, der nun entstanden ist: „Friedlich könnte es so gehen: Die Gäste des Brauhauses finden einen Hinweis an der Tür: ‚Ein herzliches Willkommen allen Grünen-Politiker und Politikerinnen, mit denen wir über ihre miserable Wirtschaftspolitik reden können.‘ Die Bierbrauer hätten eine scharfe sachliche Kritik an der Politik mit einem freundlichen Gesprächsangebot verbunden. Daraufhin antworten die Grünen in einer Pressemitteilung: ,Bei einem frisch gezapften Bier möchten wir uns eure Kritik anhören und darüber diskutieren.‘ Die Politiker und Politikerinnen hätten ihre Wertschätzung für die Braukunst und für das Gesprächsangebot ausgedrückt und die undemokratische Ausgrenzung von Andersdenkenden vermieden. Schließlich wäre der Satz vom ,gezapften Bier‘ von Anfang an die richtige Antwort gewesen. Aber darauf muss man in kriegerischen Zeiten erst mal kommen.“

Leserbriefe und Kommentare müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Wir behalten uns Kürzungen vor.